Bauwerk

Bibliothek von Alexandria
Snøhetta - Alexandria (ET) - 2001

Müllhalden und Architektursuperlativ

Ein Lokalaugenschein in Alexandria.

5. Oktober 2002 - Karin Tschavgova
Das Gefühl von Fremdheit ist ein steter Begleiter auf dem Weg nach Alexandria, wenn der komfortabel klimatisierte Zug, für den man den halben Monatslohn eines Durchschnittsägypters hinblättert, an schier endlosen Elendsquartieren vorbeibraust. Dieses Land, diese Menschen sollen eine Bibliothek der Superlative brauchen, die den Staatsetat für Bildung vermutlich auf Jahre hinaus aufzehrt?

Der erste Eindruck des Bauwerks im Hafen von Alexandria drängt alle Bedenken vorerst in den Hintergrund: Zu eindrucksvoll ist die riesige, gegen die Bucht geneigte Scheibe, die städtebaulich äußerst gekonnt die durchwegs vertikal betonte Bebauung an der Corniche unterbricht, eingebettet in sonnenfunkelnde Wasserbecken und einen weitläufigen Platz, der dennoch einen Raum schafft zwischen dem älteren Kongresszentrum und dem neuen Gebäuderund. Schon hier zeigt sich das Können der Architekten. Trotz gewaltiger Dimensionen ist es außen wie innen fern jeglicher Monumentalität.

Den Architekten ist ein erstaunlicher Spagat gelungen: Großzügigkeit und Weite paaren sich mit Intimität und Atmosphäre. Was im Außenraum durch das sichtbare Versenken des Volumens unter Terrain gelingt, wird im Innenraum, dem Lesesaal, durch geschicktes Abtreppen des Raums erzielt, der dadurch an einer Stelle nur drei Meter hoch ist und anderorts wiederum 17 Meter. Beeindruckend ist das Licht, gleichmäßig gestreutes Tageslicht aus einem Gefüge plastisch geformter Dachelemente. Getragen werden sie von einem Wald an Säulen. Die erwecken, mit Reihen von blau und grün flirrenden Glaspunkten in den Deckenträgern, die Assoziation mit einer Moschee. Die Beschränkung auf wenige Materialien geben dem Saal Homogenität und eine Aura des „Immer schon da Gewesenen“.

Ob die Bibliothek diesen Stellenwert einmal erreichen kann? Wenn sie, wie ihr antikes Vorbild, nicht nur Sammelpunkt, sondern lebendige Schnittstelle zwischen Orient und Okzident wird, wäre der gewaltige Aufwand berechtigt. Nicht nur für das arme Land Ägypten.

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