Grosse Konzerne gehen architektonisch neue Wege

In der Unternehmenskultur hat das Co-Working-Prinzip längst die alten hierarchischen Arbeitsstrukturen verdrängt. Das verändert auch die Architektur. Statt Firmenzentralen werden Dörfer für Angestellte mitten in der Stadt gebaut.

Oliver Herwig
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Beim Merck Innovation Center in Darmstadt löst ein internes Band die Trennung einzelner Etagen auf. «Wir arbeiten alle auf einer Ebene», lautet die Botschaft. (Bild: PD)

Beim Merck Innovation Center in Darmstadt löst ein internes Band die Trennung einzelner Etagen auf. «Wir arbeiten alle auf einer Ebene», lautet die Botschaft. (Bild: PD)

Wenigstens dafür dürfen wir Amazon, Apple, Facebook und Google dankbar sein: Graue Flure und Zellenbüros haben ausgedient. Unternehmensarchitektur verlangt inzwischen wandelbare Kommunikationslandschaften. Häuser, die noch immer als Abbild und Körper hierarchischer Unternehmen dienen, werden umgebaut oder gar abgerissen wie das BASF-Hochhaus in Ludwigshafen von 1957.

«Architektur für Unternehmen dreht sich heute nicht mehr um Monumentalität, sondern um Werte», sagte Werner Sübai, Gesellschafter von HPP Architekten, jüngst im Museum für Angewandte Kunst Köln. Ist das ein Trend, eine geschickte PR-Aktion grosser Unternehmen oder gar ein Paradigmenwechsel? Sübai führte statt bekannter Ikonen wie des Chrysler Building oder des Düsseldorfer Dreischeibenhauses von 1960 lieber neue Werte – unternehmerisches Mindset – an: das Streben nach Gesundheit etwa, Individualisierung, Konnektivität, Urbanisierung, Neo-Ökologie, New Work und Globalisierung. Seine Schlussfolgerung: Architektur müsse ihnen einen Rahmen geben, der auch in dreissig Jahren noch relevant sei, und Arbeitsformen aufnehmen, «die wir heute noch nicht kennen».

Was das konkret bedeutet? Ultraflexible Räume mit reversiblen Wänden und offenliegenden Decken, aus denen Kabelkanäle und Anschlüsse hängen, die man später vielleicht einmal brauchen könnte? Eher nicht. Büros mit Zukunft zelebrieren das Miteinander, und zwar nicht mehr nur am Arbeitsplatz, sondern im Dazwischen, im Flur, im Eingangsbereich und in der schon zum Klischee verkommenen Lounge.

Campus mit Kita

Als die Architekten von Kadawittfeld den Wettbewerb um das Direktionsgebäude der AachenMünchener gewannen, punkteten sie mit noch einem genialen Schachzug. Sie klinkten das Firmengelände ins Netz der Strassen und Wege ein. Die Architekten wollten keinesfalls tote Restflächen, die nach Büroschluss wie schwarze Löcher in der Stadt wirken. Daher propagierten sie eine direkte Fussgängerverbindung vom Hauptbahnhof zum Zentrum, inklusive spektakulärer Freitreppe zwischen Aurelius- und Borngasse, während sich das Haus selbst entlang eines städtischen Boulevards organisiert. Die Hauptschlagader des Direktionsgebäudes bilden informelle Besprechungszonen. Das Haus selbst wird zu einer überbauten Flanier- und Kommunikationszone.

Nicht mehr das Büro sei entscheidend, sondern der Weg dorthin, sagt auch der Architekt Martin Henn, der gerade das neue Zalando-Headquarter für 6000 Angestellte am Spreeufer in Berlin-Friedrichshain baut. Ach was Hauptquartier, eigentlich handelt es sich um eine Art Campus mit angeschlossener Kita, der die Berliner Blockrandbebauung mit den üblichen Fingern grosser Bürobauten verschmilzt und dadurch Freiräume ins Haus bringt. Die mäandrierende Glashaut ist dabei nicht so entscheidend wie die innere Struktur des Gebäudes – angelegt als Netzwerk von Fluren, die übrigens augenzwinkernd «Catwalk» heissen. Ganz ähnlich arbeiten Henn Architekten beim Merck Innovation Center in Darmstadt, bei dem einzelne Etagen durch ein internes Band aufgelöst werden. Oben und unten sind hier faktisch aufgehoben. «Wir arbeiten alle auf einer Ebene», lautet die Botschaft.

Baustein der Stadt

Im 19. Jahrhundert stülpten Industrielle noch alte Herrschaftsarchitekturen über ihre hochmodernen Produktionsanlagen. Und noch vor fünfzig Jahren waren Unternehmenszentralen meist Monumente der Macht, mit langen Korridoren, Vorzimmern und Vorstandsetage. Heute aber schwärmen alle von Co-Creation, Co-Culture und Co-Working. Das hat Konsequenzen für die Corporate Architecture. Da ist plötzlich von einem Dorf der Angestellten samt Marktplatz die Rede – oder gar von einem Labor. Die Vertikale, Zeichen von Macht und Ordnung, wird durch das Netzwerk abgelöst – oder zumindest den Flachbau, wie im Langenthaler Hauptsitz der 3M EMEA (Marazzi + Paul Architekten AG Zürich). Transparenz und Offenheit nach innen, zeichenhafte Anmutung nach aussen – so lässt sich die Strategie vieler der jüngsten Neubauten von Unternehmen beschreiben. Corporate Architecture tritt damit vernetzt und kommunikativ auf wie noch nie. Das ist natürlich nicht nur der Menschenfreundlichkeit geschuldet, sondern hat einen unternehmerischen Nutzen. Wer sich wohl fühlt, sollte produktiver sein. Wer sich austauscht, bietet mehr Möglichkeiten, in der Gruppe auf neue Gedanken zu kommen.

Noch vor fünfzig Jahren wollten Unternehmenszentralen Monumente der Macht sein. Doch Hierarchie scheint in Zeiten von Facebook, Google und Airbnb out –Danach richtet sich die neue Corporate Architecture.Bild: Obwohl es noch kaum Patina angesetzt hat, steht das Lloyds-Gebäude in London beispielhaft für einen Firmenhauptsitz alter Schule: grosser, Eindruck schindender Wurf, gespickt mit technischem Wagnis, in diesem Fall einer nach aussen gekehrten Infrastruktur. (Bild: Jack Taylor / Getty)
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Lifte, Leitungen und Treppen verlegte der Architekt Richard Rogers nach aussen, innen zeigt sich der Hauptsitz der Versicherung ähnlich futuristisch. (Bild: Imago)
Im Stil kristalliner Klarheit und Härte demonstrierte das I.-G.-Farben-Gebäude die Macht des Unternehmens. Davon bleibt wenig übrig; nach dem Krieg diente der Bau des Architekten Hans Poelzig als US-Hauptquartier für Europa. (Bild: Imago)
Der Prunk der vergangenen Firmenstärke dient heute der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt. (Bild: Imago)
Als wäre ein Ufo in Suburbia gelandet: Der von Norman Foster entworfene Apple-Hauptsitz mitten im kalifornischen Cupertino übertrifft im Umfang noch das grösste Bürogebäude der Welt, das Pentagon. (Bild: Noah Berger / Reuters)
Auf den Anschein der Perfektion verpflichtet sich das Unternehmen Apple auch für seine Architektur. Nach der Eröffnung häuften sich Berichte, wonach Mitarbeiter mit den ultratransparenten, fast randlosen Scheiben kollidierten. (Bild: David Paul Morris / Bloomberg)
Die neue Corporate-Architektur besticht mit Unscheinbarkeit. Von aussen gibt sich der Hauptsitz von 3M Emea in Langenthal nicht als grosse Geste. (Bild: PD)
Innen aber üben sich Marazzi Paul Architekten in einer Transparenz und Offenheit, die in Kongruenz mit den neuen Arbeitsformen liegt. (Bild: Ben Zurbriggen)
Die Vernetzung darf auch auf die Strasse treten: Das Direktionsgebäude der AachenMünchener in Aachen verbindet mittels Fussgängerbrücke zwei parallele Gassen und fügt sich so ins Stadtbild, statt in ihm auftrumpfen zu wollen. (Bild: Jens Kirchner für Kadawittfeldarchitektur)
Die Hauptschlagader des Gebäudes bilden informelle Besprechungszonen, das Haus von Kadawittfeldarchitektur gleicht einer überbauten Flanier- und Kommunikationszone. (Bild: Jens Kirchner für Kadawittfeldarchitektur)
Auch beim Merck-Innovationszentrum von Henn Architekten gibt die Glashaut weniger her als die innere Struktur des Baus. (Bild: HGEsch)
Einzelne Etagen werden durch ein internes Band aufgelöst, oben und unten sind hier faktisch aufgehoben. «Wir arbeiten alle auf einer Ebene», lautet die Botschaft des Darmstädter Unternehmens. (Bild: HGEsch) Zum Artikel

Noch vor fünfzig Jahren wollten Unternehmenszentralen Monumente der Macht sein. Doch Hierarchie scheint in Zeiten von Facebook, Google und Airbnb out –Danach richtet sich die neue Corporate Architecture.
Bild: Obwohl es noch kaum Patina angesetzt hat, steht das Lloyds-Gebäude in London beispielhaft für einen Firmenhauptsitz alter Schule: grosser, Eindruck schindender Wurf, gespickt mit technischem Wagnis, in diesem Fall einer nach aussen gekehrten Infrastruktur. (Bild: Jack Taylor / Getty)

So soll aus dem Unternehmens-Solitär ein wandlungsfähiger Baustein der Stadt werden und aus dem Ort der Macht und der Hierarchien ein Ort der Kommunikation. Gerhard Wittfeld, Geschäftsführer von Kadawittfeldarchitektur, sieht solche Architektur «als Schnittstelle zwischen virtueller und realer Welt» und verkauft sie gerne als «wichtigen Identitätsfaktor für die Mitarbeiter». Denn der «war for talents» geht in die nächste Runde. Angestellte können inzwischen einiges erwarten, wenn sie bei einem der grossen Konzerne anheuern. Die kalifornische Phalanx hat vorgelegt – so sehr, dass Salatbuffets, vegane Kost und Fitnessprogramme fast schon zum guten Ton gehören. Weiche Faktoren und nicht nur Einstiegsgehalt und Firmenwagen bestimmen, wie ein Unternehmen wirkt und welche Anziehungskraft es auf die künftige (digitale) Elite ausübt. Hinzu kommt längst auch eine Architektur der flachen Hierarchien. Bereits 2006 gab John Maeda mit seinen «Laws of Simplicity» die Arbeitsgrundlage des neuen Jahrtausends vor. Sein Schlüsselsatz in Bezug auf Macht(ausübung) lautete «Use less, gain more». Auf Architektur übertragen, könnte das heissen: weniger Macht zeigen und dafür bessere Mitarbeiter gewinnen.

Auch daher scheint Corporate Architecture nicht mehr auf ikonische Firmenzentralen angewiesen, die durch kristalline Härte (IG Farben), Hightech-Anmutung (Lloyd’s of London) oder Perfektion (Apple-Campus) Macht und Überlegenheit ausstrahlen; sie geht einen neuen, geschickteren Weg, um schlankeren Organisationen Ausdruck zu verleihen. «Durch ganzheitliche und integrative Konzepte können Unternehmen mit Architekten unsere Zukunft gestalten und einen Teil zur Lösung von ökologischen, ökonomischen, sozialen und politischen Herausforderungen beitragen», ist Jochen Siegemund überzeugt, der Corporate Architecture an der Kölner Technischen Hochschule lehrt. Das Schlüsselwort lautet «können». Die Gehäuse sind nun auf Kommunikation getrimmt. Bleibt die Frage, über was darin gesprochen wird – und werden darf.