Bauwerk

Weingut Manincor
Walter Angonese, Rainer Köberl, Silvia Boday - Kaltern (I) - 2004

Im Einklang mit der Landschaft

Walter Angoneses Weinkellerei Manincor in Kaltern

Das Zusammenspiel von Wein und Architektur führte in jüngster Zeit zu einer Vielzahl meist ebenso schriller wie funktional fragwürdiger Lösungen. Eine der raren Ausnahmen bildet das vor gut einem Jahr vollendete unterirdische Kellereigebäude des Weinguts Manincor von Angonese, Köberl und Boday am Kalterersee in Südtirol.

2. Dezember 2005 - Roman Hollenstein
Stattliche Dörfer und Weingüter prägen die liebliche Landschaft am Kalterersee in Südtirol. Wer hier baut, sollte Sinn für den Ort und dessen Schönheit haben. Dies war Michael Graf Goëss- Enzenberg, dem Besitzer des barocken Herrensitzes Manincor, bewusst, als er nach einem Architekten Ausschau hielt, der seine alten Weinkeller erweitern sollte. Denn eine zeitgemässe Infrastruktur vom Keller über den Degustationsraum bis hin zum Verkaufsgebäude war immer dringender geworden, seit der Graf, ein ausgebildeter Önologe, aus dem Traubengut des 45 Hektaren grossen Anwesens selber Spitzenweine erzeugt.

Tempel und Schlund

Seinen Architekten fand der architekturinteressierte Bauherr vor sechs Jahren in dem 1961 in Kaltern geborenen und in Venedig ausgebildeten Walter Angonese, der neben bedeutenden Arbeiten in ganz Südtirol auch eine Kellerei im benachbarten Tramin vorweisen konnte. Zusammen mit Walter Köberl und Silvia Boday entwickelte Angonese ein Konzept, das - mit Rücksicht auf die «geliebte Landschaft» - eine (dem Wortsinn des Weinkellers entsprechend) weitgehend unterirdische Anlage vorsah. Im sanft abfallenden Rebberg nordöstlich des Herrenhauses wurde im Tagbau eine mit Spritzbeton befestigten Grube angelegt und darin auf einer Grundfläche von nahezu 3000 Quadratmetern ein L-förmiges Kellereigebäude errichtet. Die Konstruktion von bis zu 18 Metern Höhe und einem Volumen von 30 000 Kubikmetern (oder rund 100 Familienwohnungen) wurde nach ihrer Fertigstellung mit Erde überdeckt. Danach konnte der Rebberg in landschaftsgestalterischer Feinarbeit rekonstruiert werden, so dass seit der Einweihung im April 2004 nur einige architektonische Akzente von starker Ausdruckskraft durch den Boden dringen.

Anders als die Mehrzahl der in jüngster Zeit von Kalifornien bis Slowenien wie Pilze aus dem Boden geschossenen Kellereigebäude, die mit bunten Formen und verglasten Barriques-Showrooms die Weintouristen locken, setzt sich der Neubau von Manincor nicht selbstverliebt in Szene. Gleichwohl ist er von grosser architektonischer und räumlicher Präsenz. Nähert man sich dem Weingut von Süden her, so nimmt man zunächst nur die altehrwürdigen Bauten wahr. Nach der Toreinfahrt erblickt man ein Verkaufsgebäude aus tragendem Holzstabwerk und Glas, das einen bald an Laugiers Urhütte, bald an einen archaischen Tempel denken lässt. Rechts neben dieser Kleinarchitektur fällt eine breite Rampe sanft hinab zum halb überdeckten Betonschlund, der sich im Weinberg öffnet. Die aus angerosteten Stahltoren, grünschimmernden Vitrinen und einem weissen Screen gebildete Eingangsfront, die mitunter den Rahmen für Veranstaltungen bildet, erscheint fast wie die zeitgenössisch interpretierte Szenenwand eines antiken Theaters.

Eine rostig gefasste Treppe durchdringt links diese Wand, um als ansteigender Verbindungsweg durch das unterirdische Gebäude hinaufzuführen in den Weinberg, wo man unter einer von Eric Steinbrecher in Stahl gegossenen Pergola ins Freie tritt. Rechts im Schlund weitet sich hinter den riesigen Schiebetoren hingegen eine doppelgeschossige, durch kalkgraue Betonwände sowie rostfarbene Stiegen und Passerellen orchestrierte Querhalle, die in ihrer Detailsorgfalt an Carlo Scarpa denken lässt. Hier ist alles Raum: Ostwärts blickt man schräg hinauf zum Degustationsraum, nach Westen aber durch eine Glaswand in den von den alten Kellereibauten und neuen Verwaltungsbüros gefassten Patio. Durch die Tür neben dem Patio-Fenster betritt man den unteren Barriques-Keller, der wie der darüber gelegene obere Barriques-Keller durch einen schachtartigen Gang befeuchtet und belüftet wird.

Von hier erreicht man den Anlieferungsraum, zu dem hinauf die Trauben von der Querhalle aus mittels einer Liftanlage befördert werden, um danach - dem Verarbeitungsprozess entsprechend - hinunter in den Gärkeller auf der Eingangsebene und dann noch tiefer hinab in den Pressen- und Tankraum zu gelangen. In der logisch durchdachten Raumabfolge zeigt es sich, dass Angonese die Architektur weniger als kunstvolle Inszenierung denn als funktionale Kunst versteht. Umso grösser ist dann die Überraschung, wenn man sich nach der Durchquerung der Technikräume und der Maschinenhalle plötzlich auf der trichterförmigen Traktoreinfahrt mitten im Rebberg wiederfindet. Die hier schräg gestellten Stützmauern versteht Angonese nicht als modische Spielerei, sondern als «Reaktion auf die Topographie», während die «projizierte Patina» des rostigen Metalls einmal mehr darauf hinweist, dass Architektur durch Spuren des Lebens «besetzbar» sein soll.

Unterseeboot im Weinberg

Vom Pressen- und Tankraum aus kann man aber auch - vorbei am Abfüllkeller - hinaufsteigen in den Degustationsraum, der einem Unterseeboot gleich aus dem Rebberg auftaucht. Wie ein elegantes Refektorium eingerichtet, bildet der durch dynamisch geschnittene Fenster zur Landschaft offene Salon das luftig-helle Gegenstück zur unterirdischen Grottenwelt, in der die chromglänzende Technik vorherrscht. Als Höhepunkt der Promenade architecturale darf dieser Bauteil im Aussenraum mit plastischer Expressivität Präsenz markieren. Gleichzeitig verwandelt die von Glyzinien umrankte Terrasse die Sicht auf die über den Eichenwäldern thronende Leuchtenburg in eine Metapher des Zusammenklangs von Kultur und Natur.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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