Bauwerk

Besucher- und Pressezentrum des Österreichischen Parlaments
Geiswinkler & Geiswinkler - Wien (A) - 2005

Athene atmet auf

Begonnen hat es mit der Sanierung einer baufälligen Rampe. Zwei Jahre und zwei Wettbewerbe später darf das Parlament endlich mit einem zeitgemäßen Eingang rechnen. Zum vorläufigen Happy End eines Bauprojekts, bei dem die Republik fast ihr Gesicht verlor.

6. November 2004 - Christian Kühn
Ein nicht zu verachtender Vorteil gründerzeitlicher Gebäude ist, dass sie dem Besucher meist überdeutlich erklären, wo sich ihr Eingang befindet. Das Wiener Rathaus etwa: ein hoher, markanter Turm, Eingangstreppen, ein Torbogen dahinter. Hier muss er sein, der Eingang! Oder das benachbarte Parlament: Zwei Rampen umschließen den Brunnen der Pallas Athene wie große Arme und führen hinauf zum klassischen Portikus. Kein Zweifel: Hier betreten unsere Parlamentarier, vom Geiste athenischer Demokratie turboladerartig beflügelt, die Stätte ihres Wirkens.

Wer je versucht hat, auf dem geschilderten Weg in die beiden Gebäude zu gelangen, weiß, dass der Schein trügt. Beim Rathaus führt der zentrale Eingang vom Ring her in die große Volkshalle, die nur bei Ausstellungen geöffnet ist. Beim Parlament ist die Sache etwas diffiziler: Zu Theophil Hansens Zeiten fuhren die Parlamentarier mit Pferdewagen über die Rampe zum Portikus vor. Für den Winter sah Hansen zusätzlich einen zweiten, sogenannten Schlechtwettereingang vor: Hinter den Rampen ist auf Straßenniveau Platz für eine Durchfahrt, die quer unter dem Portikus liegt und es den Fahrgästen erlaubte, im Gebäudeinneren auszusteigen und die Eingangshalle über zwei vom Vestibül nach oben führende Treppen zu erreichen. Durch den Portikus wird das Parlament heute aber nur noch von Staatsgästen betreten. Mitarbeiter und Parlamentarier benutzen Seiteneingänge, die zumindest halboffiziell bestimmten politischen Parteien zugeordnet sind.

Als vor zwei Jahren ein tragischer Unfall an der Auffahrtsrampe zur Wiener Universität - eine Studentin war von abgestürzten Balustradenteilen tödlich verletzt worden - Anlass gab, die Sanierung bautechnischer Mängel auch an anderen Ringstraßenbauten rasch in Angriff zu nehmen, waren die Auffahrtsrampen zum Parlament eines der vordringlichsten Projekte. Der undichte Pallas-Athene-Brunnen hatte die Fundamente der Rampen so weit durchfeuchtet, dass schon seit einiger Zeit ein Fahrverbot für Fahrzeug mit über 3,5 Tonnen bestand. Außerdem war eine Erneuerung der Lüftungsanlage, die Hansen unter der Auffahrt untergebracht hatte, notwendig. 2002 wurde ein Wettbewerb für die Sanierung ausgelobt, den Architekt Herbert Bayer gewann.

In der Folge entwickelte das Projekt eine Eigendynamik, unter anderem, weil eine Untersuchung des Baugrundes ergab, dass noch umfangreichere Fundierungen notwendig waren, als gedacht, und daher mit wenig Zusatzaufwand weitere Räume geplant werden konnten. Neben dem neuen Haupteingang ins Parlament mit Garderoben für Besuchergruppen und multimedialen Informationsständen konnten ein neuer Tiefspeicher für die Bibliothek des Hauses, ein Raum für Vorträge und Pressekonferenzen sowie neue Studios für den ORF untergebracht werden. Aus der bautechnischen Sanierung wurde so im Lauf der Zeit ein umfangreiches architektonisches Projekt, das für die nächsten Jahrzehnte auch eine Art Visitenkarte des Hohen Hauses darstellen wird.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte klar sein müssen, dass es zusätzlicher gestalterischer Kompetenz bedarf, um die Aufgabe zu bewältigen. Vorerst wurde jedoch so weitergeplant, als ginge es nur darum, neben der Sanierung noch ein paar weitere Kellerräume und Türdurchbrüche einzubauen. Die Pläne, nach denen man im Frühjahr 2004 zu bauen begann, sahen vor, Besucher und Parlamentarier hinter den Rampen zu den Wintereingängen Hansens zu locken, sie dann aber um 90 Grad verschwenkt durch ehemalige Lüftungsöffnungen in die Rampe hineinzuführen, die an dieser Stelle gerade 2,7 Meter Raumhöhe aufweist. Von der dramatischen Raumentwicklung nach unten auf das Niveau des Vortragssaals, die sich heute auf den Baustellenfotos erahnen lassen, hätte der Besucher kaum etwas mitbekommen.

Ende März 2004 fand im Parlament eine Enquete über „Architektur und Baukultur“ statt, in der vielfach auf die Vorbildfunktion der Republik hingewiesen wurde. Neben der Verantwortung, die der Republik etwa als Eigentümerin der Bundesimmobiliengesellschaft zukommt, wurde dabei am Rande auch das Thema Parlamentsgebäude erwähnt. Seit dem Wiederaufbau nach dem Krieg, dem das Parlament den schönen, aber heutigen Arbeitsbedingungen nur noch unzureichend entsprechenden Plenarsaal von Fellerer und Woerle verdankt, gab es zwar einzelne Adaptierungen, aber nie ein Konzept für eine schrittweise Generalsanierung. Braucht, so wurde bei der Enquete gefragt, nicht auch eine Institution wie das Parlament eine zeitgemäße räumliche Fassung?

Nach Angabe der Parlamentsdirektion war das der Anlass, das Eingangsprojekt auf höchster Ebene noch einmal zu überdenken. Parlamentspräsident Andreas Khol traf schließlich die Entscheidung, einen neuen Wettbewerb zumindest für die Innenausstattung der Räume durchführen zu lassen. Die Architektenkammer konnte in der Vorbereitung des Wettbewerbs durchsetzen, dass zwar der Titel „Designwettbewerb“ beibehalten wurde, Änderungen an der räumlichen Disposition aber durchaus zulässig waren. Vom Zeitplan her war der Wettbewerb alles andere als ideal: Gerade einmal sechs Wochen hatten die eingeladenen Teams Zeit, ein Projekt zu entwickeln, während parallel dazu auf der Baustelle die Rampen entfernt und neue Fundamente betoniert wurden.

Das Siegerprojekt von Kinayeh und Markus Geiswinkler ist angesichts dieser Projektgeschichte ein erstaunlicher Glücksfall. Statt durch Lüftungsöffnungen betritt man das Parlament nun wieder durch die Wintereingänge Hansens, der Bereich dahinter ist neu organisiert, die schweren Gewölbe an den statisch richtigen Stellen geöffnet, um einen durchgängigen Raumeindruck zu erzeugen. Ein mit Bartenbach-Lichttechnik erarbeitetes Beleuchtungskonzept lässt die niedrige Decke unter der Rampe durch ein spezielles Prismensystem doppelt hoch erscheinen. Abgehängte Decken und einige Zwischenebenen sind entfernt, um den vertikalen Raum zwischen Vortragssaal und Eingang zur Wirkung zu bringen. Eine freitragende Stahltreppe führt an einer großen Medienwand vorbei nach unten.

Unmittelbar nach der Jury-Entscheidung begann die Feinabstimmung des Projekts. Trotz umfangreicher planerischer Veränderungen an Lüftungstechnik und Statik ist es dabei gelungen, zwischen den Architektenteams ein produktives Verhältnis herzustellen. Dass die Geiswinklers nicht nur als Bauherrenpreisträger für ihre Wohnbauten bekannt sind, sondern auch viel Erfahrung mit dem Bauen im Bestand jenseits taxidermischer Denkmalpflege haben - mit dem Guess-Club etwa und derzeit dem Umbau einer Rettungsstation in Hernals - hat da sicher geholfen.

Die Bauherrenseite war jedenfalls mit der Planung so zufrieden, dass sie beschloss, noch einen Schritt weiterzugehen. Wenn das Parlament schon ein neues, attraktives Foyer bekommt, warum sollen die Besucher das Gebäude nicht dort betreten dürfen, wo man es vermutet? Und so erhielten die Architekten von den „Hausherren“ Andreas Khol und Barbara Prammer den Auftrag, zusätzlich zu den zwei seitlichen, hinter den Rampen eher versteckten Eingängen ins Foyer einen weiteren in der Mitte des Gebäudes direkt hinter dem Brunnen im Sockel der Rampe zu planen. Die Entwürfe sind in Arbeit, die Abstimmung mit dem Denkmalamt läuft. Und Pallas Athene, die griechische Göttin der Weisheit auf ihrem Brunnensockel, darf fürs Erste aufatmen.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at