Bauwerk

Bibliothek von Alexandria
Snøhetta - Alexandria (ET) - 2001

Die Bibliothek als Leuchtturm

Die Schätze von Alexandria versöhnten erst, zum Schluss brannten sie.

5. Oktober 2002 - Richard Reichensperger
Die natürliche Todesursache vieler antiker Gebäude war ein Erdbeben. Die unnatürliche ein Brand im Zuge einer Belagerung. Bei der Bibliothek von Alexandria gibt es widersprüchliche Meinungen zwischen beiden Extremen.

Der Gründungsmythos von Alexandria ist ja auch ein Phantasma der Architektur: Alexander der Große stieg 331 v. Chr., so erzählt die Legende, im Gebiet des heutigen Alexandria vom Pferd, warf seinen Mantel ab und sagte: Trapezförmig wie der Mantel, so solle die Stadt gebaut werden.

Dergleichen erspart riesige Architekturbüros. Gefüllt wurde das Trapez aber noch nicht mit Bildung: Das „Museion“, Tempel der Musen mit der Bibliothek, schuf erst Alexanders Nachfolger Ptolemäus. Begrenzt und beschützt wurde die Stadt durch die Hafenanlage bei Pharos: Es war der Leuchtturm, das siebte Weltwunder, der Alexandrias Ruhm ausstrahlte.

Das erste Leuchtfeuer der Schiffahrtsgeschichte, wo durch einen Hohlspiegel das Licht gebündelt und reflektiert wurde: So stark, dass es angeblich „bis ans Ende der Welt“ reichte. Das Licht der Bibliothek von Alexandria aber (im Neubau wird mit der Lichtdurchflutung übrigens der Turm zitiert) strahlte bald noch weiter aus und sollte umgekehrt die Welt hereinholen:

Demetrios, ein aus Athen vertriebener Politiker und ein Schüler des Aristoteles (der seinerseits der Erzieher Alexanders gewesen war), war nach Alexandria geflüchtet, und Ptolemäus, Herrscher Ägyptens, engagierte ihn als Bibliothekar: „Wieviele Schriftrollen besitzen wir?“, fragte ihn der Herrscher, denn beider Ziel war es, „alle Bücher aller Völker der Erde“ zu versammeln, wozu, was sie errechnet hatten, etwa fünfhunderttausend Schriftrollen nötig wären.

Das Ziel war auch ein Herrschaftswissen: Schriften über die Religionen besetzter Länder etwa sollten Zugang zur Mentalität der Bevölkerung ermöglichen. Aber Demetrios gab dem allen eine andere Ausrichtung. Sein Programm umschreibt bis heute noch Sinn und Zweck von Bibliotheken: Übersetzungen, Toleranz.

Man müsse, so Demetrios, unbedingt auch den Pentateuch ins Griechische übersetzen. So entstand die „Septuaginta“-Übersetzung in Alexandria. Aber, so der Bibliothekar, wenn wir diesen zentralen Text einer fremden Kultur übertragen, so können wir nicht gleichzeitig jüdische Sklaven halten: Ptolemäus ließ sie frei.

In Alexandrias „Museion“ fanden schon Symposien statt, und hier arbeiteten jahrhundertelang die größten Wissenschaftler der Antike: Der Geograph Strabo erforschte den Verlauf des Nils; Erasthotenes berechnete den Erdumfang; Euklid schrieb seine „Elemente der Geometrie“; Klassiker wie Homer wurden klassisch ediert. Und warum musste all dies untergehen?

Der Historiker Luciano Canfora glaubt nicht an die Theorie, die einen Brand im „Alexandrinischen Krieg“ Cäsars, 46/47 n. Chr., für die Zerstörung verantwortlich macht. Er verlegt das wahre Ende einige Jahrhunderte später, auf die Zeit nach der Einnahme Alexandrias durch Amr ibn al-As 640. Zu dieser Zeit lebte noch Iohannes Philoponos, ein Aristoteles-Kommentator. Er bat, die Bücher des Königsschatzes zu retten. Der Kalif Omar in Konstantinopel aber antwortete: „Wenn sich ihr Inhalt mit dem Koran vereinbaren lässt, so können wir auf sie verzichten. Enthalten sie aber Dinge, die vom Buch Allahs abweichen,, dann gibt es erst recht keinen Grund, sie aufzubewahren. Schreite also zur Tat und vernichte sie.“ - Die Bücher wurden auf die 4000 Bäder Alexandrias verteilt, als Brennstoff.

Oft endet die Geschichte von Bibliotheken mit einem Brand: Es ist, als ob eine höhere Macht an einem bestimmten Punkt eingriffe, um einen Organismus zu zerstören, der für eine Zentralmacht nicht mehr kontrollierbar ist.

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