Bauwerk

Bezirkshauptmannschaft Murau
Wolfgang Tschapeller, Friedrich W. Schöffauer - Murau (A) - 2002
Bezirkshauptmannschaft Murau, Foto: Werner Feiersinger
Bezirkshauptmannschaft Murau, Foto: Werner Feiersinger
Bezirkshauptmannschaft Murau, Foto: Werner Feiersinger

Architektur für Demokratie

Rondo spezial Alu

Die Architekten Wolfgang Tschapeller und Friedrich Schöffauer haben der Bezirkshauptmannschaft Murau eine Alu-Schale verliehen, die dem Bürger ins Auge springt und Offenheit und den demokratischen Gedanken verwirklichen will

6. Juni 2003
Der Architekt hätte eine Bitte: „Interessant für uns wäre es nun, den Produktekatalog für Spezialsituationen zu stärken und zu erweitern“, schreibt er. Speziell im Bereich von Eckstößen, Verschneidungen etc. gelte es, den momentanen Stand einer entmaterialisierten Glasarchitektur anzupassen. So weit zur möglichen Zukunft. Doch vor allem äußert Wolfgang Tschapeller, der gemeinsam mit seinem Kollegen Friedrich W. Schöffauer im vergangenen Jahr für den fulminanten Bau der Bezirkshauptmannschaft Murau im Rahmen des österreichischen Aluminium-Architektur-Preises besonders hervorgehoben wurde, Überraschung. Was den Architekten, der sich im Rahmen dieses Projektes intensiv mit Aluminium auseinander setzte, überraschte? Es waren weniger die bekannten Vorzüge des Materials - überragende Lebensdauer und hohe thermische Qualität -, sondern vielmehr der Umstand, dass er sich zwar einem Standardfassadensystem gegenüber sah, das sich jedoch erstaunlich gut bei allen möglichen Spezialfällen anwenden ließ. Unter Ausnutzung des reichhaltigen Produktekatalogs konnten so einfache, überraschend schlanke und technisch hochwertige Lösungen für speziellste Situationen erarbeitet werden - und das, obwohl sich die Architekten beim Projekt BH Murau einer komplexen Glashaut mit schwierigen Überschneidungen und Eckausbildungen und hohen thermischen und dichtetechnischen Anforderungen konfrontiert sahen.

Doch Wolfgang Tschapeller überraschte im Zuge des Bauens noch ein weiterer Alu-Aspekt. Einer, der gleichfalls das Potenzial von Aluminium auslotet und dabei um das Thema Materialität kreist. „Aluminium entmaterialisiert sich bei auftreffendem Licht“, weiß Tschapeller. „Doch zugleich nimmt die Oberfläche des Aluminiums Qualitäten der Umgebung auf und bildet sie sehr zart ab.“ Es imitiert nicht, sondern beweist diese Fähigkeit in Anflügen, über Farbtönungen etwa, und mag auf den ersten Blick hin durchaus für den dahinter liegenden Himmel gehalten werden. Bemerkenswert ist freilich auch die Wandelbarkeit im Tagesverlauf: Bei Tageshelle löst sich das Aluminiumgitter der Pfosten-Riegelfassade auf, bei Nacht, wenn das

Licht von innen kommt, sozusagen von hinten auf das Profil fällt, zeichnet das Gitter in voller Schwärze und Massivität.

Ein exponierter Bauplatz, wie im Falle der BH Murau, war dabei wohl der geeignete Platz, um solche Vorzüge auch in der architektonischen Praxis zu erfahren. Doch die Lage an der Kante eines steil zum Murufer abfallenden, scheinbar naturräumlichen Uferrückens täuscht zunächst über die tatsächlichen Gegebenheiten hinweg. Tatsächlich handelt es sich hier um einen künstlich aufgeschütteten Hang, der überdies von der Bundesstraßenbrücke und mit einem Steg als Verbindung zwischen der gegenüberliegenden Altstadt und dem Bahnhof überlagert wurde.

Geschickt griffen die Architekten diese Bezüge auf und setzten sie in drei unterschiedlich große Baukörper über, die in räumlicher Interaktion mit dem vorhandenen Mursteg ein komplexes Ensemble bilden. Glaswände werden nun von einem Aluminiumskelett - einem standardmäßigen Pfosten- und Riegelskelett - getragen. Thermisch verformte Acrylglaselemente in verschiedenen Farben und Transparenzgraden bilden die äußere Hülle. In Summe handelt sich bei der BH Murau aber vor allem um einen städtebaulichen Kunstgriff, mit dem das relativ große Volumen der Bezirkshauptmannschaft so geschickt gegliedert und in die Landschaft eingefügt wird, dass es einen Ort neu interpretiert. Ähnlich sieht das auch die Bauherrenschaft, die dieser selbstbewussten Architektur, die sich gleichzeitig vielschichtig in Vorhandenes einfügt, nur das Beste nachzusagen weiß.

Widerstände in der Bevölkerung hatte es dabei durchaus gegeben, aber auch den Lohn so mancher neuen Erkenntnis: „Die neue Bezirkshauptmannschaft signalisiert mit ihrer Architektur Transparenz und Offenheit, somit Bürgernähe und Bürgerfreundlichkeit“, sagt dazu der lokale Bezirkshauptmann Dr. Wolfgang Thierrichter. Das spiegelt sich auch in der Schaffung eines Bürgerbüros sowie eines Anlagenreferats wider, in dem das One-Stop-Shop-Prinzip verwirklicht werden konnte.

Dass sich Aluminium als gerne präferierte Materialoption einer Architektur auszeichnet, die im Rahmen von Großprojekten vielfältige Interaktionen mit der Umgebung eingehen will, beweist heute eine Reihe von Objekten im öffentlichen Raum, z. B. in den Städten Hongkong und Glasgow. Erfolgreich griff auch das Büro Sadar Vuga Arhiteki auf die Möglichkeiten von Aluminium zurück, als es darum ging, im Verein mit Glas die komplexe, ja regelrecht hybride Architektur des geplanten Baues der Laibacher Kammer für Handel und Kommerz zu realisieren. Hier sorgte eine stark strukturierte „tiefe Fassade“ - so die Architekten - für eine spektakulär dreidimensionale Präsenz, die sich wohltuend gegen abweisende Corporate-Flächigkeit und Geschlossenheit abhebt.

Der ständige Wechsel von geschützten und offenen Zonen, von Helligkeit und Schatten, von Bewegung und ruhender Tiefe simuliert hier - ganz im Sinne der Corporate Identity des Auftraggebers - die bewegten ökonomischen Realitäten einer globalisierten Weltordnung: stete Veränderung, halböffentliche Zonierung, demokratiefreundliche Architektur - Aluminium taugt hier als Trägermaterial einer ständig fließenden Gegenwart.

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