Gebauter Humor

Berlin verdankt Gustav Peichl zwei mütterliche Brustkuppeln, Österreich sendet Tag für Tag aus seinen Tortengebäuden. Heute wird der Architekt und Karikaturist Gustav Peichl neunzig Jahre alt.

Ulf Meyer
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Heute feiert Gustav Peichl seinen 90. Geburtstag. (Bild: Imago)

Heute feiert Gustav Peichl seinen 90. Geburtstag. (Bild: Imago)

Die herrlichen Sphären des Humors und der Baukunst kennen keine Überschneidungen. So wie selbst ein guter Witz beim zweiten Hören nicht mehr lustig ist, so verliert auch gebauter Humor sofort seinen Reiz. Das hat den österreichischen Architekten Gustav Peichl, der auch als Karikaturist mit spitzer Feder Bekanntheit erlangt hat, nicht davon abgehalten, seine beiden grössten Talente immer wieder miteinander verbinden zu wollen. Das beste Beispiel für Peichls gebaute Pointen ist der Kindergarten für den Nachwuchs der Abgeordneten des Deutschen Bundestags. Peichl hat ein blass-blaues Gebäude mit zwei grossen Kuppeln entworfen, das neben dem riesigen Band des Bundes im Zentrum der deutschen Hauptstadt wie ein süsses Stück Wiener Gebäck wirkt. Die beiden Kuppeln sollen mütterliche Brüste darstellen, in deren Nähe die Politiker-Kinder gedeihen sollen. «Dolly Buster»-Gebäude wird Peichls Entwurf folgerichtig genannt. Heute feiert der Architekt Gustav Peichl seinen 90. Geburtstag.

Wie kein zweiter zeitgenössischer Architekt hat Peichl es allerdings in seinen weniger zotigen Werken verstanden, den Bogen von der Spät- zur Postmoderne zu schlagen, ohne sich dabei zu verrenken. Peichls lebenslange Nähe zu staatlichen Bauherren steht im umgekehrten Verhältnis zu seiner schelmischen Art, seinen prominenten politischen Auftraggebern bisweilen einen gebauten Scherz unterzujubeln.

Als eine Art baukünstlerischer Hofnarr der Ära Helmut Kohl hat Peichl zweimal entscheidenden Einfluss auf die Architektur der Berliner Republik genommen – und in beiden Fällen ist ihm für das Ergebnis zu danken: Sowohl die Beauftragung von Axel Schultes und Charlotte Frank für das Bundeskanzleramt als auch jene von Ieoh Ming Pei für den Bau des Wechselausstellungshauses des Deutschen Historischen Museums wäre wohl ohne den Wiener Ratgeber nie zustande gekommen.

«Ironimus»-Zeichnungen

Unter dem Signum «Ironimus» hat Peichl lebenslang parallel zu seiner Karriere als Architekt für Tageszeitungen, allen voran für die Wiener «Presse» und die «Süddeutsche Zeitung» aus München, mehrere tausend Karikaturen gezeichnet, die heute in mehreren Museen und grafischen Sammlungen zu sehen sind. Peichls gezeichnete Kommentare erschienen über einen Zeitraum von sieben Jahrzehnten hinweg. Peichls Strich-Karikaturen zeichnet ebenso wie seine architektonischen Entwürfe eine gradlinige «ligne claire» aus.

Seine architektonische Prägung hat Peichl durch Clemens Holzmeister im Studium an der Akademie der bildenden Künste (an der Peichl später selbst erst Professor und dann Rektor wurde) und Roland Rainer als erstem Arbeitgeber erfahren, er hat sich aber bald von diesen Vorbildern freigeschwommen und einen eigenen Stil gefunden. Einige Jahre nach der Gründung von Peichls eigenem Architekturbüro 1955 in Wien kam der Durchbruch mit dem Bau von mehreren ORF-Landesstudios. Als «sinnliche Hightech-Objekte» und «Schmuckstücke» wurden die TV- und Radiosender für den Österreichischen Rundfunk bezeichnet. Die Studios in Salzburg, Linz, Innsbruck und Dornbirn wurden 1972 eröffnet, in den achtziger Jahren folgten jene in Graz und Eisenstadt, 1998 auch das in St. Pölten. Die Räume sind dabei meist um ein rundes Zentrum in Form von Kuchenstücken angeordnet, weshalb die Studios bald den Spitznamen «Peichl-Torte» bekamen.

Maschinenästhetik

In keinem Land ausser in Österreich hat Peichl mehr gebaut als in Deutschland und in keiner Stadt häufiger als in Berlin. Die moderne Schiffsästhetik übertrug Peichl beispielsweise in die Baukunst beim Entwurf seiner «Phosphat-Eliminierungs-Anlage» in Berlin, die 1985 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) am Tegeler See gebaut wurde. Sie war wie die Kommandobrücke eines Tankschiffes gestaltet, doch gelang Peichl hier eine wärmere, mitteleuropäische Version der Maschinenästhetik, mit der die britische Hightech-Architektur damals weltweit reüssierte.

Drei grosse Kulturbauten in Deutschland stechen aus Peichls Œuvre hervor: die Bonner Bundeskunsthalle, eine hellblaue Riesenbox, verziert mit neckischen Glas-Hütchen, der Erweiterungsbau des Frankfurter Städel-Museums und der Neubau der Münchner Kammerspiele. Peichls Heimatstadt Wien wird geprägt von seinem Millennium Tower (mit Boris Podrecca) – mit 202 Metern ehemals das höchste Gebäude in Österreich – und den neuen Messehallen in Wien.

Ist Peichl in erster Linie Architekt oder Karikaturist? Er selbst beantwortete die Frage mit einer Portion Wiener Schmäh: Das Architekten-Dasein mache 70 Prozent seiner Zeit aus, 20 Prozent das Leben als Karikaturist … «und 10 Prozent das Vergnügen und Flirten».

Im Karikaturmuseum Krems wurde am 3. März die Ausstellung «Ironimus 90 – Jetzt mal keine Politik!» eröffnet. Sie wird von Gottfried Gusenbauer und Markus Peichl kuratiert und zeigt über fünfzig Zeichnungen aus den Jahren 1948 bis 2018.