Bauwerk

Neues Museum - Wiederaufbau
David Chipperfield - Berlin (D) - 2009
Neues Museum - Wiederaufbau, Foto: Ute Zscharnt
Neues Museum - Wiederaufbau, Foto: Reinhard Görner / ARTUR IMAGES

Die Zeit zwischen den Steinen

Der Wiederaufbau des Neuen Museums in Berlin ist abgeschlossen. Um das völlig zerstörte Haus wiederzubeleben, zog die ganze Stadt an einem Strang. Am 5. März war Schlüsselübergabe.

14. März 2009 - Wojciech Czaja
Es ist keine zehn Tage her, da warf sich die Berliner Hautevolee in Schale und begab sich feierlichen Schrittes zur Museumsinsel. Nach elf Jahren akribischer Sanierung, Restaurierung und Steinchenzählerei ist der Wiederaufbau des Neuen Museums, Unesco-Weltkulturerbe und laut Fachleuten eines der bedeutendsten Baudenkmäler des 19. Jahrhunderts, nun endlich abgeschlossen. Coram publico wurden, umgeben von Blitzlichtgewitter und einem Dutzend Fernsehkameras, den künftigen Nutzern die Schlüssel überreicht.

Stolz erfüllte den glasgedeckten Innenhof, wo der unvergleichliche Festakt über die Bühne ging. Bürgermeister, Bundesminister und Staatsminister übergaben einander das Wort, Staatssekretäre, Präsidenten und Direktoren zeigten sich dankbar und zutiefst verzückt. Allein, die Dankbarkeit diente nicht der gegenseitigen Bauchpinselei, wie man dies etwa aus Österreich kennt, sondern galt einzig und allein dem Planer und seinem engagierten Team.

Mit angeschlagener Gesundheit und sichtlich glasigen Augen kam schließlich Architekt David Chipperfield zu Wort: „Die Aufgabe war außergewöhnlich, die Bauarbeiter und Experten haben hervorragende Arbeit geleistet und die Zusammenarbeit mit den Auftraggebern war getragen von Vertrauen und gegenseitigem Respekt. So gesehen ist es auf eine besondere Weise traurig, dass diese Zusammenarbeit nun beendet ist.“

Jörg Haspel, Landeskonservator und Direktor des Landesdenkmalamtes Berlin, brachte in seiner Rede das Wunder auf den Punkt: „Man muss sich vorstellen, dass dieser Raum vor fünfzehn Jahren nicht existent war. Ein klaffender Riss ging mitten durch, das Haus war eine Ruine.“ Als Brand- und Bombenopfer des Zweiten Weltkriegs fiel das Gebäude im DDR-Regime - weggebombt, ausgebrannt und völlig durchnässt - in ein sechzig Jahre lang anhaltendes Koma. In den Mörtelfugen blühte üppiges Unkraut, in der Treppenhalle waren Ahornkeimlinge in all den Jahrzehnten zu wackeren Bäumen herangereift.

„Stellen Sie sich vor, das Gebäude wäre in den Nachkriegsjahren saniert worden“, so Haspel. Kaum auszumalen, wie das Resultat ausgesehen hätte! „Ich denke, wir können von Glück reden, dass das Haus so lange Zeit auf Herrn Chipperfield gewartet hat.“

Die Geschichte als Baumaterial

Die originale Bausubstanz, die an diesem Ort vorgefunden wurde, gibt der Denkmalpfleger zu bedenken, habe sich als große Chance erwiesen. „Einerseits war es viel Arbeit, andererseits war es ein Geschenk, ein historisches Bauwerk ohne die verfälschenden Spuren anderer Generationen übernehmen zu können. Wir haben versucht, alles zu erhalten, was die Geschichte uns überlassen hat.“

Anstatt in harten Kontrasten zwischen Alt und Neu erstrahlt das zum neuen Leben erweckte Museum unter einem Schleier von weichen Übergängen und sachte gesetzten Details. Kein Stahl, kein Beton, kein noch so cooles Material, das die meisten Architekten heutzutage zum Bauen so dringend benötigen wie andere die Luft zum Atmen. Stattdessen gibt es alte Ziegel, die aus zahlreichen Berliner Abbruchhäusern zusammengetragen wurden, sowie original erhaltene Kapitelle, Ziergesimse und Beschläge, herangekarrt aus jahrzehntelang eingemotteten Depots.

Die neuen Bauteile bestehen aus Weißzement, gestocktem und geschliffenem Kunststein sowie gebleichtem Eichenholz. Die Farbpalette der verwendeten Materialien reicht von Creme über Beige bis Hellbraun. Fade, könnte man meinen. Aber nein, das Haus versprüht den Duft eines klassisch herben Eau de Cologne. Stattlich im Auftreten, zeitlos elegant.

„Unser Ziel war es, ein einheitliches und zusammenhängendes Haus zu schaffen“, so Chipperfield. Doch wie damit umgehen, wenn von Friedrich August Stülers Bau aus den Jahren 1841 bis 1855 kaum noch etwas erhalten war? „Es war eine Gratwanderung zwischen Restaurierung, Wiederaufbau und Ergänzung. Natürlich war die Planung sehr schwierig. Viele Teile des Hauses waren stark zerstört oder haben gänzlich gefehlt.“

Am Anfang dieses Projekts stand eine lange Phase der Forschung, sagt der Architekt. In Millimeterarbeit wurde das Archiv nach Plänen, Texten und historischen Fotografien durchforstet. In einem zweiten Schritt wurden in Zusammenarbeit mit dem Restaurierungsarchitekten Julian Harrach die Möglichkeiten der Erhaltung, des Schutzes und der Rekonstruktion erforscht. Chipperfields Credo: „Eine der wichtigsten Fragen betrifft die visuelle Schönheit und die konzeptionelle Ästhetik. Ohne eine gewisse Schönheit bleibt jedes noch so wertvolle Baudenkmal unvollendet.“

Das Neue Museum liest sich wie ein Lexikon der Zeit. Es lädt zum kontemplativen Studium der Epochen ein. Hier eine Zierblume mit kobaltblauen Blättern, da ihre Weiterführung in unauffälligen Grautönen. Hier eine Kassettendecke aus Dreiecken und Rauten, da ein leicht gestocktes Relief zur Andeutung des einst Gewesenen. Hier ein wuchtiges Kapitell mit fein gearbeitetem Ornament, da eine einfache Platte als stummer Zeuge der Zerstörung.

Rarität aus Trümmern

Ein eigens zur Fertigstellung erschienenes Buch (Verlag E. A. Seemann) dokumentiert die Arbeiten am Museum, ein anderes fängt in wunderschönen Bildern die Ästhetik des Bauprozesses ein (Hatje Cantz Verlag). Da wie dort stehen Maschinen und Kräne im Raum, entfeuchten die Bausubstanz, rücken Säulen und Pfeiler in ihre ursprüngliche Position. Dazwischen immer wieder Spuren von Bauarbeitern, Restauratoren und Denkmalpflegern, die den geschichtlichen Scherbenhaufen zu einem neuen Ganzen zusammenzusetzen versuchen. Beide Bücher vermitteln einen kleinen Einblick in die Komplexität dieses Projekts.

Bevor das Neue Museum im Oktober seiner endgültigen Nutzung übergeben wird, steht noch einiges am Programm. Bis Ende März finden in den vorerst leeren Räumlichkeiten zeitgenössische Tanzperformances unter der Federführung von Sasha Waltz statt. 70 Tänzerinnen und Tänzer verbiegen an zehn Abenden ihre Körper im Einklang mit der Architektur. Im April beginnt dann die Einrichtung des Museums und die endgültige Platzierung der Exponate.

„Was uns David Chipperfield mit diesem Haus übergeben hat, ist eine Rarität“, sagt Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin. „Uns fällt ein historisches Gebäude in den Schoß, das mit großem Respekt in die Gegenwart transformiert wurde. Wir werden es mit Ehrfurcht behandeln.“

Nicht unwesentliches, und fürwahr ehrfürchtiges Detail am Rande: Bei Planungsbeginn im Jahre 1997 wurden die Baukosten mit 233 Millionen Euro beziffert. David Chipperfield und sein Team haben die Kosten um 30 Millionen Euro - jawohl, auch das ist möglich - unterschritten.

Fazit: Das Neue Museum ist wahrscheinlich der edelste und formvollendetste Wiederaufbau, den die Stadt seit ihrer Wiedervereinigung zu Gesicht bekommen hat. Hoffentlich wird das Projekt Vorbildcharakter für viele weitere Sanierungs- und Restaurierungsprojekte in Berlin haben.

Der Wunsch wird wohl unerhört bleiben. Die nächste Provinzposse kündigt sich bereits an: Auf der gleichen Insel, nur zwei Straßen weiter, soll nach Plänen des italienischen Architekten Franco Stella demnächst das Berliner Stadtschloss rekonstruiert werden. Über eine halbe Milliarde Euro wird in noch nie dagewesener Weise beim Fenster hinausgeschmissen. Und Berlin, so viel ist sicher, wird die hohe Schule der Sensibilität wieder ad acta legen, um sich erneut in schmalzig triefendem Historienkitsch zu suhlen.

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