Bauwerk

hill Weingut Hillinger
GERNER GERNER PLUS. - Jois (A) - 2004

Mit Blick aufs Barrique

Immer mehr Winzer stellen nicht nur an ihre Weine höchste Ansprüche, sondern auch an die Produktionsstätten. Und unter Architekten ist die Bauaufgabe Weingut inzwischen so prestigeträchtig wie einst das Museum.

8. Mai 2004 - Ursula Graf
Wollte man heute ein Ranking der beliebtesten Bauaufgaben unter Architekten durchführen, würden Weingüter den rar werdenden Bauten für die Kunst den ersten Platz streitig machen. Mit dem zu Recht medial „gehypten“ Dominus-Weingut von Herzog & de Meuron (1998) ist das Bauen für die Kunst des Kelterns gewissermaßen in den Rang von Museumsbauten aufgestiegen.

Auch in Österreich zeichnet sich in den letzten Jahren auf Grund der florierenden Weinwirtschaft, aber auch gestützt durch landwirtschaftliche Förderprogramme der Europäischen Union, in diesem Sektor eine erfreuliche Entwicklung ab. Sieht man von der Weinerlebniswelt des „Loisiums“ von Steven Holl einmal ab, wo der Name des Architekten eine ganze Region touristisch aufwerten soll, so entwickelte sich schon im Vorfeld dieses Großereignisses eine äußerst spezifische, funktionalistische Architektur, die den enormen Qualitätsanspruch der Winzer an den Wein demonstriert. Diese Entwicklung wird von jungen Bauherren und jungen Architekten gleichermaßen geprägt. Ganz ohne historisierende Reminiszenzen, aber mit großer Sensibilität wurde das größtenteils intakte bauliche Erbe - in Kellergassen oder Innenhöfen innerhalb des Ortsverbandes - instand gesetzt und erweitert, mit umfassenden Neubauten ist man auf Grünland ausgewichen.

Innerhalb kürzester Zeit wurden beziehungsweise werden nun zwei neu errichtete Weingüter der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt: das Anfang April eröffnete Südtiroler Weingut Manincor von Walter Angonese, Rainer Köberl und Silvia Boday und das nordburgenländische Weingut Hillinger von gerner°gerner plus, das Mitte Mai eröffnet wird. Beide Bauten führen exemplarisch eine mustergültige Einbettung in äußerst reizvolle Landschaften vor Augen.

Das Weingut Michael Graf Gŏess-Enzenbergs liegt nicht nur inmitten von Hügeln voller Rebhänge direkt an der Südtiroler Weinstraße mit Blick auf den Kalterer See, sondern schließt auch an das historische Anwesen des Gutshofes Manincor von 1608 an. Gŏess-Enzenberg erkannte das Potenzial der Lage, machte das Anwesen zu seinem Wohnsitz und beauftragte den aus Kaltern gebürtigen Architekten Walter Angonese, der im Umgang mit historischer Substanz (zum Beispiel Festung Kufstein-Josefsburg) eine Philosophie des „Weiterbauens“ entwickelte, mit dem Bau des Weinguts. Angoneses dialektische Betrachtungsweise von „verklärter Geschichte und geliebter Landschaft“ und zeitgenössischer Architektur nicht als Selbstbefriedigung abstrakter Zugänge, sondern im Kontext mit ihrer lebensweltlichen Umgebung zeitigte einen Bau, der Selbstverständnis ausstrahlt und eins ist mit seinem komplexen Umfeld. Traditionspflege in Form äußerster Zurückhaltung und Understatement zeichnen diesen unterirdischen dreigeschoßigen Bau mit einer bebauten Fläche von 3000 Quadrat- und einem Bauvolumen von 30.000 Kubikmetern aus. Der äußerst introvertierte Baukörper ist fast ausschließlich durch seine Innenräume und an den wenigen Rändern, wo einzelne Bauteile (Einfahrten und Verkostung) aus dem Erdreich ragen, erfahrbar. Die Überschüttung und Wiederbepflanzung mit Weinreben geht über eine landschaftskosmetische Dimension hinaus - sie isoliert, befeuchtet und schafft ein stabiles Kellerklima. Das Jahrtausende alte Thema Weinkeller wurde unter Ausnutzung des geophysikalischen Potenzials und auf ausgereiften önologischen Erfahrungen basierend „weitergespielt“.

Nichts stört hier die Ruhe der Weinwerdung. Der Kellereingang in Form eines enormen Betontrichters lässt zwar den vor Ort gegossenen Betonbau erahnen, gibt aber selbst bei geöffneten Kellertüren zwei raumhohe Stahlschiebetüren von 7 mal 12 Metern das Kellergeheimnis nicht preis. Dieses „riesige Maul“ (Rainer Köberl) - 550 Quadratmeter, gutteils unter freiem Himmel, mit einem schützenden, 13 Meter auskragenden Dach - wirkt wie eine demokratische Geste, die sorgsam den offenen Raumin einen Platz überführt.

Wie man trotz strengster Landschaftsschutzverordnung den Baukörper in die Weinberge integriert, ohne dabei auf dessen Wirkung und Erscheinungskraft nach außen zu verzichten, führen Gerda und Andreas Gerner meisterhaft vor. Am Ortsrand von Jois, inmitten der Weinhügel, liegt Leo Hillingers neues Weingut mit atemberaubenden Ausblicken auf den Neusiedler See, das Leithagebirge und die umliegenden Weingärten. Für den innovativen Winzer hat die Architektur ganz offensichtlich einen über den funktionalen Bedarf hinausgehenden Mehrwert. Ihm gefiel das preisgekrönte und viel publizierte Haus „sued.see“ (2001) von gerner°gerner plus, und er beauftragte daraufhin das Architektenduo mit dem Neubau seines Weinguts.

Gerda und Andreas Gerner verstünden es hervorragend, ihr sogenanntes abstraktes Ideal von konstruktiver Modernität auf die handfesten Bedürfnisse ihrer Bauherren abzustimmen, hält Otto Kapfinger fest, der weiters ihren ideologisch ungebundenen Avantgardismus hervorhebt. Der im Büro Helmut Richters geschulte Gerner sucht zudem industrielle Methoden im gegebenen Rahmen auszureizen. Ein Großteil des ungleichschenkeligen, L-förmigen Baukörpers mit einer Nutzfläche von 1500 Quadratmetern wurde aus Betonfertigteilen errichtet. Nur die Fundierungsarbeiten, die Hangstützmauern und die stark auskragenden Bauteile sind im Ortbetonverfahren hergestellt. Die Weinproduktion befindet sich im langen, im Erdreich versenkten Schenkel, der parallel zum Hang verläuft. Dieser eingegrabene Bauteil wird durch acht schräg gekappte und dadurch streng nach Norden orientierte Pyramidenstümpfe direkt belichtet. Im Inneren ergibt sich eine dramatische, sakral anmutende Lichtregie.

Der rechtwinkelig anschließende kürzere Gebäudeschenkel kragt als flache Stahlbetonschachtel auf V-förmigen Spritzbetonstützen aus dem Hang und beherbergt Verkostung und Verkauf. Hier öffnet sich das Bauwerk und lässt die weit ausgebreitete Landschaft über die zur Gänze verglaste Vorderfront wirken. Die Leichtigkeit und Durchlässigkeit des Gebäudes wird durch einen voll isolierverglasten Klimagang offenbar, der dem Besucher das Erlebnis ermöglicht, über eine Fertigbetonbrücke das Barrique-Lager im Untergeschoß einzusehen. Der extravertierte Bau setzt in allen Bereichen auf Transparenz: Nicht nur das Fasslager, sondern auch die Produktion ist einsehbar, und das flache Land um die Lange Lacke scheint sich im Gebäude breit zu machen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Leopold Hillinger
Leo Hillinger

Tragwerksplanung

Fotografie