Diese Schulhäuser junger Architekten weisen den Weg in die Zukunft

Zwei Schweizer Gemeinden arbeiten mit jungen Architekturbüros zusammen – die neuen Schulhäuser überzeugen alle, vor allem den Nachwuchs.

Philippe Jorisch
Drucken
Das neue Schulhaus in Port des Architektentrio Basil Spiess, Silvia Weibel Hendriksen und Martin Zimmerli; die Klassenzimmer wurden unter einem grossen, mehrfach gefalteten Dach zusammengefasst. (Bild: Simon von Gunten)

Das neue Schulhaus in Port des Architektentrio Basil Spiess, Silvia Weibel Hendriksen und Martin Zimmerli; die Klassenzimmer wurden unter einem grossen, mehrfach gefalteten Dach zusammengefasst. (Bild: Simon von Gunten)

Es ist ruhig in Port, einer Vorortgemeinde am Nordhang von Biel mit Ausblick auf den Jurasüdfuss. Inmitten von Einfamilienhäusern ertönt ein Pausengong, und die Stille weicht einem bunten Kuddelmuddel. Fussball und Kletterspinne auf dem Rasen, Basketball und Hüpfspiele auf dem Hartplatz. Von Osten und Westen strömen weitere Schulkinder auf den Quartierhof – mit einer traditionellen Bildungsstätte hat dieser neue Ort nichts zu tun. Eine Primarschule ist typischerweise ein mächtiger Altbau an prominenter Lage oder ein langgezogener Betonriegel mit batterieartig aufgereihten Schulzimmern. Der Neubau in Port sieht aus, als ob unzählige kleine Holzhäuschen aneinandergereiht wurden. Die Fassade ist zickzackförmig, lang und flach – wie eine hölzerne Sternschnuppe, die im Einfamilienhausquartier gelandet ist.

«Eine neue Schule zu bauen, das ist für unsere kleine Gemeinde ein Jahrhundertprojekt», sagt Beat Mühlethaler, Gemeindepräsident von Port. Denn Schulen sind grosse Investitionen und spielen auch im dörflichen Vereinsleben am Abend oder an Wochenenden eine wichtige Rolle. Aber wie kommt es zu dieser eigenwilligen, wunderbaren, neuen Gestaltung?

Schulbildung wird heute ganz anders ausgestaltet als noch vor einigen Dekaden: Erwachsene erinnern sich an Frontalunterricht, Diktate und schriftliches Dividieren. Die heutigen Schulkinder lernen stattdessen oft in Gruppen und üben sich sowohl im Gebrauch analoger wie digitaler Medien – darauf haben sich die kantonalen Erziehungsdirektoren 2006 in einem Konkordat geeinigt. Neue Schulhäuser müssen somit auch kleinere Gruppenarbeitsräume und Platz für klassenübergreifende Projekte anbieten und integrieren nicht selten auch einen Kindergarten in denselben Bau. Doch diese Anforderungen alleine führen nicht automatisch zu einem Sternschnuppen-artigen Holzbau wie in Port.

Nachwuchstalente

Bei öffentlichen Bauten sind Gemeinden verpflichtet, Konkurrenzverfahren durchzuführen. Auch junge Architekturschaffende erhalten bei diesen anonymen Wettbewerben die Chance, einen Vorschlag einzureichen. Renommee, Erfahrung und Beziehungen spielen dabei ausnahmsweise eine untergeordnete Rolle – für die neutrale Jury zählt allein das beste Projekt. Deshalb kann es wie in Port vorkommen, dass ein Newcomer-Team mit einer mutigen Idee gewinnt. Den Entwurf für die neue Primarschule in Port zeichnete das Architektentrio Basil Spiess, Silvia Weibel Hendriksen und Martin Zimmerli im Frühjahr 2013 in einem kleinen Einzelbüro eines zwischengenutzten Geschäftshauses im Zürcher Seefeld.

«Wir wollten eine Schule bauen, die man höchst ungern schwänzt»

Das Team konnte es kaum fassen, als wenige Wochen später das Telefon klingelte, mit der märchenhaften Siegesbotschaft aus Port. Es war der Startschuss zur Realisierung des Erstlingswerks von Skop Architektur & Städtebau, wie sich das junge Trio professionell nennt. Zwei Jahre später ereignete sich in Wartau bei Sargans eine fast identische Geschichte: Christian Felgendreher, Johannes Olfs und Christina Köchling – ebenfalls ein junges Dreierteam – gewannen den Wettbewerb für den Neubau der dortigen Primarschule. Die Einweihung der Schule in Port war letzten Herbst, in Wartau liegt die Baubewilligung vor. Sowohl in Port als auch in Wartau laufen künftig über 200 Kinder aus ihren Einfamilienhäusern einem Hang entlang in neuartige Schulhäuser, die weder markant hoch noch unendlich lang sind – sondern flach wie ein Teppich. Martin Zimmerli von Skop sagte erst kürzlich: «Wir wollten eine Schule bauen, die man höchst ungern schwänzt».

Wer kann sich nicht an dunkle Gänge und anonyme Treppenhäuser in alten Schulhäusern erinnern? In Port liegen sämtliche Klassenzimmer sowie drei Kindergartengruppen auf einem einzigen Geschoss und treffen in der Hausmitte auf eine mit Tageslicht durchflutete Lernlandschaft. Wilde Wandtafel-Kreidezeichnungen schmücken die grossen schwarzen Wände zwischen den hölzernen Garderobenmöbeln, und an den Rundtischen davor diskutieren die Kinder in Kleingruppen. Pingpong und Tischfussball stehen mitten im Raum. Es ist laut, lebendig und bunt. Man kann quer durch das gesamte Schulhaus blicken, trotzdem erinnert die Lernlandschaft mit vielen Nischen, Ecken und unterschiedlichen Raumhöhen eher an eine arabische Marktstrasse als an einen Gang. Hier probte im Dezember der gemeinsame Weihnachtschor von Kindergarten und Schule, drehten und schnitten die Schüler bereits Kurzfilme mit den iPads und möchte der Schulleiter in dieser Lernlandschaft ein grosses Theater aufführen.

Was von aussen aussieht wie unzählige kleine Holzhäuschen, sind in Tat und Wahrheit die einzelnen Klassenzimmer – zusammengefasst unter einem grossen, mehrfach gefalteten Dach. Hier arbeiten die Schüler konzentriert und ruhig. Ähnlich einer schicken Altbau-Dachwohnung hat die schräge Zimmerdecke eine komplexe Form mit quer durchlaufendem First. Diese diagonale Geometrie hat System: Von innen nimmt man gar nicht wahr, dass sämtliche Zimmer schräg zu den angrenzenden Einfamilienhäusern stehen. Dieser verblüffende Effekt stellt sich erst ein, wenn man diagonal aus den verglasten Ecken der Schulzimmer heraus rechtwinklig auf die Nachbarhäuser blickt.

Neue Baukultur

Historische Beispiele für eingeschossige Schulhausanlagen inmitten von Wohnquartieren finden sich vor allem in der Architektur der Nachkriegszeit. Drei Bauten nahmen sich die Jungarchitekten von Skop für den Entwurf ihrer Schule in Port zum Vorbild: das Geschwister-Scholl-Mädchen-Gymnasium in Lünen von Hans Scharoun, die Munkegard-Schule in Dyssegard bei Kopenhagen von Arne Jacobsen und die Montessori-Schule in Delft von Herman Hertzberger. Skop liessen sich bei Herzberger vom Prinzip der diagonalen Grundrissorganisation inspirieren – bei Jacobsen und Scharoun faszinierte das Pavillonartige. Die neue Schule in Port ist mit 44 mal 78 Metern zwar das am meisten ausladende Haus im gesamten Dorf, sie wirkt aber bodennah und grazil zugleich. Für den Entwurf von Felgendreher Olfs Köchling in Wartau stand hingegen ein Wohnhaus Pate: Die Jungarchitekten waren begeistert vom Schotten-artigen Grundriss der Unterkunft für Athleten der Winterolympiade 2006 in Turin von Roger Diener. In Wartau verteilen sie sämtliche Schulzimmer in einer grossen rechteckigen Kiste und spannen fünf langgezogene Giebel darüber. So entsteht ein Dorf im Dorf. Jedes einzelne Zimmer hat die Form eines kleinen Hauses. Die Schulkinder werden künftig inmitten all dieser Klassenzimmer-Häuschen einen gedeckten Dorfplatz in Beschlag nehmen.

Als in Wartau die Namen hinter dem anonymen Siegerprojekt verlesen wurden, musste der Gemeindepräsident Beat Tinner erst einmal leer schlucken. Felgendreher Olfs Köchling waren 2015 noch drei Unbekannte mit Postadresse in Berlin. Heute haben die jungen Senkrechtstarter bereits viele weitere Wettbewerbe gewonnen – nicht ganz zufällig auch in der Schweiz. Denn die drei Büroinhaber arbeiteten nach dem Studium bei renommierten Architekturbüros in Basel und Zürich. Sie sind typische Vertreter einer Generation von stillen Schaffern, die mit wenigen klaren Linien etwas Unaufgeregtes und dennoch Neues kreieren. Gemeindepräsident Tinner reiste vor zwei Jahren nach Berlin, um das frisch gegründete Büro zu rekognoszieren, und liess sich vom lokalen Trio auf dem Fahrrad durch die Stadt führen.

Die Zusammenarbeit könnte heute kaum besser sein, bestätigen beide Seiten. Ähnlich tönt es in Port, wo Gemeindepräsident Mühlethaler sichtlich stolz ist auf das neue Schulhaus mit dem grossen Dach, welches nebenbei noch Solarstrom für den Jahresverbrauch von fünfzig Haushalten liefert. Nach der Schlussrechnung liegt der Preis für dieses Jahrhundertprojekt um mehr als eine Million Franken unter dem genehmigten Gesamtkredit der Stimmbürger. Port und Wartau vertrauten der jungen Architektengeneration und erhalten dafür höchste Baukultur für ihre Kinder.