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Die Sichtbarmachung des Gesehenen
Die Sichtbarmachung des Gesehenen © Pez Hejduk

Zur Entwicklung der Architekturfotografie in Österreich

Die Quantität der Medien zur Architekturvermittlung hat in den letzten zwanzig Jahren kontinuierlich zugenommen, nicht nur durch die Etablierung des internet, sondern auch im Bereich der fachbezogenen Publikationen. Neben den gängigen Architekturzeitschriften werden von Konzernen und größeren Firmen aus dem Bereich der Baustoffindustrie eigene Magazine herausgegeben, denn zeitgenössische Architektur ist zu einem Werbeträger geworden. Ein Produkt soll nicht nur in seiner technischen Spezifizierung als Detail eines Bauwerks dargestellt werden, sondern als systemimmanenter Teil eines architektonisch ansprechenden Gebäudes gesehen und aufgewertet werden.

19. November 2012
Von Judith Eiblmayr

Während vormals ein Gebäude in seiner Ausformung durch Text und Plan meist im Rahmen einer fachspezifischen Kritik betrachtet und analysiert wurde, nimmt der Textanteil bei der Vorstellung von Architektur stetig ab. Man überlässt die Aussage zu einem Bauwerk primär der Bildsprache und formuliert Begleittexte als reine Baubeschreibungen, die oft zu Bildbeschreibungen mutieren. Die Architekturfotografie hat sich demnach zum wichtigsten Medium der öffentlichen Rezeption von Bauwerken entwickelt - ein verstärkt emotionaler Zugang, sind Fotos doch immer Momentaufnahmen um eine Stimmung zu transportieren. Das Objektiv(-glas) ist nur vermeintlich objektiv, zu subjektiv ist das hinter dem optischen Gerät operierende Subjekt - es ist der Fotograf, die Fotografin primär, die über die Eindrücklichkeit eines abzubildenden Objektes bestimmt. „Die Kunstgeschichte der Fotografie erscheint als ein sich entwickelndes Ausschöpfen der im Medium Fotografie verborgenen Formalismen, als eine Externalisierung und Sichtbarmachung der intrinsischen Qualitäten des fotografischen Kalküls, worunter die technischen Möglichkeiten der Kamera, des Films, des Fotolabors, aber auch der Möglichkeiten der objektualen Inszenation vor und hinter der Kamera wie auch der sozialen Zirkulation des fotografischen Bildes in den Printmedien zusammengefaßt werden“[1], hieß es 1981. Dass mit der Digitalisierung der Fotografie sich weitere Optionen der (Nach-)Bearbeitung bieten würden und die Zirkulation der Bilder via internet in ungeahnter Quantität fortschreiten würde, konnte damals niemand ahnen.

Die Geschichte der Fotografie ansich begann 1826 mit der Abbildung von Gebautem. Es war der Blick aus seinem Fenster auf die Häuserlandschaft eines französischen Ortes, den der erste Fotograf, Joseph Nicéphore Nièpce (1765-1833), 1826 festhalten wollte. Das Motiv bot sich an, da die Belichtungszeit mehrere Stunden betrug und das Objekt stillhalten musste, um dessen Konturen auf dem Bildträger – in diesem Fall eine Zinnplatte - erkennen zu können. Mit Verfeinerung der Technik und Verkürzung der Belichtungszeit konnte man sich bewegten Motiven zuwenden, ab Mitte des neunzehnten Jahrhunderts wurden die Portrait- und die Landschaftsfotografie möglich.

Die Architekturfotografie galt in ihrer Anfangszeit auch in Österreich paradoxerweise der Dokumentation der Dekonstruktion. Als in Wien um 1850 nicht nur die Basteien geschliffen, sondern auch in der Innenstadt neue Schneisen durch „Alt Wien“ geschlagen wurden[2], erging von der k.k. Hof- und Staatsdruckerei der Auftrag während der Abbrucharbeiten eine Fotodokumentation zu erstellen. So sollten einerseits die historischen Bauwerke für die Nachwelt in Bildern festgehalten werden[3], andrerseits dienten diese Fotos wohl auch der Überprüfung der weiteren Planung der neuen Straßenzüge. Erst der Teilabbruch der Basteien ermöglichte neue Blickoptionen, die umgehend auf Bildträgern festgehalten wurden, auch um Planungen im neuen Maßstab der Gründerzeit überprüfen zu können. Gleichzeitig wirken Fotos dieserart im Sinne von Vanitas-Darstellungen: „Der Vorgang des Bauens steht ebenso wie der Verfall des Gebauten für einen Zwischenzustand, für das „Nicht-mehr“ und „Noch-nicht“. Diese Vorläufigkeit verweist auf ein Übergangsphänomen, das einer eigenen ästhetischen Zugangsweise bedarf. ... Das Abwesende sei es als Vergangenes oder noch Kommendes (und Vergehendes), kann aber nur im Hinblick auf das Anwesende begriffen werden und lässt sich von diesem nicht trennen. Wenn aber das Abwesende dem Anwesenden inhärent ist, was wäre dann eine Architektur, die sich der eigenen Abwesenheit öffnet?“[4].

Trotz der vermeintlich nüchternen Abbildung der Vorläufigkeit in Form von meterdicken Ziegelmauern neben properen Schuttbergen, oder eines chaotischen Stadtbildes mit zur Hälfte abgerissenen Altbauten, aufgerissenem Straßenpflaster, temporären Hilfsarchitekturen aus Holz, Pferdefuhrwerken und den am Prozess beteiligten Arbeitern[5], wurde ein wesentlicher Moment künstlerisch inszeniert und „belichtet“: Jener des Umbruchs - zwischen Abbruch des Alten und Aufbruch zu neuem, zeitgemäß Erbautem. Dieser Moment des Inne-Haltens - dessen semantische Ausformung sich am Besten im Englischen still wiederfindet -, wollte eingefangen werden, denn hierbei wird genau jene Spannung erzeugt, die das Wesen eines „guten“ Fotos ausmacht.

Zwanzig Jahre später folgten die Abbildungen des neu Erbauten und diese scheinen weit weniger spannungsgeladen zu sein, die Fotos der fertigen Wiener Ringstraße vermitteln eine vordergründige Leblosigkeit[6]. Den technisch perfekten und gestochen scharfen Werken ernsthafter Architekturfotografie haftet eine Künstlichkeit an, die an Theater- oder Filmkulissen erinnert und die Frage nach der Handlung aufwirft. Die Aufnahmen der neuen Straßenzüge rund um 1870 zeigen die Bauten unmittelbar nach der Abgerüstung, die Fassaden sind fertiggestellt, vereinzelt fehlen die Fenster in den mit historistischem Zierrat versehenen Wandöffnungen. Auch das Straßenpflaster ist verlegt, die Straßenlaternen sind montiert und die Alleebäume frisch gepflanzt. Menschen sind im Stadtbild kaum zu finden, noch harren die angelegten Flanierboulevards der Flaneure. Das Statische der Fotos überträgt sich auf den Betrachter, man erfasst, dass noch Zeit vergehen muss, bis diese neumaßstäbliche Stadt von Urbanität erfüllt sein wird. Die ortspezifische Spannung muss erst aufgebaut werden. Fotos vom Donaukanal aus der selben Zeit zeugen hingegen vom Großstadtleben. In der Dichte der Details für das Auge wird die Weiterentwicklung der Fototechnik mitgeliefert: Auf einem Gebäude, das über die historische Ferdinandsbrücke hinweg am Beginn der Taborstraße abgebildet ist, steht in großen Lettern „Fotografie“ geschrieben, Werbung für Fotos als erwerbliches Gut. Ab dem Jahr 1877 finden sich denn auch in der wichtigsten österreichischen Bauzeitschrift, der Allgemeinen Bauzeitung, neben Zeichnungen erstmalig Fotos fertig gestellter Bauwerke, als „rein sachliche Dokumentation“[7].

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erfreute sich die Avantgarde in Kunst und Architektur an der um sich greifenden Dynamisierung als Folge der zunehmenden Technisierung. „Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit der Welt durch eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit“, formulierte beispielsweise Filippo Marinetti (1876-1944) 1909 in einer Grundsatzerklärung der Futuristen. Während die Architektur in ihrer Formensprache „dynamisiert“, aber auch wie von den Konstruktivisten durch freigelegte Konstruktionen technisiert werden sollte, wurde in der Malerei durch den Kubismus das Motiv in Einzelteile zerlegt. Die Künstler lösten die konventionelle Blickweise auf und zwangen das Auge des Betrachters in einem dynamisch assoziativen Prozess das Bild wieder zusammenzusetzen. Dieser neuen Zugangsweise in Kunst und Architektur war die Entwicklung der movies, der bewegten Bilder vorausgegangen. Ab 1895 hatte die Erfindung der Filmkamera das Festhalten aneinandergereihter Fotos und somit die Darstellung eines kontinuierlichen Bewegungsablaufs möglich gemacht. Diese Dynamisierung der Einzelbilder bewirkte neue Wahrnehmungsphänomene, die im geschilderten künstlerischen Prozess aufgeworfen und überprüft wurden.

Für die Fotografie und speziell für die Architekturfotografie bedeutete dies einen verstärkt künstlerischen Zugang; Der Fotograf, die Fotografin beziehungsweise jene bildenden Künstler, die das Medium Fotografie in ihre Denk- und Produktionsweise einbezogen, brachten sich wie oben beschrieben verstärkt selbst ins Bild ein, indem sie die „Inszenation“ übernahmen.

Eugène Atget (1856-1927) war kein Architekturfotograf, aber er hatte sich zwischen 1898 und 1927 die leeren Straßen der verbliebenen Stadtviertel des alten Paris zum Thema gemacht und somit einen wesentlichen Beitrag zur europäischen Architekturdokumentation geleistet[8]. Er lieferte eine Art fotografischer Feldforschung und die Bilder der verlassenen Gassen haben wohl in ihrem anklagenden Charakter Publikumsinteresse erweckt, wenn Walter Benjamin beschreibt, dass Atgets Fotos erstmals Ausstellungswert besaßen: „Diesem Vorgang seine Stätte gegeben zu haben, ist die unvergleichliche Bedeutung von Atget, der die pariser Straßen um 1900 in menschenleeren Aspekten festhielt. Sehr mit Recht hat man von ihm gesagt, dass er sie aufnahm wie einen Tatort. Auch der Tatort ist menschenleer. Seine Aufnahme geschieht der Indizien wegen. Die photographischen Aufnahmen beginnen bei Atget Beweisstücke im historischen Prozess zu werden. Das macht ihre verborgene politische Bedeutung aus. ... Sie beunruhigen den Betrachter[9].“

Surrealisten, Konstruktivisten wie auch die Vertreter der Neuen Sachlichkeit begannen sich Anfang des 20. Jahrhunderts des Fotos zu bedienen, fallweise auch unter kontextualer Einbeziehung der Sprache um vielschichtige Aussagen zu treffen: „Die Fotografie ist eine wunderbare Entdeckerin jener Bereiche, die unsere Netzhaut nie registrieren wird“, sagte Man Ray (1890-1976)[10]. In ähnlicher Art konnotiert Roland Barthes (1915-1980) das Faszinosum Fotografie, wenn er schreibt: „Das zweite Element, welches das studium aus dem Gleichgewicht bringt, möchte ich daher punctum nennen; den punctum, das meint auch: Stich, kleines Loch, kleiner Fleck, kleiner Schnitt - und Wurf der Würfel. Das punctum einer Photographie, das ist jenes Zufällige an ihr, das mich besticht (mich aber auch verwundet, trifft)[11].“

Einer der Wegbereiter dieses Neulandes an Sehgewohnheiten war der amerikanische Fotograph Paul Strand (1890-1976), der die Fotografie als den einzig bedeutenden Beitrag der Wissenschaft zu den Künsten bezeichnete. Mit diesem theoretisch strukturellen Ansatz rahmte er 1915 die Bildausschnitte so, dass die abgebildeten Objekte in ihrer Strukturalität herausarbeitet wurden. Durch Betonung von deren Schattenwirkung tritt Architektur stark hervor - zum Beispiel um das Verhältnis von Mensch und Architektur neu zu definieren. Er setzt den Schatten als bildbestimmendes Element jedoch auch ein um einen grafischen Ästhetizismus von Maschinen bzw. Maschinenteilen zu erwirken und ist somit wohl einer der ersten Fotografen, der die Menschen bei der Bildbetrachtung zu neuen Sichtweisen zwingt. Die KünstlerInnen des „Neuen Sehens“ formulierten für das Foto „den Anspruch auf Gestaltung der Wahrheit[12].“ Erst das framing[13] des Bildausschnitts, die primäre Definition einer objekthaften Wichtigkeit durch den Fotografen, die technische Bearbeitung durch die Kamera und im Fotolabor, geben ein Schaubild wieder, das vom Rezipienten antizipiert wird: Angereichert um die spezifische Wahrnehmung, den jeweiligen Erfahrungsschatz und persönliche Konnotationen wird das Gesehene im „Kopfkino“ quasi in eine Bildgeschichte transformiert, die in Man Rays Sinn die Netzhaut zur Fotolinse reduziert[14].

Seit dem ersten Weltkrieg hatten die Konsumenten von Fotos neue (Schreckens-)Bilder im Kopf, waren sie doch mit den Fotografien von den Schlachtfeldern und verwüsteten Städten erstmalig via Zeitungen massenmedial konfrontiert worden. An den Fotodokumenten von Kriegsschauplätzen konnte das Ausmaß der Zerstörung festgemacht werden und dies diente nur vordergründig der Information; Mit der Abbildung der Schutthäufen sollte durchaus die Erschütterung der Bevölkerung evoziert werden. Hier wurde im Foto nicht mehr der Umbruch, sondern der völlige Zusammenbruch thematisiert und die emotionale Bildbotschaft eines notwendigen Neubeginns für die ZeitungsleserInnen gleich mitgeliefert. Dem „Neuen Sehen“ war demnach eine mediale Schulung des Auges bei der Bildbetrachtung vorausgegangen, die Kenntnis einer fragmentarischen Sichtweise gerade bei den Rezipienten von Architekturfotos konnte von den KünstlerInnen vorausgesetzt werden. „Das Auge der Kamera will nicht mehr das Auge des Menschen sein“, schreibt Wolfgang Kemp in Analogie zu Man Ray über „Das Neue Sehen“ und interpretiert eine Textsequenz von László Moholy-Nagy (1895-1946) folgendermaßen: „Das ist eine zentrale Passage: Sie stellt fest, dass die Kamera nicht nur das Sehen ergänzt, sondern anders sieht. Ihre Wahrheit ist die des optischen Apparates, wodurch auch in diesem Sektor die Eigengesetzlichkeit der Fotografie definiert wird: „Man kann sagen, dass wir die Welt mit vollkommen anderen Augen sehen. ... Es sieht so aus, als könne nur der Fotoapparat das moderne Leben abbilden“ (Zitat Moholy-Nagy)[15].“

Auch Lucia Moholy-Nagy (1894-1989), El Lessitzky (1890-1941) oder Tina Modotti (1896-1942)[16] verstanden es in ihren Fotografien den Fokus auf Teilaspekte von Gebautem zu richten, die vom jeweiligen Betrachter subjektiv vervollständigt werden konnten – sei es strukturell erweitert oder auf grafische Elemente mit Tiefenwirkung reduziert.

Diese Art des Neuen Sehens fand ihren Niederschlag auch in der österreichischen Architekturfotografie. Beispielsweise Julius Scherbs (1881-1965) Fotoserie der fertig gestellten Wiener Werkbundsiedlung von 1932 legt davon ein beeindruckendes Zeugnis ab: Angelegt als Baudokumentation, aber auch zu Werbezwecken für die Häuser der „Neuen Sachlichkeit“, stellt jedes einzelne Foto durch betontes Fluchten beziehungsweise „Modellieren“ der Fassaden mithilfe von Sonnenlicht und Schattenfall und der Herausarbeitung von baulichen Details – manchmal nur als grafische Verstärker ins Bild gerückt - ein durchkomponiertes, eigenständiges Kunstwerk dar.

Das Werk der österreichischen Architekturfotografin Lucca Chmel (1911-99)[17] ist ebenso dieser emotionalen Bildsprache verpflichtet. Sie verstand es vor allem bei Innenraumaufnahmen durch den gezielten Einsatz von künstlichem Licht ein staging zu betreiben: Jeder noch so kleinen Nebentreppe wird in ihren Bildinszenierungen eine „Hauptrolle“ zuerkannt, welche dann in ihrer ästhetisierten Eigenständigkeit imponieren konnte. Lucca Chmel hatte als Theaterfotografin begonnen und in diesem Selbstverständnis schaffte sie es der moderaten Moderne der österreichischen Nachkriegsarchitektur eine romantisierende Note zu verleihen und somit ihre „eigene Sicht der Dinge“ darzulegen[18]. Abgesehen vom künstlerischen Wert dieser Aufnahmen sind Chmels Fotografien, wie schon Atgets „Beweisstücke“ zu einem wesentlichen Zeitdokument geworden, da viele der Nachkriegsbauten mittlerweile abgerissen wurden oder in ihrer originären Architektur stark verändert wurden.

Mit der stetigen Verfeinerung der Fototechnik und der kostengünstigeren Reproduzierbarkeit erhielten Fotografen und Fotografinnen vermehrt Aufträge von Architekten, zur Dokumentation und fallweisen Publikation ihrer Bauten in Fachzeitschriften. Durch die steigende Nachfrage konnte sich eine freischaffende Profession entwickeln, die in der individuellen Bildsprache der Fotografen und Fotografinnen ihre künstlerische Ausformung fand. Zur Zeit gibt es zwei Dutzend ArchitekturfotografInnen in Österreich, die eigene Herangehensweisen erkennen lassen und ihre jeweiligen Stammkunden heraus- und heranbilden konnten[19]. Die Aussensicht ist für Architekten und Architektinnen wesentlich, um das freigestellte Werk in seiner Authentizität als Raumgebilde prüfen zu können. Die Beauftragung der Fotografen sollte dementsprechend nicht nur der Dokumentation, sondern der Reflexion der eigenen Arbeitsweise dienen. Erst dann sollten Überlegungen angestellt werden, ob und wie diese Fotos zu „verwerten“ sind. Für den eigenen Auftritt im Internet, das als Acquiseplattform für neue Aufträge dient, für die gezielte Publizierung eines einzelnen Bauwerks in Fachmedien oder für die Auftraggeber des Bauwerks, die Fotos für Werbezwecke nutzen wollen. Anspruchsvolle Architektur konnte sich, so wie gutes Design, als wesentlicher Faktor eines zeitgemäßen Lifestyle etablieren und wird daher verstärkt in Tageszeitungen, Magazinen oder in der Werbung, sei es als Objekt selbst oder als Hintergrundmotiv, abgebildet. Diese Perpetuierung bei der Verbreitung von Architekturfotos hat eine nachhaltige Geschmacksbildung bei den Medienkonsumenten bewirkt, die die sprachliche Interpretation eines einzelnen Bauwerks im Kanon der Architekturgeschichte als nicht mehr so wichtig erscheinen lassen. Auch Laien sind mittlerweile soweit vorgebildet, dass sie das Wesen eines guten Bauwerks auf der emotionalen Ebene erfassen können. Die Macht der Bilder führt uns zur eingangs erwähnten wesentlichen Rolle der Fotografie bei der Architekturvermittlung zurück, denn die Bilder haben eben auch Bildungsfunktion. Dieser Zugang zum Gebauten in Bildform scheint insofern wichtig, als das Wesen von ansprechender Architekturfotografie für den Rezipienten im Idealfall wie ein „Pop up“-Bild funktioniert: Jener Moment, wo das Objekt im Bild plötzlich Gestalt annimmt und die spannende Geschichte des still erzählt. Das fertig gestellte Bauwerk will, noch bevor es durch eine evidente Nutzung einer sozialen Zuordnung unterworfen wird, festgehalten werden, die Architektur soll für sich selbst sprechen. Die Fotografin, der Fotograf fungiert dabei gleichzeitig als Zeitzeugin subjektiv geprägter Geschichte.

Es gilt all das zu zeigen, was das Auge des Betrachters ohne framing nicht erfassen würde. Die Verantwortung durch jene, die „am Drücker“ sind, liegt unverändert darin, das was sie sehen, im entscheidenden Moment künstlerisch ins subjektiv rechte Bild zu rücken.


[1] Weibel Peter, Erweitere Fotografie, Hg. Die Wiener Sezession, Ausstellungskatalog, Wien1981, S. 11f.
[2] Vgl. Kassal-Mikula Renata, Alt-Wien unter dem Demolierungskrampen, in: Alt Wien, Die Stadt, die niemals war, Ausstellungskatalog, Wien Museum, Czernin Verlag, Wien 2004, S.46.
[3] Vgl. Schlögl Uwe, Fotografie und Architektur, Betrachtung zu einem differenzierten Verhältnis, in: Lucca Chmel Architekturfotografie 1945-1970, Hg. Hofer, Schlögl, Dietmar Klinger Verlag, Passau 2004, S. 13ff.
[4] Vöckler, Kai, Die Architektur der Abwesenheit, Parthas Verlag Berlin 2009, S.9f.
[5] Kassal-Mikula, wie oben, S. 47.
[6] Vgl. Wagner-Rieger, Renate, Die Wiener Ringstraße – Bild einer Epoche, Böhlau, Wien 1969.
[7] Schlögl, wie oben, 2004, S. 13.
[8] Vgl. Kemp, Wolfgang, Geschichte der Fotografie, München 2011, S. 37.
[9] Benjamin, Walter, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, 1936. Zitat aus: Abhandlungen, Frankfurt 1974, S. 445.
[10] Perl, Jed, Man Ray, Aperture Found. New York 1979, S. 26.
[11] Barthes Roland, Die helle Kammer, 1980, S.35.
[12] Passuth, Krisztina, Moholy-Nagy, Corvina 1982, S. 42.
[13] Vgl. Susan Sontag, On Photography, 1977.
[14] Vgl. Veech, Stuart, in: Eiblmayr, J., On-Screen-Architecture, in: Architektur & Bauforum Nr. 189, 4/1997.
[15] Kemp, wie oben, 2011, S. 45.
[16] Hooks, Margaret, Tina Modotti, Aperture Found. New York 1999.
[17] Vgl. Schlögl, wie oben, 2004.
[18] Kos, Wolfgang, Preiswert, zweckmäßig, schön, in: Eiblmayr J., Meder I., Moderat modern – Erich Boltenstern und die Baukultur nach 1945, Wien Museum 2005, S. 84.
[19] Quelle: IG-Architekturfotografie, http://www.ig-archfoto.at/de/mitglieder.php

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