Zeitschrift

TEC21 2018|18-19
Himmel aus Holz
TEC21 2018|18-19
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Respektvolle Krönung

Das Waadtländer Parlamentsgebäude von Atelier Cube im Zentrum von Lausanne ist eine Lektion in selbstbewusster Gestaltung im Zwiegespräch von Alt und Neu. Es fügt sich mit einem Zeltdach selbstverständlich in das mittelalterliche Ensemble und verbirgt nirgends seinen modernen Gestus.

4. Mai 2018 - Charles von Büren
Das politische und historische Herz der Stadt Lausanne thront mit seiner Kathedrale, dem Schloss Saint-Maire, dem Grand Hôpital und dem Kantonsparlament hoch über der Place de la Riponne auf der Colline de la Cité, kurz «La Cité» genannt. Das Quartier wirkt wie eine beschauliche Insel im Treiben der hügelreichen Umgebung. Eine Ruhe, die in der Nacht vom 13. auf den 14. Mai 2002 jäh unterbrochen wurde: Das damals in Restaurierung befindliche klassizistische Parlamentsgebäude vom Architekten Alexander Perregaux von 1804 brannte ab.

Das war für Lausanne und die Waadt auch kunstgeschichtlich eine Katastrophe. Dennoch ergab sich so die Chance, das seit 1997 geplante Projekt einer Restaurierung und Erweiterung mit einem unterirdisch angelegten Saal über Bord zu werfen und aus der Not eine Tugend zu machen. Ein neuer internationaler Wettbewerb führte zum Projekt der Architekten Atelier Cube, Lausanne, und Bonell i Gil, Barcelona. Als Ingenieur für das Holzdach zeichnet Yves Weinand, Professor am IBOIS der EPFL, verantwortlich.

Das Dach des Anstosses

Das Wettbewerbsprojekt von Marc Collomb und Esteve Bonell lief unter dem Namen «Rosebud». Ähnlich einer stilisierten Rosenknospe krönte ein asymmetrisch gestaltetes Dach mit Zinnblechen gedeckt den Saal. Allerdings wurde dieser wie eine moderne geometrische Skulptur gedachte Eingriff in die Silhouette der Cité zum Vorwand für alle, denen ein zeitgemässer Neubau in historischer Umgebung nicht gefallen wollte. Mit einer tief greifenden Umplanung des Projekts, einer Reduktion des Dachvolumens um einen Drittel, Verzicht auf die Asymmetrie und Ersatz des grauen Zinndachs durch heimische Ziegel kamen Bauherrschaft und Architekten einem drohenden Referendum zuvor.

Pierre Frey, Professor im Department ENAC der EPFL, verglich in seiner Kolumne[1] vor der Eröffnung diesen Kompromiss mit einer Narrenkappe, die eine freudlose Konstruktion aus Leimholz berge. Allerdings lässt sich über dieses Dach sehr wohl auch Gutes sagen. So fügt es sich zum Beispiel unaufgeregt in die Silhouette der Cité ein; der sachlich geformte Saal mit dem Dach ohne Pfetten und Sparren wartet nicht mit übertrieben festlichem Gepränge auf. Mit seinem golden schimmernden Birkenholz hat er jedoch einen angenehmen Charakter und eine herausragende Akustik. Bei klarer Sicht bietet er einen grossartigen Panoramablick über die Stadt bis hin zum Montblanc-Massiv am Südufer des Genfersees.

Das neue Parlamentsgebäude der Waadt ist in Form und Gestaltung eine zeitgemässe Architektur, die den Dialog vom Bestehenden zum Neuen sucht und auch findet.

Neu und Alt geglückt verbunden

Nach dem Umbau verfügt das waadtländische Parlament über drei unterschiedliche Zugänge. Der Haupteingang findet sich von Osten her an der Rue Cité-Devant. Eine Fassade in der historischen Häuserzeile wurde dafür geopfert und damit das Foyer in dieser Richtung erweitert. Eine unübersehbare, drei Geschosse hohe Verglasung markiert nun diesen Eingang und setzt ein modernes Zeichen in die ruhige Altstadtgasse. Eine skulptural gestaltete Freitreppe aus Stahlträgern mit Eichenholztritten dominiert die hinter ihr liegende Halle und führt entlang einer nun frei sichtbaren, historischen Fassade aus dem Mittelalter in die oberen Etagen. In diesem Erdgeschoss lädt eine Buvette mit angrenzendem Garten zu informellen Treffen ein.

An ihrem Fuss leicht trichterförmig verbreitert, führt die Treppe in drei Läufen und Podesten auf angenehm zu begehende Weise ins erste Niveau, das ein Sitzungszimmer und Arbeitsräume im benachbarten Altbau erschliesst. Mit einem markanten Schwung, der den Blick zum südlich gelegenen Platz und zu einem weiteren verglasten Zugang lenkt, erreicht sie mit zwei weiteren Läufen das Hauptgeschoss, von wo aus das Plenum und die benachbarte Vorhalle zugänglich sind. Diese Treppenpromenade zeigt beeindruckend, wie sich die historische Bausubstanz mit der neuen betonierten Fassade und ihren frei verteilten Fensteröffnungen ganz selbstverständlich vereint. Im ganzen Bau bleibt der durch Schalungsbretter mit Sorgfalt geformte Beton sichtbar. Die Verbindung zwischen historischer und neuer Architektur ist ausnahmslos geglückt.

Während der Ratssitzungen ist der Zugang von einem kleinen, südlich neben dem umzäunten Garten gelegenen Eingang möglich, der mit Glas einladend gestaltet wurde. Und bei besonderen Gelegenheiten werden die drei Tore des ehemaligen Peristyls zur Esplanade geöffnet. Dieser Fassadenteil blieb nach dem Brand glücklicherweise erhalten – die reich verzierten Holztore aus der Bauzeit waren für eine Restaurierung ausgelagert. So kommt es, dass die klassizistische Pracht des «Fronton Perregaux» weiterhin die Esplanade prägt.

Hinter dieser Fassade liegt das vom Korridor zum Plenarsaal zugängliche grosse Vestibül, ein Schmuckstück besonderer Art. Die abgebrannte Holzdecke ist als stützenfreie Betondecke wieder auferstanden, die die ehemalige asymmetrische, historische Dachform in abstrahierter Weise aufnimmt. Der alte Steinboden aus halbrunden Kieseln wurde neu verlegt, weil darunter die Klimaanlage untergebracht ist. Es handelt sich um eine Arbeit portugiesischer Handwerker, die mit Geschick und Kenntnis den mit Sternen und Wappen verzierten Boden wiederhergestellt haben.

Der Saal als hölzernes Zelt

Der Zugang zum Parlamentssaal erfolgt über einen schlichten Korridor, und erst die verglaste Doppeltür erlaubt den Blick in diesen quadratischen Raum mit seinen in acht Sitzreihen mit Mittelgang angeordneten 157 Plätzen. Der mit Eichenparkett belegte Boden weist eine leichte Neigung in Richtung Präsidium auf.

Die zeltartige Decke ist mit raumgreifend gekreuzten, der konstruktiven Versteifung geschuldeten Platten aus Brettsperrholz gegliedert. Das im First gekappte Zeltdach erlaubt ein vierteiliges Oberlicht, das den Saal sanft erhellt. Das Panoramafenster in der südwestlichen Raumecke zieht den Blick an. Decke, Wände und Pulte sind mit Birkenholz gestaltet, die Schreibflächen bestehen aus Linoleum. Die funktionale Gestaltung, das einfallende Tageslicht und die herausragende Akustik prägen dieses Herzstück der Anlage. Auffallend ist der bis ins Detail mit Sorgfalt ausgeführte Ausbau, ein Werk der auf Auditorien spezialisierten Firma André aus Yens.

Im Querschnitt wird sichtbar, dass die innere, zeltartige Decke über dem Saal nicht genauso geformt ist wie der pyramidenförmige Dachaufbau. Die über verdeckte Stahlplatten verschraubte Konstruktion gleicht eher einem unter dem Schutzdach liegenden Kuppeleinbau, wie er früher in Sakralbauten üblich war. Das mit regional produzierten Ziegeln aus Corcelles gedeckte Schutzdach kragt von 1.30 m bis auf Seite Garten drei Meter über die Fassade aus, schützt vor Regen und beschattet den Saal.


Anmerkung:
[01] Text von Pierre Frey auf www.espazium.ch

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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