Bauwerk

Generali Media Tower
Hans Hollein - Wien (A) - 2001
Generali Media Tower, Foto: Manfred Seidl

Schöne Aussichten

Hans Holleins „News“-Tower in der Taborstraße ist das bessere Haas-Haus und ein wichtiger Impuls für das städtebauliche Krisengebiet am Donaukanal. Eine Begehung.

7. Februar 2001 - Jan Tabor
Ohne es zu wissen, nehmen wir, die aufmerksamen Leser der beiden besten österreichischen Nachrichtenmagazine, an einem in der Geschichte der komparativen Architekturpsychologie einzigartigen Experiment teil. Zahlreich sind die wissenschaftlichen Studien und praktischen Erfahrungen, die eindeutig belegen, dass die Qualität der architektonischen Gestaltung am Herstellungsort (Schulen, Büros, Betriebe, Redaktionen) die Qualität des Hergestellten (Produkte, Leistungen, Artikel) überaus positiv beeinflussen können. Freilich gilt es auch umgekehrt für die schlechte Architektur. Dies sogar viel stärker.

Wahrscheinlich ist die Zeit noch zu kurz gewesen, um bei News und Format bereits nennenswerte Verbesserungen feststellen zu können. Erst vor zwei Wochen zogen die Brüder Fellner mit ihren 500 Mitarbeitern aus einem der plumpsten Bürohäuser in Wien in eines der elegantesten um: vom Galaxie-Turm auf der Praterstraße in den Hollein-Tower am Donaukanal, für den ich die Bezeichnung Philemon-Baucis-Tower vorschlage.

Einerseits ist es zeitgemäß, Hochhäuser mit sagenhaften Namen zu veredeln, siehe Galaxie oder Andromeda, andererseits stehen die beiden selbstständigen Türme aneinander angelehnt wie ein altes verliebtes Paar, wachsen sie ineinander wie einst Philemon und Baucis, Lieblinge der Götter. Natürlich ginge auch Pyramus und Thisbe, deren Elternhäuser dicht aneinander gedrängt in Babylon standen, aber die sind zu wenig bekannt. Don Quichote und Sancho Pansa wären formal-metaphorisch irreführend, Hellmuth und Wolfgang zu sarkastisch. Romeo und Julia würden schon wegen des auffälligen Balkons gut passen, sind aber bereits zu oft verwendet worden.

Das neue Meisterbauwerk von Hans Hollein hat einen möglicherweise weitreichenden politischen Defekt, für den der Architekt aber nichts kann: Auf dem schlanken, dem höheren der beiden verschiedenartigen Türme - nennen wir ihn Baucis - befindet sich eine Neuheit: „Die Wiener können sich über eine weitere Attraktion freuen: Am Dach des Hauses prangt der in der Innenstadt sichtbare NEWS-Infoscreen, der Wien schon bald mit den besten Nachrichten versorgt“, jubelt das News-Editorial (Nr. 2/01). Sobald das Wunderding der Medienwelt, mit 60 Quadratmeter Bildfläche angeblich Europas größte und modernste elektronische Infowand, softwaremäßig voll beherrscht wird, werden den Innenstadtpassanten die attraktiven Magazincovers - und mit ihnen auch der ewige Coverfeschak Haider - nicht erspart bleiben, wo auch immer sie in der City gerade flanieren.

Rein architektonisch betrachtet, ist der auf dem Dach aufgesetzte, in seiner wolkenkratzenden Dominanz leicht befremdlich wirkende Screen kein Fehler. Ganz im Gegenteil: Er sieht nicht nur aus wie der sprichwörtliche Punkt auf dem i, formal ist er das auch - dem schlanken Turm verleiht das Bildboard einen attraktiven, zeitgemäß-metropolitanen Akzent, den die gerade im Bereich der City städtebaulich entsetzlich verhunzte Donaukanalzone dringend gebraucht hat. Dass das moderne Stadtbild ohne verschiedenartige Lichtobjekte als Informationsträger und Reklamen unvollständig bleibt, wussten bereits die Erbauer des Ringturms (Arch. Erich Boltenstern, 1955) und setzten auf das erste wirkliche Hochhaus in Wien den legendären leuchtenden Wettervorhersagemast: ein symbolischer Leuchtturm auf dem Weg in die neue, schöne westliche Welt.

Mit seinem Neubau setzt Hans Hollein jenen richtigen Städtebau am Donaukanal fort, der mit dem Bau des Ringturms begonnen und zugleich für fast ein halbes Jahrhundert wieder aufgehört hat. Es ist keine Übertreibung, wenn man die städtebauliche Situierung und die ihr kongenial angepasste Gebäudeform, die Hollein für den Anfang der Taborstraße gefunden hat, als ähnlich genial bezeichnet wie die Situierung und die Formung der Urania von Max Fabiani (1910) auf einer städtebaulich ähnlich bedeutenden Stelle. Obwohl die Bauten nicht auf derselben Uferseite gelegen sind, ist es den Architekten in beiden Fällen gelungen, einen städtebaulichen Brückenschlag zwischen dem Kai und dem zweiten Bezirk zu bilden. Gleichartig ist nicht nur die prägnante Situation, gleichartig ist auch die vielfältige und vielseitige Turmform, die in den vielen Blickwinkeln steht und vortrefflich besteht. Es sind Gebäude, die von allen Seiten schön anzusehen sind.

Der Bau der Urania war von den jüdischen Bewohnern der Leopoldstadt, im Volksmund antisemitisch „Mazzesinsel“ genannt, begrüßt worden - nicht nur als eindrucksvolles Bausymbol des Bildungsbürgertums, das die Urania tatsächlich war, sondern als eine städtebauliche Geste gegenüber dem jüdischen Bezirk. Falls sie das wirklich war und keine schöne Illusion, so blieb es bei dieser einen Geste. Bereits in der Zeit des Ringstraßenbaus galt die Leopoldstadt als ein Innenstadt-Erweiterungsgebiet, in dem die im städtebaulichen Nichts endende Ringstraße später einmal fortgesetzt würde. Unmittelbar nach dem „Anschluss“, das heißt tatsächlich bereits im Frühjahr 1938, wetteiferten die ostmärkischen Architekten mit Entwürfen für riesige Gauanlagen mit Parteiforen und Aufmarschachsen anstelle der demolierten Leopoldstadt - „Wien an die Donau“ lautete die NS-Stadtentwicklungsparole. All diese megalomanischen NS-Fantasien setzten die gänzliche Demolierung der Leopoldstadt voraus; die Deportation der jüdischen Einwohner (deren Anteil in der Leopoldstadt damals über 40 Prozent lag) galt ebenfalls längst als ausgemacht, wie die Anschriften an jüdischen Geschäften bezeugen. Zum Glück für die Leopoldstadt hegte Hitler andere Absichten: Er verbot jegliche Erweiterungspläne in Wien und ordnete die Schrumpfung Groß-Wiens (mit eingemeindetem Umland samt Klosterneuburg, Schwechat oder Korneuburg) auf 1,3 Millionen Einwohner an.

Als vollständige oder weitgehende Demolierungen tauchten diese Fantasien in den ersten Jahren nach dem Kriegsende wieder auf. Nachdem es letztlich doch nicht gelungen war, den unliebsamen Bezirk mittels Stadtplanung wegzuradieren, wurde er durch Neubauten, hauptsächlich jene von Georg Lippert, regelrecht abgeriegelt, dahinter versteckt wie hinter einer riesigen Gettomauer. Die städtebaulich unsinnige Anordnung der großen Bürohausscheiben auf den vom früheren NS-Architekten Lippert geplanten Bundesländer-, IBM- und Raiffeisen-Verwaltungsgebäuden lässt sich nur als Trotzreaktion deuten.

Von oben, vom Philemon-Tower aus, sieht man die mächtige Barrierewirkung der Lippert'schen Bauten besonders deutlich. Hans Hollein hat eine Bresche in diese verdammte städtebauliche Mauer am Donaukanal geschlagen. Den Baucis-Tower kann man auch als umgekehrtes Imperativzeichen lesen, als Architektur gewordenen Aufruf und Maßstab dafür, wie man ab nun am Donaukanal städtebaulich fortfahren soll. Vergleicht man rückblickend den Entwurf eines geradezu zärtlich abgerundeten, ephemer wirkenden Glashauses von Jean Nouvel (den ich bei dem Wettbewerb vor vier Jahren bevorzugt hätte) mit den scharf geschnittenen, aneinander gestellten und ineinander verflochtenen, unterschiedlich großen und gestalteten Bauvolumina, so zeigt sich, dass die Entscheidung der Jury für den Wettbewerbsentwurf von Hans Hollein richtig war.

Das fulminante Spiel mit den Volumina, den harten Kanten und brechenden Linien könnte für manieriert gehalten werden. Es ist aber ein überaus sinnvolles Spiel, weil dadurch am Beginn der Taborstraße eine Art Trichtersituation entstanden ist, die den wichtigsten Eingang mit der City visuell verknüpft. Jetzt erst erkennen auch Nichtwiener, dass hier die City weitergeht und nicht bereits die Peripherie beginnt. Verglichen mit der gegenüberliegenden Seite am Schwedenplatz, entsteht gar die schöne Illusion, die eigentliche City beginne erst hier. Bemerkenswert ist außerdem, wie Hollein die Oberflächenästhetik des auf der anderen Seite der Taborstraße stehenden Bundesländer-Bürohauses (jetzt Uniqua) übernommen hat, diese Fassadenstruktur verändert und beide Gebäude zu einem einheitlich wirkenden Ensemble zusammengefasst hat. Der Neubau wertet den Altbau erheblich auf, behebt weitgehend dessen städtebaulich falsche Situierung und hebt dessen große architektonische Qualität hervor.

Das 1959/61 gebaute Bundesländer-Haus steht unter Denkmalschutz und zählt zu den interessantesten Bauwerken aus dem Wien der Sechziger. Für den Stahlbetonskelettbau wurde zum ersten Mal in Wien die so genannte curtain wall, die Vorhangwand, verwendet (eine Fassadentechnik, die 1911 von Walter Gropius für die Fagus-Werke in Afeld/Lein erfunden wurde). Dank dem Vorplatz beim Philemon-Baucis-Tower entsteht zusammen mit dem Vorplatz vorm Lippert-Haus ein kleiner, aber deutlich formulierter städtischer Platz. Das Verblüffende ist, dass hier kein monumental wirkendes so genanntes Stadttor entstanden ist, sondern ein in jeder Hinsicht passabler Stadteingang.

Lapidar gesagt: Hans Hollein ist es diesmal eindeutig gelungen, in der Wiener Innenstadt ein architektonisch eindeutiges Zeichen zeitgenössischer Stadtauffassung zu verwirklichen. Wenn man sich an all die Varianten für das Haas-Haus am Stephansplatz erinnert, so fällt auf, dass darunter auch einige waren, die starke konzeptuelle Ähnlichkeiten mit seinem Neubau am Donaukanal aufweisen. Ungestört von Kiebitzen aller Art, die das Entstehen des Haas-Hauses mit Unmengen von guten Vorschlägen begleiteten, konnte Hollein hier das bessere, das vollkommene Haas-Haus verwirklichen.

Im News-Editorial wird begeistert von jenem weit auskragenden Balkon berichtet, der dem niedrigen, eher untersetzten Turm an der Außenfassade zugehängt wurde - als wäre die eisenbahnwaggongroße Glaskabine ein riesiger Panoramalift. Es sei ein „toller Arbeitsplatz“ und der „wahrscheinlich spektakulärste Konferenzraum Wiens“, freuen sich die News-Leute. Der auffallende balkonartige Seitenanbau am Philemon ist eine von vielen gestalterischen Kleinigkeiten, die der ungemein fragil wirkenden und vielfältigen Komposition jene außerordentliche architektonische Qualität verleihen. Der Anbau ist visuell notwendig, er gleicht die abweichenden Senkrechtachsen beider Türme und die Schräge des ebenfalls hervorkragenden Unterbaus am Eck aus.

Ursprünglich hatte ich den „über Wien schwebenden Konferenzraum“ tatsächlich für einen Aufzug gehalten, für ein delikates architekturgeschichtliches Zitat, eine ironische Referenz auf den berühmten Direktionsaufzug, den sich der böhmische Schuhkönig Bata 1937 an seinem neuen, streng funktionalistischen Bürohochhaus in Zlin hatte anbringen lassen. Er wollte mit seinem fahrenden Büro dort stehen bleiben, wo er seine in den Großraumbüros arbeitenden Angestellen durch plötzliches Erscheinen erschrecken wollte. Gott sei Dank stimmt es nicht. Herausgeber Wolfgang Fellner regiert in einem festen Büro im Baucis-Tower, im letzten, 18. Stock gleich unter dem sechzig Quadratmeter großen Bildboard, dem größten und modernsten in Europa.

Hinauf mit einem der vier Aufzüge. In der Liftkabine lese ich das Wandgedicht „Süße, leck meine Füße, wenn du es nicht kannst, dann“ - was dann, das teilt uns der poetisch sublimierende Mann (vermutlich ein Kulturredakteur) leider nicht mit. Das Büro des Herausgebers ist verhältnismäßig klein, nüchtern und gediegen eingerichtet. Der Rundblick ist nach allen Seiten offen und wird durch die leichte Neigung des Turmes noch verstärkt: völlig neuartig, ein Genuss sondergleichen. Die Beengtheit am Gipfel des schmalen Turmes bewirkt, dass man der Aussicht, dem Fernblick, dem Überblick, dem Höhenfluggefühl nicht entkommen kann, wo immer man auch steht. Unter allen Bauwerken gelten Türme als die eindrucksvollsten Machtsymbole. Und obwohl sich Hans Hollein redlich bemüht hat, Symbolik zu vermeiden, ist sie unübersehbar. „Das neue Wahrzeichen der Wiener City“ (News-Editorial) ist das Wahrzeichen einer neuen Macht.

Höhenrausch ist Machtrausch. Wer es erreicht hat, so hoch zu kommen, der kann nicht mehr herunterfallen, höchstens noch höher hinaufsteigen. Soeben, rechtzeitig zum Umzug, hat ein Gericht die Übernahme des profil durch die Herren im neuen Geschlechterturm am Donaukanal bewilligt. Man sieht von weit und breit: Dort oben, im Baucis-Tower, sitzt der zweite, der zweifache Citizen Kane of Austria, der neue Hans Dichand. Der alte Dichand hat mit seinem Pressehochhaus in der Muthgasse (Architekten J. Wickenburg und H. Kompolschek, 1963) ja vorgezeigt, wie vortrefflich Zeitungsmacht mit dem klassischen Machtsymbol Turm zusammenspielt.

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