Bauwerk

Generali Media Tower
Hans Hollein - Wien (A) - 2001
Generali Media Tower, Foto: Manfred Seidl

Ambivalente Architektur

Hans Holleins Media Tower in Wien

10. April 2001 - Gert Walden
Wiens Zentrum liegt nicht an der Donau, sondern am Donaukanal, der die Grenze zwischen der Innenstadt und dem angrenzenden 2. Bezirk markiert. Diese Trennlinie der Quartiere ist nicht nur eine topographische; zwischen den beiden Bezirken verläuft auch eine soziale Schranke. Entsprechend war auch die Schauseite am Kanal von der Innenstadt hinüber zum 2. Bezirk von schlichten, nach dem Weltkrieg verunstalteten Gründerzeithäusern geprägt. Aber immerhin blieb eine durchgehend ruhige Bebauungshöhe eingehalten, die erst von den Verwaltungsbauten der sechziger und siebziger Jahre durchbrochen wurde.

Architekt Georg Lippert hatte 1959 mit dem Haus der Bundesländer-Versicherung ein zeitgeistiges, zart ausschwingendes Gebäude entworfen, das den Eingang zum 2. Bezirk markierte. Das stimmte noch bis vor kurzem. Denn zurzeit wird unmittelbar angrenzend an der Taborstrasse der neue Media Tower von Hans Hollein bezogen, der ziemlich rabiat mit dem alten Lippert-Bau konkurriert und ihn quasi als Dominante zu verdrängen sucht.

Hollein hatte den Auftrag für den Media Tower mit seinem gebärdenreichen Projekt schon 1994 in einem Wettbewerb, an dem auch Jean Nouvel, Adolf Krischanitz und Heinz Neumann beteiligt waren, für sich entscheiden können. Die Intention Holleins, mit der vorgegebenen Höhenlinie zu brechen, wurde vom Auftraggeber, der Generali-Versicherung, und von der Stadtverwaltung honoriert. Österreichs Stararchitekt placierte auf dem schmalen Grundstück zwei unterschiedlich hohe Türme, wobei der höhere ausserdem um drei Grad aus der Vertikalen geschwenkt wurde. Diese minimale Abweichung, dieses Auskragen verleiht dem Turm mit seiner hermetisch abschliessenden Spiegelverglasung und dem Info-Screen eine Signifikanz, die mehr als nur eine vordergründige Assoziation mit Pisa erweckt. Die konstruktiv aufwendige Schräglage verleiht dem 80 Meter hohen Turm aus der frontalen Sicht von der Innenstadt her das Flair des Solitären. Die künstlerisch generierte Abweichung vom Orthogonalen in der Grossform, welche als subjektiver Gestus für den urbanen Kontext überzeugt, findet sich konsequent geplant immer wieder im gesamten Objekt.

Das Ausgreifen in den Raum, um die zweidimensionale Stadtansicht des Gebäudes in eine mehrschichtige Ecklösung zu verwandeln, wird von der in den oberen Etagen angehängten Box eines Besprechungsraumes unterstützt. Zu ebener Erde wiederholt die Kleinform der mehrgeschossigen Stahl-Glas-Konstruktion wie eine transparente Plakatwand die Idee von der Konstitution einer neuen Ecksituation am Eingang zum 2. Bezirk. Allerdings ereignet sich gerade in der Eingangssituation des Guten zu viel. Das Entrée selbst mutiert letztlich zum kleinen Hinterbühneneingang vor der grossen Inszenierung des Meisters. Holleins Solitär aus zwei Türmen - ein Widerspruch nur im Sprachlichen - basiert in seiner skulpturalen Konfiguration auf der Vorstellung vom Schürfen oder Graben aus dem übergeordneten Volumen, um einen ambivalenten Raum zu schaffen. Während der höhere Turm als Landmark für alle Sichtachsen der Stadt verantwortlich ist, erweist Hollein mit dem um 24 Meter niedrigeren Baukörper seine Reverenz gegenüber der Innenstadt, die zusätzlich durch die aufgesetzte Kleinarchitektur eines Konferenzsaales akzentuiert wird.

Diese Dualität aus Skulpturalem und Orthogonalem setzt sich innen fort. Im kleineren, orthogonal angelegten Turm löst Hollein die sture Stapelung von Etagen auf. Eine mehrgeschossige Halle mit ihren schrägen Betonsäulen und gekurvten Decken bringt Spannung und auch die für Hollein charakteristische Atmosphäre des Höhlenartigen in einen sogenannten Zweckbau ein, der sich in Sachen Büroorganisation nicht wesentlich von simpleren Bauten unterscheidet. Hollein versucht eben mit den Möglichkeiten der Architektur, Wahrnehmungen zu verändern, Abläufe zu irritieren und sich mit utilitaristischen Arbeitskonzepten zu konfrontieren. Auch im höheren Turm möchte er dieses Ziel erreichen. Dort ist selbst im Inneren die minimale Schrägstellung der Betonstützen erlebbar. Sie verschieben das plane Rahmenwerk für die wohl beste Aussicht auf Wien um eine Nuance, damit die plane Frontalität der Betrachtung auch von den Benutzern hinterfragt wird. Das Experiment Holleins mit der dreidimensionalen Wahrnehmung hat sich insgesamt für Wien gelohnt. In ihrer Komplexität demonstrieren die beiden Türme, was mit dieser Architektur in der Stadt erreicht werden kann, wenn der Auftraggeber bereit ist, auch entsprechende Budgets aufzubringen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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