Bauwerk

Bürgerzentrum Böheimkirchen
NMPB Architekten - Böheimkirchen (A) - 2018
Bürgerzentrum Böheimkirchen, Pressebild: Hertha Hurnaus

Das Ding aus einer anderen Welt

Wenn Bürgerproteste ein Projekt an den richtigen Platz rücken: Ursprünglich am Ortsrand geplant, stärkt das Amtshaus von Böheimkirchen als Erweiterung des alten Rathauses nun das Zentrum.

5. Mai 2018 - Christian Kühn
Eigentlich war alles ganz anders geplant. Die Gemeinde Böheimkirchen in Niederösterreich, zehn Kilometer östlich von St. Pölten gelegen, benötigte ein neues Amtshaus. Weil die Gemeinde mit ihren rund 5000 Einwohnern keinen adäquaten Veranstaltungssaal besaß, wollte man die Gelegenheit nutzen, mit dem Amtshaus auch einen Mehrzweckraum für 500 Besucher zu schaffen. Eine Bibliothek und Räume für eine Polizeistation rundeten das Raumprogramm ab.

Im Jahr 2005 beschloss die Gemeinde ein Budget für die Planung. Als Bauplatz wünschte man sich einen Ort möglichst im Zentrum, in unmittelbarer Nähe des Kirchbergs, an den sich viele öffentliche Institutionen schmiegen: das bestehende Rathaus, der Kindergarten und die Volksschule. Eine Fläche bot sich an: ein längliches, die Hauptstraße begleitendes Grundstück unmittelbar am Eingang zum Ortszentrum, das sich nach Süden in einen bestehenden Park erweitern ließ. Der Bauplatz schien aus mehreren Gründen ideal: Er liegt nur hundert Meter vom derzeitigen Rathaus entfernt, erlaubt eine Fortsetzung der bestehenden Bebauung an der Hauptstraße und bietet schließlich genug Platz für einen Veranstaltungssaal mit vorgelagerten Freiräumen. Dennoch war dieser Ort von Anfang an umstritten. Hier ein größeres Volumen zu platzieren, so argumentierten die Gegner, würde nicht nur ein Stück Parkfläche in Beschlag nehmen, sondern auch den Blick auf den Kirchberg beeinträchtigen. Und außerdem liege das neue Haus zwar nicht weit weg vom bisherigen, aber trotzdem außerhalb des eigentlichen Ortskerns. Eine neue Nutzung für das alte Rathaus lasse sich kaum finden, und so verliere das Zentrum weiter an Attraktivität.

Für den Bürgermeister und seine Partei überwogen die Argumente für den neuen Standort. Die Gemeinde kaufte Grundstücke an und bereitete einen Architekturwettbewerb vor, der im Dezember 2011 ausgeschrieben wurde, international, wie es die EU-Richtlinien verfügen, mit einem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren und angeschlossenem Projektwettbewerb. Noch bevor das Bewerbungsverfahren entschieden war, brachte sich eine Bürgerinitiative in Stellung. Sie forderte eine Volksbefragung zum Thema und konnte durchsetzen, dass die sieben Büros, die an der zweiten Stufe des Wettbewerbs teilnahmen, das Projekt in zwei Varianten ausarbeiten mussten: einmal nur als Gemeindeamt mit möglichst geringer Inanspruchnahme des Parks und einmal mit dem vollen Raumprogramm inklusive Veranstaltungssaal und Tiefgarage.

Die Bürgerinitiative berief sich unter anderem auf eine Initiative, die wie das Projekt des Bürgerzentrums ins Jahr 2005 zurückgeht. Damals war ein Projekt zur Untersuchung der Kulturlandschaften der Gemeinde in Auftrag gegeben worden. Das Projekt führte zur Anlage von vier Kulturlandschaftswegen, die sich im zentralen Grünraum von Böheimkirchen treffen, dem Schmidlpark, genau jenem Park, an dem auch das Gemeindezentrum geplant war. Was ursprünglich eher als Tourismusprojekt gedacht war, hatte zu einer Sensibilisierung der Bürger für das Thema Kulturlandschaft geführt. Die Ergebnisse des Wettbewerbs wurden im Juli 2012 der Öffentlichkeit vorgestellt. Der erste Preis ging an das Wiener Büro NMPB. Er erfüllte alle funktionellen Vorgaben und erweckte den Eindruck eines eleganten Raumschiffs, das sich nach Böheimkirchen verflogen und am Ortseingang angedockt hatte. Dass sich die Bürgerinitiative mit dieser milden Moderne anfreunden würde, war nicht zu erwarten. Die Emotionen gingen hoch, die Argumente schossen, wie oft in solchen Situationen, meist an der Sache vorbei. Das Projekt wurde als Tintenburg diffamiert, von Parkzerstörung war die Rede. Schließlich waren die Fronten so verhärtet, dass sich der Bürgermeister die Legitimation für das Projekt direkt beim Volk holen wollte. Für den 7. Oktober 2012 wurde eine Volksbefragung angesetzt.

Nun geschah etwas Erstaunliches: Die Bürgerinitiative startete eine Kampagne gegen die Volksbefragung. Was hätte es für einen Sinn, es in dieser Sache auf eine Entscheidung hinauslaufen zu lassen, bei der die Bürger nur Ja oder Nein sagen könnten? Stattdessen warb die Bürgerinitiative für eine Bürgerbeteiligung mit externer Mediation, also für Mitsprache und Mitgestaltung. Die politischen Parteien stiegen auf diesen Vorschlag ein und sagten die Volksbefragung ab. So begann stattdessen Ende Oktober 2012 ein moderierter Prozess, in dessen Rahmen die Gemeinde zusammenfand und eine Alternative entwickelte.

Die Gemeinde kaufte ein Grundstück direkt neben dem bestehenden Rathaus, auf dem sich ein Haus befand, das man guten Gewissens abtragen konnte. Das Volumen für den Neubau war damit vorgegeben, was eine Reduktion des Raumprogramms nötig machte. Die Polizeistation wurde ausgelagert, im Zentrum der Erweiterung standen das Bürgerservice, die Gemeindebibliothek und der Veranstaltungssaal.

Sascha Bradic, der für das „B“ im Büronamen NMPB steht und für den Projektentwurf verantwortlich zeichnet, hatte mit dem neuen Entwurf vor allem zwei Fragen zu beantworten: Wie lassen sich trotz des beengten Standorts öffentliche Freiflächen schaffen, und in welcher Form soll der Dialog zwischen dem bestehenden Rathaus und dem Neubau inszeniert werden? Die erste Frage beantwortete Bradic mit einer großen Dachterrasse, die direkt über die zentrale Treppe zugänglich ist, aber auch außen über eine Freitreppe, die hinter der Häuserzeile das Straßenniveau mit dem Plateau des Kirchbergs verbindet. Die Beantwortung der zweiten Frage gestaltete sich schwieriger. Bradic schlug zuerst ein Dach aus Glas vor, das Neu- und Altbau unter eine gemeinsame Klammer gesetzt hätte. Diese formal durchaus überzeugende Lösung rief allerdings das Denkmalamt auf den Plan, das auf der Erhaltung der Form und Materialität des alten Rathausdaches bestand. Statt einer großen Figur, die sich klar in der Gegenwart positioniert, entstanden so zwei annähernd gleichgewichtige Baukörper, die miteinander in Konkurrenz stehen.

Dass eine Form zur anderen passt „wie die Faust aufs Aug“, ist immer eine zweideutige Formulierung. In konkreten Fall weicht der anfängliche Schmerz rasch der Erkenntnis, dass Anpassung kein Thema war. Das Neue hat seine eigene Logik. Es könnte ein Stück aus einem urbanen Hochhaus sein, so wie die Rathausfassade aus dem Jahr 1897 ein Stück aus einem Ringstraßenpalais. Da stehen sie nun, zwei starke Charaktere, und reiben die Schultern aneinander.

Die Bürger von Böheimkirchen sind jedenfalls stolz auf das Ergebnis. Dass sie es nicht gegeneinander erkämpft, sondern miteinander entwickelt haben, wird dabei eine Rolle spielen. Einen Architekten, der unverdrossen über die Jahre alle Wendungen dieses Projekts mitgegangen und dabei nie seinen Qualitätsanspruch aufgegeben hat, braucht es dafür aber ebenso. Man merkt diesem Haus an, dass einander der Bauherr und sein Architekt, der in diesem Fall nicht nur für die Planung, sondern auch für die örtliche Bauaufsicht verantwortlich war, in jeder Hinsicht vertraut haben. Der Lohn dafür ist ein Projekt mit hervorragender Detailqualität, das am Ende die veranschlagten Kosten knapp unterschritt. In Zeiten, in denen Totalübernehmer immer offensiver behaupten, nur sie könnten Kosten- und Terminsicherheit garantieren, indem sie Planung und Ausführung in einer Hand vereinen, sollte das Beispiel zu denken geben.

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