Design macht vielleicht das Leben schön – aber es gefährdet die Welt

Bereits in den 1970ern warnte Victor Papanek vor Produkten, die auf Kosten der Umwelt im Überfluss hergestellt werden. Jetzt wird der Design-Philosoph von Gestaltern und Kuratoren neu entdeckt.

Susanna Koeberle
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Kreativität heisst auch Verantwortung – das machte Victor Papanek in seinem 1971 erschienen Buch «Design for the Real World» klar.

Kreativität heisst auch Verantwortung – das machte Victor Papanek in seinem 1971 erschienen Buch «Design for the Real World» klar.

Dass jeder Mensch ein Künstler ist, lehrte uns Joseph Beuys. Aber ist jeder Mensch auch ein Designer? Ja, sagt Victor Papanek in seinem Buch «Design for the Real World» aus dem Jahr 1971. «Fast alles, was wir tun, ist Design, ist Gestaltung, denn das ist die Grundlage jeder menschlichen Tätigkeit», so der österreichisch-amerikanische Design-Philosoph, der zwanzig Jahre nach seinem Tod wieder in aller Munde ist.

Was meint Papanek mit Design? Was bedeutet diese Annahme für die Disziplin Design? Und wie könnte man heute die Aufgabe von Design beschreiben? Solchen Fragen ging etwa jüngst eine internationale Konferenz an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel nach. «Beyond Change: Questioning the role of design in times of global transformation», lautete der Titel der Veranstaltung, an der auch Victor Papaneks Positionen präsentiert und diskutiert wurden.

Amelie Klein, Kuratorin am Vitra Design Museum, bereitet zurzeit eine Ausstellung über ihn vor, die im Herbst eröffnet werden soll. Was steckt in einem Buch, das vor über 40 Jahren geschrieben wurde und so relevant für die Gegenwart zu sein scheint? Obwohl «Design for the Real World» in 23 Sprachen übersetzt wurde und zu den wichtigsten Büchern im Bereich Designtheorie gehört, war sein Name lange nur Insidern bekannt.

Konsumkritik

Victor Papanek war eine komplexe Figur. 1923 in einer jüdischen Familie geboren, emigrierte er 1939 nach dem Anschluss Österreichs in die USA. Dort studierte er Design und Architektur (unter anderem bei Frank Lloyd Wright), unterrichtete später an verschiedenen Universitäten, reiste viel in der Welt herum und arbeitete auch mit der Unesco und der World Health Organization zusammen. Die Recherchen zur Ausstellung förderten zutage, dass er auch für die amerikanische Armee tätig war. Die Schattenseiten seiner multiplen Aktivitäten ändern aber nichts an der Aktualität und Relevanz seiner Gedanken.

Betrachtet man heute im Designdiskurs präsente Themen wie etwa «Do it yourself», «User centred design», «Co-design», «Life cycle design» oder «Customization», dann sind das genau die Themenfelder, die Papanek vor mehr als vier Jahrzehnten beschäftigten. Ebenso aktuell ist seine Kritik an Design als Erzeuger von überflüssigen Konsumgütern, die eher zu Problemen beitragen, als diese zu lösen. Auch bezüglich der Rolle des Designers äusserte er sich kritisch, wie die ersten Zeilen des Vorworts zu seinen bekanntesten Publikation zeigen: «Es gibt Berufe, die mehr Schaden anrichten als der des Industriedesigners, aber viele sind es nicht.»

Designer sind bis heute mehrheitlich damit beschäftigt, noch mehr Produkte in die Welt zu stellen. Nicht wirklich ein Beitrag zu einer nachhaltigeren Welt.

Hoppla! Kein Wunder, stiessen seine Aussagen Designern damals sauer auf. Und könnten durchaus auch heute für rote Köpfe sorgen. Denn bei aller Nachhaltigkeit, Intelligenz und Effizienz, Kategorien, die heute quasi als moralische Imperative über die Outputs der Designer wachen: Designer sind bis heute mehrheitlich damit beschäftigt, noch mehr Produkte in die Welt zu stellen. Nicht wirklich ein Beitrag zu einer nachhaltigeren Welt.

Tatsächlich scheint die Zeit reif für eine neue und adäquate Rezeption von Papaneks Gedankengut. Denn Umweltschäden, Konsumkritik oder wachsende Armut lösten zwar in den späten 1960er Jahren Revolten aus, aber dann flaute das Interesse an diesen Themen wieder ab. Die Globalisierung und die damit verbundenen Probleme wie Klimaerwärmung, Ressourcenknappheit oder soziale Ungerechtigkeit haben die Situation aber drastisch verschärft. Und ein Handeln scheint deswegen dringender denn je. Auch was Design betrifft. Dieses sollte laut Papanek keine elitäre Angelegenheit sein, die dazu führe, dass modische und unbequeme Designobjekte für eine privilegierte Minderheit auf den Markt geworfen werden. Design, das solchen Mustern folgt, findet er dekadent. Diesbezüglich würde der gute Mann heute auf manch einer Messe oder auf Events rund um sammelwürdiges Design fündig werden.

Design für alle

Kreativität heisst eben auch Verantwortung, macht Papanek an mehreren Stellen in seinem Buch deutlich. Im Zentrum seiner Überlegungen standen immer der Mensch und seine Bedürfnisse, mit anderen Worten der Konsument. Der eben diverser ist als eine Lifestyle-orientierte Kundschaft. Design betrifft auch unterprivilegierte Teile der Bevölkerung, und zwar nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in unseren Breitengraden. Was das konkret für die Rolle des Designers bedeutet, lässt sich nur nicht so einfach definieren.

Papanek hoffte damals, mit seinem Buch zu einem neuen Denken bezüglich Designprozessen beizutragen. Aber viel weiter scheinen wir heute nicht gekommen zu sein. Hiesse das, das Feld zu öffnen, statt die Rettung der Welt an die Designer zu delegieren? Dies war auch der Tenor an der Konferenz in Basel. Das würde zugleich bekräftigen, was Papaneks Kernbotschaft ist: dass wir alle Designer sind. Was nicht heisst, dass wir beginnen sollten, Möbel herzustellen, sondern lediglich die Wahrnehmung für unseren Gebrauch von Design schärfen müssten.

Das wortlastige Werk dieses Denkers in eine anschauliche Ausstellung zu übertragen, wird schwierig sein. Im Vitra Design Museum sind auch partizipative Formate geplant, «die bewusstmachen, dass Papaneks Themen jeden Einzelnen von uns in seinem ganz banalen Alltag betreffen. Wir könnten uns entscheiden, sie diesmal nicht aus der Mode geraten zu lassen», so die Kuratorin Amelie Klein.