Das Stammhaus des Museums für Gestaltung Zürich wurde renoviert – zur Wiedereröffnung verwandeln Designer Lampen in Derwische. Und die Besucher dürfen auf Wurstburgsofas klettern.
Befände sich das Museum für Gestaltung Zürich ein ganz klein wenig näher am Bellevue, würden die Redaktoren des Feuilletons der NZZ jeden Mittag auf diesem braunen Wurstburgsofa im Obergeschoss herumlümmeln und ihre Füsse (ohne Schuhe) in die orangefarbenen Noppen vergraben (die entfernt an flauschige Zigarettenstummel erinnern). Die neue «Swiss Design Lounge» mit einem herrlichen, sonnenbeschienenen Ausblick auf den Klingenpark darf ab sofort bezogen werden. Zwar sollte jeder Besucher sein Geschirr und seinen Abfall nach dem Loungen entsorgen, aber die museale Angst vor Menschen (und Kindern), die möglicherweise Flecken und Dreck auf Designermöbeln hinterlassen – sie hat sich hier oben definitiv aus dem (selbstverständlich nicht vorhandenen) Staub gemacht.
Heute Abend eröffnet das Stammhaus des Museums nach drei Jahren Renovierungspause seine Pforten endlich wieder. Das Gebäude, in den 1930er Jahren von Adolf Steger und Karl Egender trotz allen Widerständen gegen ihre überzeugende Moderne erbaut, hat nichts von seinem Fabrikcharme eingebüsst – im Gegenteil: Alle Fensterflächen sind noch da (Wärmedämmung lässt sich auch mit Isolationsschichten und Doppelverglasung herstellen, wie Ruggero Tropeano Architekten, die für die Renovierung verantwortlich waren, zeigen). Das furchtbare Zwischengeschoss ist verschwunden, sogar das einstige Farbkonzept hat sich wieder durchgesetzt.
Die Eröffnungsausstellung nutzt das alles herrlich schamlos aus: Wolkenblüten aus japanischem Washi-Papier hängen von der Hallendecke, mitten im Raum stehen minimalistische Holzbäume, deren schlanke Äste einem zuwinken, dahinter scheinen hölzerne Hüte vietnamesischer Reisbauern in der Luft zu schweben. Man fühlt sich wie in einem kinetischen Freilufttheater der Moderne. Es zwitschern sogar Vögel.
Das Westschweizer Atelier Oï hat dieses Willkommenskomitee anlässlich der Wiedereröffnung konzipiert und «Oïphorie» genannt. Wenn man genau hinriecht, wird denn auch der olfaktorische Sinn geweckt – was ist das genau, meine Herren, Holz? Oder das Eichenmoos-Wacholderbeeren-Parfum eines anderen Gastes? In den Seitenflügeln der modernen Kathedrale führt ein Vitrinenparcours durch all die Materialien, Entwürfe und Gegenstände, die Aurel Aebi, Armand Louis und Patrick Reymond seit der Gründung ihres gemeinsamen Büros im Jahr 1991 für Kunden wie Louis Vuitton, Swatch oder Nespresso bearbeiteten: Vom «Qualitätsversprechen des Schweizer Handwerks» sprechen sie selbst in einem Interviewfilm, der am Rande läuft. Vom künstlerischen Gestaltungswillen kann man sich angesichts der vielen wunderschönen Namen wie «Dress your Body» (für ein löchriges Fassadenelement) oder «Les Danseuses» (für Lampen, die tanzen wie Derwische im Rausch) selbst überzeugen.
Die eigentlichen Schätze des Museums befinden sich allerdings auf anderen Etagen. Zwei neue Ausstellungsräume im Untergeschoss müssen ohne Tageslicht auskommen. Aber für eine Wunderkammer, an die Direktor Christian Brändle und sein Team mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gedacht haben, als sie diese schwarze Tribüne für ihre Sammlungsgegenstände konzipierten, sind das perfekte Schummer-Verhältnisse. Unter Glas und auf Siegertreppchen liegen und stehen hier extravagante Unterhosen und Büstenhalter, Fotokameras, Schreibmaschinen, Kinderspielzeug, Marionetten, Schuhe, Geschirr und Computer, die Kustoden seit Ende des 19. Jahrhunderts vor dem Vergessen retten.
Befremdlich kann ein Rundgang durch ein Designmuseum ja schon manchmal sein. Gegenstände, die man doch eigentlich be- und abnutzen soll, werden aus den Wohnzimmern, Küchen und Kleiderschränken gerissen und wie unantastbare Skulpturen und Gemälde präsentiert. Aber dieser Panik vor zu viel White-Cube-Vitrinen-Sterilität greift das Museum auch hier im Untergeschoss vor. Neben der Wunderkammer wurden Zimmer eingerichtet, die so etwas wie «ideales Wohnen» vor Augen führen. Man darf sie zwar nicht wie so manchen sogenannten «period room» in anderen Museen betreten, aber Kinderbetten, Schreibtische, Stühle, Sessel, Schränke und Lampen stehen in greifbarer Nähe an den aus dem Alltag bekannten Plätzen.
Die Zeitreise beginnt im Jahr 1918, einer Zeit also, in der sich die «schnörkellose Form» bereits durchgesetzt hatte, Designer sich aber noch fragten, ob sie eher an das «stilechte Maschinenerzeugnis» oder an das «kunsthandwerkliche Einzelstück» glauben sollten. Traugott Strauss entwarf um 1923 einen bunten Himmelbettkasten für Kinder, das Architekturbüro Von der Mühll ein bis zwei Jahre später Armlehnstühle aus Nussbaum für den Empfangsraum. Etwas weicher wird das Sitzen und Liegen in den dreissiger Jahren, als Max Ernst Haefeli ein Bettsofa als Wohnbedarf-Modell vorstellte.
Fast alle Ausstellungsstücke, ob von Marcel Breuer oder Max Bill, erinnern daran, wie sehr wir der Ästhetik dieser Designväter bis heute verfallen sind. Die einzige Ausnahme sind die «Relaxer» aus dem Jahr 1970 von Werner Müller, ein geschwungenes Sesselglanzstück mit Fusshocker aus Polyester (glasverstärkt, Gelcoat eingefärbt), das hier im «Pop»-Zimmer steht. Sollte ein ähnliches Exemplar oben in der schönen «Swiss Design Lounge» stehen, wird wohl niemand darauf verweilen. Wobei so gute Museen wie dieses ja bekanntlich den Geschmack prägen.
Museum für Gestaltung Zürich, Eröffnungsfest Freitag, 2. März, ab 19 Uhr und Samstag, 3. März, 10 bis 18 Uhr. «Oïphorie: atelier Oï», bis 30. September.