Bauwerk

Kindermuseum Graz
fasch&fuchs.architekten - Graz (A) - 2003
Kindermuseum Graz, Foto: Markus Kaiser
Kindermuseum Graz, Foto: Markus Kaiser

Zwergerl? Von wegen!

Es ist zugleich Erlebnisort und Aktionsraum, ein dynamisches Gefüge, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Nutzer: das neue Grazer Kindermuseum von Hemma Fasch und Jakob Fuchs.

20. Dezember 2003 - Karin Tschavgova
Eine immer weniger überschaubare Welt hat immer größeren Bedarf an Welterklärung. Kinder erhalten heute nahezu uneingeschränkt Zugang zu allen Massenmedien. Ungefiltert werden sie mit Nachrichten bombardiert, die sie nur in den seltensten Fällen altersgerecht übersetzt bekommen. Großväter, die ihren Enkeln die Welt beim Holzsammeln oder Bauen von Flugmodellen erklären, gibt es fast nur mehr in Erzählungen von früher. Angesichts der rasanten wie komplexen Entwicklung des Weltgeschehens scheinen kindgerechte Erklärungsmodelle Aufgabe der Pädagogik zu sein, die man aus dem familiären Umfeld auslagert. Deswegen bieten Museen immer mehr Vermittlungsprogramme für Kinder an, und deshalb boomen Kindermuseen in der ganzen westlichen Welt. Ort der kindgerechten Aufklärung sind meist für diesen Zweck adaptierte Räume - seltener werden solche Orte neu geschaffen. Das ist auch nicht so einfach, erfordert es doch die Beantwortung einer Frage, die sich bei der Adaption von Vorhandenem nur ansatzweise stellt: Was ist kindgerechtes Bauen?

Hemma Fasch und Jakob Fuchs haben in zehnjähriger Zusammenarbeit in zahlreichen, auch prämierten Wettbewerbsprojekten für Kindergärten und Schulen immer wieder von neuem ihre Antwort darauf präzise formuliert. In ihrer Haltung folgen sie Architekten wie den Holländern Johannes Duiker in seiner Amsterdamer Openluchtschool (um 1930) und Herman Hertzberger in mehreren Montessorischulen und Kindergärten oder dem Österreicher Anton Schweighofer in der Wiener Stadt des Kindes (1974), die alle in ihren Bauten kindliche Bedürfnisse mit Sorgfalt aufgegriffen und umgesetzt haben, ohne sie zu kulissenhafter „Zwergerlarchitektur“ zu verniedlichen.

Daraus kann der Leser schließen, dass Gebäude, die fasch & fuchs. für Kinder konzipieren, vordergründig keine andere Architektur sind als jene, die sie für erwachsene Nutzer entwickeln. Das trifft auch für ihr Kindermuseum in Graz zu, das Ende November als letzter Bau im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres eröffnet wurde. Dass dieses Vorhaben, trotz äußerst knapper finanzieller Mittel und einer Bauzeit von nicht mehr als 200 Werktagen als geglückt bezeichnet werden darf, ist auch dem Vertrauen der Stadt Graz, die die Architekten als Generalplaner eingesetzt hat, und der vorbildlichen Zusammenarbeit zwischen dem Bauherrenvertreter, dem Architektenteam (Projektleiter Thomas Mennel), Werkraum (Statik) und den Fachplanern zuzuschreiben. Das Kindermuseum wird wegen seiner vorgegebenen Größe keine Sammlung beherbergen, sondern nach Wunsch des Bauherrn ein zu Eigeninitiative anregender Ausstellungs- und Experimentierraum sein.

Das siegreiche Konzept, das fasch & fuchs. bei einem geladenen Wettbewerb 2002 vorgelegt haben, ist, wie alle ihre Bauten, vom Kontext mit dem spezifischen Umraum geprägt. Am nördlichen Ausläufer des Augartens gelegen, nimmt sich der Bau in Höhe und Volumen geschickt zurück, um keine Barriere zum Park zu bilden, wird eingebettet, indem das Terrain um eine halbe Geschoßhöhe abgegraben wird. Zugleich fließt das Parkgrün - tektonisch neu geformt, jedoch ohne Abgrenzung - als sanft geneigte Wiesenfläche bis an den gedeckten Freibereich der unteren Ebene heran. Über diesem Sockelgeschoß, das rundum über Terrain verglast ist, bilden Wände und Decke, die ohne Materialwechsel ineinander übergehen, ein kompaktes zweigeschoßiges Volumen in dunklem Grau, das niedriger wirkt, als es tatsächlich ist. Es fügt sich ein in seine Umgebung und setzt sich doch mit Raffinesse in Szene, indem es die hoch aufragenden Bäume des Parks zur mächtigen Kulisse werden lässt, die es umrahmen. Formgebend scheinen in erster Linie die Bedingungen des Ortes gewesen zu sein.

Betritt man es, so erkennt man erstaunt, dass die Architekten seine Form genauso schlüssig aus dem inneren Ablauf ableiten, dem Verhalten und den Bedürfnissen von Kindern entsprechend. Kinder brauchen Bewegung. Folgerichtig sehen und erleben wir keine Architektur der Statik, sondern ein dynamisches Gefüge - eine Architektur der Wege. Eine schräge Ebene, Treppen, Rampen und eine Brücke verbinden Aktionsräume auf mehreren Niveaus zu einem vielschichtigen Raumkontinuum ohne feste innere Abgrenzungen. Damit haben fasch & fuchs. das Manifest des Architekten Josef Frank vom „Haus als Weg und Platz“ punktgenau umgesetzt. Darin wird das Haus, in einem Weiterdenken des Loosschen Raumplans, als eine Abfolge unterschiedlichster Raumerlebnisse gesehen, die an eine die verschiedenen Ebenen verbindende Bewegungsader angedockt sind, die sie aber auch durchdringen kann. Der Weg, schreibt Frank, muss so abwechslungsreich sein, dass man seine Länge niemals empfindet.

Instinktiv entdecken die Kinder dies. Auch wenn die einladende Geste eines großzügigen Foyers, das unverstellt die
Blicke auf die untere Ebene freigeben soll, durch die Aufstellung einer Installation, die als trennende Wand wirkt, leider eingeschränkt wird, nehmen die Kinder den Bereich sofort in Besitz. Vorsichtig rutschend, bald wagemutig purzelnd, lassen sie sich über die schräge, gepolsterte Ebene fallen - eine bunte Buckelpiste aus wellig geformten, kunstlederüberzogenen Streifenpölstern -, so lange, bis sie sich ausgetobt haben und Lust auf die Ausstellung bekommen.

Wollen sie sich vor dem Start erst einmal einen Überblick verschaffen, so werden sie das Haus von unten nach oben durchqueren. Vertikale Verschränkungen und Einblicke in die einzelnen Ebenen von der Rampe im Hauptgeschoß aus machen dies möglich; das Kind entscheidet, wo es einsteigt. Blickbeziehungen zum Außenraum sind, wie schon die Wettbewerbsjury lobend feststellte, „auf eine sehr feine und sensible Art auf Kindergrößen abgestimmt“. Im
Auditorium wie im flexibel abgrenzbaren, 500 Quadratmeter großen Ausstellungsbereich auf der Mittelebene selektiert ein rundum laufendes Fensterband direkt über dem Fußboden den Ausblick in den Park.

Kinder haben den Durchblick: Ihrer ureigensten Neigung entsprechend legen sie sich auf den Boden, der in der Randzone abgeschrägt und mit Liegematratzen ausgestattet ist. Ausreichend belichtet werden diese Räume von oben durch Sheds. Es ist eine Geste der Offenheit, dass die nordorientierte Eingangsfront weitgehend transparent ist und schon von außen das Innenleben des Hauses bis in die Verwaltungsebene zeigt. Dieselbe Haltung zeigt die verglaste Werkstätte im Untergeschoß, die auf einen geschützten Freibereich, begleitet von Wasserlauf und Pflanzgarten, erweiterbar ist.

Das Kindermuseum ist ein Lehrstück, das zeigt: Eine Dachkonstruktion muss keinen „toten“ Raum schaffen, die Dachform kann Teil der Raumgestalt werden. Eine Wand kann abgehängt und verschiebbar sein. Ein Ausblick braucht weder Parapet noch unbedingt ein teures öffenbares Fenster. Wände können geneigt sein, Höhenunterschiede abwechslungsreich auch mit Rampen bewältigt. Schräge Fußböden geben ein natürlich ansteigendes Auditorium. Möbel entwirft man aufblasbar, will man sie bei Bedarf platzsparend verstauen. Funktionsadern müssen nicht versteckt werden. Transparenz signalisiert Offenheit. Stufenloser verglaster Übergang nach außen bringt das Grün optisch in den Raum.

Die Tatsache, dass das Gebäude für sich ein Erlebnisraum ist und zugleich in seiner Größe an der untersten Grenze der Bespielbarkeit rangiert, sollte den Betreiber zur Reduktion des Inhalts bewegen. In einer Zeit permanenter Reizüberflutung kann das Vollstopfen der Räume mit unzähligen Stationen eines „Weltenbummels“, auch wenn die Erstausstellung von BEHF gestaltet ist, nicht überzeugen. Gewinnen kann, wer das Haus wie die Kinder ins Spiel einbezieht.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at