Majestätisch war die Royal Academy of Arts schon immer. Mit einer Generalüberholung des Gebäudes durch David Chipperfield beweist die alte Institution 250 Jahre nach ihrer Gründung einen beeindruckenden Erneuerungswillen.
Die Royal Academy of Arts hat sich selbst ein Riesengeschenk zum 250. Geburtstag gemacht: den umfangreichsten architektonischen Eingriff ihrer Geschichte, einen Neubau am Altbau gewissermassen. Das Ergebnis ist zurückhaltend und sensationell in einem. Das muss man erst einmal hinbekommen.
Kein Wunder, dass alle Beteiligten, darunter Präsident Christopher Le Brun und Direktor Charles Saumarez Smith, blendender Laune sind. Als Architekt löste David Chipperfield ein vor Baubeginn gegebenes, damals noch verschwommen klingendes Versprechen ein. Subtile Interventionen wollte er vornehmen, hatte es geheissen, «die in ihrer Summe einen signifikanten Unterschied machen werden». Zuvor brachliegende, jahrelang ungenutzte Museumsräume wurden in der Folge neu belebt, ganze Fluchten von Ausstellungs- und Lehrsälen hinzugefügt, so dass sich die nutzbare Gesamtfläche des Hauses um 70 Prozent erhöhte. Die neuen Zimmer im betagten Bau strahlen heitere Gelassenheit aus. Chipperfield produzierte, was ihm auch schon im Neuen Museum, Berlin, gelang: eine fast nahtlose Fusion von alter Substanz und Erneuerung.
Doch kein noch so eleganter Museumsumbau kommt in einer Stadt wie London ohne Knalleffekt aus. In diesem Fall ist es ein riesiger Gang, der über zwei Treppen in den Untergrund des Gebäudes jeweils ab- und wieder aufsteigt – die Reise zum Mittelpunkt der Royal Academy als Clou im vorsichtig renovierten Gesamtensemble. Es ist, als ob man einen grandiosen Keller oder überdimensionalen Geheimgang betrete, der bis dahin verschlossen war, ein Abstieg in die Unterwelt des Museums: eine fabelhafte Passage, obwohl die Betonwände grau und nüchtern sind.
Es gab bereits einen bescheidenen Vorläufer dieses das Gebäude in ganzer Länge untertunnelnden Korridors, aber nur als internen Abstell- und Serviceraum. «Ich bin vielmehr daran interessiert, bei einem Projekt in die Tiefe zu graben, als etwas obendrauf zu setzen», erklärt David Chipperfield im Gespräch mit der NZZ. «Museen trachten typischerweise danach, Neues hinzuzufügen. Das interessierte mich nicht. Ich wollte lieber etwas finden, was schon da war.» Diese architektonische Entscheidung ist ein Triumph des Understatements.
Der Gang, der sich so diskret und massiv in die Eingeweide des Gebäudes bohrt, direkt durch die Mitte, ist nicht nur zum Spass da, sondern erfüllt den grössten Wunsch der Royal Academy an den Architekten: Er schafft eine Verbindung zwischen den beiden zur Royal Academy gehörenden Gross-Bauten, Burlington House und Burlington Gardens. Burlington House ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts Sitz der Royal Academy; zuvor war das palastartige, 1664 entstandene Gebäude eine Privatresidenz. Burlington Gardens, ein ehemaliges Gebäude der University of London, gehört erst seit 2001 zur Royal Academy of Arts. Für Direktor Charles Saumarez Smith besitzt dieser Gebäudeteil immer noch «die Grossartigkeit einer alten akademischen Institution». Der Zusammenschluss ihrer beiden Häuser macht die Royal Academy zu einer noch imposanteren Einheit.
Beim Durchqueren des neuen Korridors kommen die Besucher übrigens auch erstmals an den bisher den Blicken der Öffentlichkeit entzogenen Künstlerstudios vorbei: Siebzehn Stipendien vergibt die Royal Academy, die älteste Kunstschule des Landes, heute. Ein Unikum ist die allsommerliche Verkaufsausstellung, durch deren Einnahmen sich die Kunstschule finanziert. Auch Freizeitmaler können ihre Werke einreichen – Winston Churchill versuchte einmal erfolgreich sein Glück unter dem Pseudonym David Winter; Prinz Charles beteiligte sich 1987 und signierte etwas weniger einfallsreich mit «C». In diesem Jahr wird die Schau von Turner-Prize-Gewinner Grayson Perry kuratiert, der 1200 Werke aus rund 12 000 Einsendungen aussuchen darf.
Überhaupt ist die Royal Academy of Arts nicht nur hinsichtlich ihrer Zweiteilung in Museum und Akademie ein einzigartiges Konstrukt: Sie finanziert sich selbst, ist regierungsunabhängig und wird theoretisch von ihren rund 80 Mitgliedern – Künstlern und Architekten wie David Hockney, Tracey Emin und Anish Kapoor – geleitet. In der Praxis sind es Charles Saumarez Smith, der für das Personal zuständig ist, der künstlerische Direktor Tim Marlow sowie Präsident Christopher Le Brun, der über seine Position in der Royal Academy sagt: «Über mir ist nur noch die Königin.»
Mit der Queen trifft sich Le Brun alle zwei Jahre zum Bericht. Kürzlich durfte er sie durch die Ausstellung über Charles II führen, deren Werke alle aus ihren eigenen Beständen stammten. Bei der Gelegenheit erfuhr Le Brun, wie gut die königliche Kunstliebhaberin ihre Bilder kennt. «Sicher entdecken Sie in der Ausstellung noch neue Aspekte Ihrer Sammlung», hatte Le Brun zu sagen gewagt. «Certainly not», antwortete die Queen.
Trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer ungewöhnlichen, vielleicht sogar antiquierten Struktur versteht sich die Royal Academy als wichtiges Bestandteil in der Londoner Museumslandschaft. «Wir fügen die Sicht der Künstler hinzu», sagt Le Brun, der 26. Präsident der Royal Academy seit Joshua Reynolds, im NZZ-Gespräch. Doch auch die Business-Seite seiner Aufgabe geniesst Le Brun, der eigentlich Maler und Grafiker ist, als «phantastically interesting». Während seiner Präsidentschaft fand ab 2011 eine Entkrustung der internen Managementstrukturen statt, mit Unterstützung der Unternehmensberatung McKinsey. Zugleich wurden ehrgeizige, klug angelegte Ausstellungen zu Grosserfolgen beim Publikum und den Medien. Die Renovierung soll den inneren Aufschwung nun auch äusserlich dokumentieren. Rebecca Salter, die als «Keeper» der Royal Academy eine Art Stellvertreterin des Präsidenten ist, sagt: «Die Royal Academy hatte immer ein altmodisches Image. Wir hoffen, das jetzt zu ändern.»
Als grosses Plus sieht sie die Regierungsunabhängigkeit der Royal Academy: «Wir hoffen inständig, dass wir auch nach dem Brexit noch Studenten aus der EU anziehen. Sonst würden wir eine britische Kunstschule, und das wollen wir nicht.» Die Aufbruchsstimmung der alten Institution zog auch David Chipperfield an: «Die Verbindung von Akademie und Galerie macht die Royal Academy interessanter und signifikanter als andere Museen. Sie ist von einer Generation zur nächsten Bedeutungswechseln unterworfen. Im vergangenen Jahrzehnt legte sie ein energetisches Programm vor und entwickelte sich zur wichtigen Kunstschule. Sie will an Bedeutung und Gewicht gewinnen, und dabei will ich sie unterstützen.» Ein Novum nach ihrer Generalüberholung ist ein auch im Programm verankertes, verstärktes Interesse der Royal Academy an der Baukunst – mit Symposien, einem Hörsaal-Eröffnungsvortrag von Chipperfield selbst und einer Renzo-Piano-Ausstellung im September.
Rebecca Salter als «Keeper» der Royal Academy hat die Aufgabe, für «Order und Decorum» ihrer Institution zu sorgen. Denn die Royal Academy, die immer schon Rivalität und Debatten erlaubte, war traditionell auch Schauplatz erbitterter Auseinandersetzungen, zum Beispiel des berühmtesten Konkurrenzkampfs der englischen Kunstgeschichte: Joseph Mallord William Turner (1775–1851) erschien kurz vor der Eröffnung der grossen Jahresausstellung in der Royal Academy und setzte einen kleinen, roten Farbtupfer ins graue Meer eines Seestücks.
Dagegen sahen die Farben auf dem nebenan hängenden Bild von John Constable (1776–1837), der sein eigenes Werk gerade vervollständigte, plötzlich schwach aus. Fünfzehn Jahre hatte Constable an «The Opening of Waterloo Bridge» gearbeitet. Eine Minute später verwandelte Turner den Farbtupfer in eine Boje und verschwand wortlos. «Er war hier und hat einen Gewehrschuss abgefeuert», bilanzierte Constable niedergeschmettert. In England gehört die Story zur Folklore. Solch dramatische Auftritte habe es in den letzten Jahren nicht gegeben, behauptet Rebecca Salter: «Wir benehmen uns heute viel besser.»