Bauwerk

Glashaus «R 128»
Werner Sobek - Stuttgart (D) - 2001
Glashaus «R 128», Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES
Glashaus «R 128», Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES
Glashaus «R 128», Foto: Roland Halbe / ARTUR IMAGES

Im Glashaus wohnen

Ein Stuttgarter Neubau beflügelt die deutsche Architekturszene

Die Partys werden immer länger. Die Gäste wollen einfach nicht mehr gehen. Stattdessen geniessen sie die Aussicht, versuchen Füchse oder Eichhörnchen zu erspähen und würden das Naturschauspiel des wechselnden Lichts über den Hügeln nach einem Sonnenuntergang am liebsten bis zur Morgendämmerung verfolgen. - Hoch über dem Stuttgarter Talkessel hat der Architekt und Ingenieur Werner Sobek ein Wohnhaus gebaut, das er zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn bewohnt. Wie die Case-Study-Häuser, die ab 1945 in den Hängen um Los Angeles entstanden, hat dieses Haus das Potenzial, eine «modernere Moderne» einzuleiten, die auf neuen Möglichkeiten im Bauen und einem freiheitlichen Menschen- und Gesellschaftsbild basiert.


Intelligenter Glaskubus

In einer Bergfalte in Stuttgart-Degerloch erhebt sich der viergeschossige Glaskubus wie eine Aussichtskanzel über der Stadt. Vollständig verglast und ohne Wände im Innern steht er nackt inmitten eines Naturschutzgebiets. Der dichte Baumbestand des weitläufigen Hanggrundstücks schirmt das Haus vor fremden Blicken ab. Gut zu sehen ist dagegen das geschraubte Stahlskelett, das die gläserne Hülle zusammenhält. Diese besteht aus einer Dreifachverglasung, deren mit Edelgas und Kunststofffolien aus der Raumfahrt gefüllte Zwischenräume das Licht ungehindert passieren lassen, Wärme wie Kälte dagegen abweisen. Beschichtete Holzplatten unterteilen das Raumkontinuum in vier Geschosse. In die Deckenelemente wurden Kupferrohrschlangen integriert, durch die Wasser zum Heizen oder Kühlen der Räume läuft. Sie sind Teil des wegweisenden Energieprogramms: Das Haus produziert die benötigte Elektrizität über Solarzellen auf dem Dach zum grossen Teil selbst und kommt auf Grund eines Wärmetauschers ohne zusätzliche Beheizung aus. Abgerundet wird das intelligente System durch einen Computer, über den sich das Klima regulieren lässt und der es beispielsweise ermöglicht, vom unteren Geschoss aus die Fenster im obersten zu schliessen. Den Rest regeln Sensoren: Schranktüren, Wasserhähne und Toilettenspülung lassen sich ebenso berührungslos wie hygienisch per Handbewegung dirigieren.

Das Haus wurde komplett aus vorgefertigten Teilen hergestellt. Die Bauzeit ist rekordverdächtig: In nur vier Tagen stand das Stahlgerüst, nicht mehr als zehn Wochen waren nötig, um das Haus komplett zu installieren. Mit einer Präzision wurde hier geplant und gebaut, die Toleranzen von nur fünf Millimetern über die vier Geschosse ergeben hat - Werte, die eher im Maschinen- als beim Rohbau üblich sind. Dieser Anspruch an die Detailgenauigkeit hat Sobek zum begehrten Partner von Architekten wie Helmut Jahn, Christoph Ingenhoven oder Renzo Piano werden lassen.

So zukunftsweisend die Technik auch ist, das Glashaus selbst ist eine 50 Jahre alte Erfindung der Moderne. Das berühmteste, das Farnsworth-Haus auf einem waldigen Grundstück unweit von Chicago, entwarf Ludwig Mies van der Rohe 1946 als einen lichtdurchfluteten Kasten, kunstvoll proportioniert und ebenso feinfühlig auf die ihn umgebende Auenlandschaft bezogen. Drei Jahre später errichtete Philip Johnson mit seinem gläsernen Wohnhaus in New Canaan einen weiteren programmatischen Bau für das Wohnen im modernen Amerika - und eine Hommage an Mies van der Rohe. Doch die Verwendung industriell hergestellter Materialien bereitete diesen Baumeistern und den Bewohnern bald Sorgen: Die Häuser waren im Sommer überhitzt, und im Winter überzogen sich die Fenster mit Eisblumen. Die damals neuen Werkstoffe wie grossflächige Glastafeln, Stahlprofile und anodiertes Aluminium hielten nicht, was sie versprachen. Das Programm des Funktionalismus war eine Vision, keine Realität - und so musste die Prophezeiung erst nach und nach durch eine unter Zugzwang geratene Bauindustrie erfüllt werden. Sobek geht es bei seinem Haus nicht um die technisch perfekte Umsetzung von Mies' Ideen. So deutlich es in der Tradition von moderner Ästhetik und technischem Innovationsdrang steht, so sehr will es in dieser Entwicklung weiter voranschreiten: Die minimale Form vermag es nur zu zitieren; die Technik aber revolutioniert es.


Blick in die Zukunft

Sobeks Haus ist seine ganz persönliche Vision des heutigen Wohnens. Manch einem Besucher wird der gläserne Schrein voll technischer Sensationen einen Blick in die Zukunft offenbaren. Doch der Hausherr ist längst einen Schritt weiter und experimentiert derzeit mit Fasertechnologie, um einen Ersatz für Beton zu finden, einen nach Sobeks Ansicht völlig veralteten Baustoff, der immer wieder Probleme bei der Verschalung verursacht. «Viele denken, das muss so sein. Ich aber bin der Meinung, dass das nicht so sein muss», gibt sich Sobek kämpferisch. Erstmals will er nun gefaltete Stoffe für die Fassade eines Pavillons verwenden, der sich in seinem futuristischen Kleid auf der Expo 02 in Biel präsentieren wird.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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