Bauwerk

Besucher- und Pressezentrum des Österreichischen Parlaments
Geiswinkler & Geiswinkler - Wien (A) - 2005

Sie war nicht mehr ganz dicht

Begonnen hat es eigentlich mit ganz uncharismatischen Trockenlegungsarbeiten zu Füßen der Pallas Athene. Doch kaum hat man sich's versehen, haben sich Palais Epstein und Parlament schon in Schale geworfen.

22. Oktober 2005 - Wojciech Czaja
Bauarbeiter und Architekten setzen zum absoluten Endspurt an, der Countdown läuft. Letzter Feinschliff, da und dort noch Farbe an die Wand, die vielen Flatscreens einjustieren, schließlich den Putztrupp in die neuen Räumlichkeiten entsenden. Dass sich in ein paar Tagen schon der gesamte Baustellenstaub aus dem neuen Foyer des Parlaments verflüchtigt haben soll, ist nur schwer vorstellbar. Aber irgendwie klappt's immer. Wahrscheinlich wird es sich so abspielen wie in Jacques Tatis Film Playtime: Die letzten Handwerker werden links aus dem Bild treten, während rechts schon die ersten Besucher die neue Örtlichkeit stürmen.

Gedankenjahr 2005, der Nationalfeiertag steht ins Haus. Die Besonderheit des diesjährigen Tages der offenen Tür im Wiener Parlament - und das ist natürlich Resultat eines langjährigen Kalküls - ist neben dem 50-jährigen Jubiläum des Österreichischen Staatsvertrags aber vor allem die Einweihung des neuen Besucherzentrums und der sanierten Rampe. Die Riesenbaustelle an der Wiener Ringstraße ist endlich abgeschlossen. „Wir werden die Türen weit öffnen“, betont Nationalratspräsident Andreas Khol.

Begonnen hat das Ganze natürlich ganz anders. „Die Pallas Athene war nicht mehr ganz dicht“, erzählt Kinayeh Geiswinkler-Aziz vom Architekturbüro Geiswinkler & Geiswinkler. Und tatsächlich, im Fundament hat's getropft. Der Brunnen, der der griechischen Göttin der Weisheit zu Füßen liegt, wurde in den vergangenen Jahrzehnten undicht, der Wasserverlust betrug zuletzt bis zu acht Kubikmeter pro Woche. Und durch irgendwelche Ritzen musste sich die Feuchtigkeit ihren Weg schließlich bahnen.

Während Architekt Herbert Beier also mit der Sanierung der Rampenfundamente und der Brunnenanlage beschäftigt war, nutzte man die Gunst der Stunde und schrieb einen geladenen, EU-weiten Wettbewerb für ein neues Besucherzentrum unter der Rampe aus. Geiswinkler & Geiswinkler konnten sich durchsetzen.

Ein neues Foyer für das alte Parlament - das ist wahrlich keine leichte Aufgabe. Wie bauen für Vater Staat? „Natürlich ist das Parlament von Theophil Hansen als völlig herrschaftliches und hermetisches Gebäude konzipiert worden“, erklärt Architekt Markus Geiswinkler. Diesen Umstand zu ändern habe viel Feingefühl erfordert. „Modische Gadgets sind hier fehl am Platz, letztlich soll das Foyer in einem Jahrzehnt immer noch einen aktuellen Eindruck vermitteln.“ Dass die Architektur in diesem Sinne etwas zurückgenommen erscheint, wird daher nicht verwundern. Elegant, gediegen, ja sogar klassisch tritt das neue Besucherzentrum im Schatten der Pallas Athene auf.

Wo früher nur Erdreich war, haben Geiswinkler & Geiswinkler nun einen luftigen Raum auf drei Ebenen herausgebuddelt. Schwarz und weiß, viel Glas, viel Stein und viel zukunftsreiches Image, ganz im Sinne der Nationalhymne. Über Stiegen, Rampen und Lifte gelangt man ins Herz des neuen Besucherzentrums. Mit jedem weiteren Schritt in die Gefilde unter der Parlamentsrampe eröffnen sich neue Einblicke in die Spielregeln repräsentativer Architektur, die ganz selbstverständlich in die heutige Zeit hinübergetragen und neu interpretiert wurden. Von hier aus werden auch die Führungen durch das Hohe Haus starten. „Das neue Foyer ist Zeuge eines völligen Paradigmenwechsels im Parlament“, resümiert Andreas Khol, „aus einem alten Herrenhaus ist ein offenes Parlamentsgebäude für alle Bürger und Bürgerinnen geworden.“

Politische Architektur wird attraktiv. Norman Foster hat schon vor geraumer Zeit dem Berliner Reichstag die gläserne Kuppel aufgesetzt, vergangenes Jahr ist in Edinburgh das steinig gläserne schottische Parlamentsgebäude fertig gestellt worden. Und nun nimmt sich auch Österreich ein Beispiel und bringt frischen Wind ins alte Gemäuer.

Dennoch gilt auch in Wien das Motto der Stunde, demnach das Parlament zur touristischen Institution geworden ist. Statt der bisherigen 60.000 Besucher jährlich rechnet man nun mit 100.000 Interessierten. Hoch gesteckte Ziele auch im Bereich des Vorplatzes, Khol spricht von einem „städtischen Platz im Stile des Museumsquartiers; Menschen sollen sich hier frei und ungezwungen aufhalten können.“

Während man im Bereich des schweren Rampensockels um Öffnung und Orientierung ringt, platzt das Hohe Haus andernorts aus allen Nähten. Der Wiener Stadtschulrat ist aus dem benachbarten Palais Ep- stein - ebenfalls ein Werk Theophil Hansens - schon vor geraumer Zeit ausgezogen; rechtzeitig zum Nationalfeiertag eröffnet nun auch dieses Gebäude, das von der Hausbesitzerin BIG eigens für Parlamentszwecke adaptiert und von Grund auf saniert wurde.

Unzählige Umbauten und Erweiterungen hatten aus dem einst herrschaftlichen Palais im Laufe eines Jahrhunderts ein unerträgliches Flickwerk entstehen lassen. Zerstörte Böden, penetrant ignorierte Wandvertäfelungen und ein nicht mehr wiedererkennbares Grundkonzept des Architekten waren die Folge.

Doch ein EU-weiter, offener Wettbewerb sollte im Frühjahr 2002 auch hier Klarheit schaffen. Als das Kuvert des anonymen Siegerbeitrags geöffnet wurde, staunten nicht wenige über die jungen und noch unbekannten Verfasser des überzeugenden Projekts. Georg Töpfer und Alexander van der Donk, beide gerade einmal 40 Jahre alt, haben im Zuge des Projekts aber durchaus Kompetenz an den Tag gelegt.

Eine behutsame Analyse hat ergeben, dass ein gezieltes Herausreißen des - baulich recht uninteressanten - Dienstbotentraktes der größte Gewinn für das historische Palais bedeuten würde. Der Übergang von Alt zu Neu ist heute dezent spürbar, in diesem Neubauteil wurde das gesamte Rückgrat des Gebäudes von Lift und Stiegenhaus bis hin zu den Sanitär- und Serverräumen untergebracht.

Der Rest des Gebäudes ist Resultat einer vorbildlichen Sanierung und damit ein neues Aushängeschild für BIG und Bundesdenkmalamt. Vor allem aber ist das Palais Epstein ein Gebäude, das sich wie ein Kriminalroman der Architekturgeschichte liest. So entdeckte man hinter hässlichen Einbauten beispielsweise eine riesige Glasschiebetür, die den Tanzsaal zum Wintergarten hin großzügig öffnet - nach über hundert Jahren immer noch vollkommen funktionsfähig.

Im Erdgeschoß wiederum, wo sich früher das Bankhaus Epstein befand, haben die Architekturdetektive endlich herausgefunden, wozu die rätselhaften Holzknöpfe im Bereich der Fensternischen dienten. Schwere Stahlkurtinen ließen sich mittels dieser Entriegelung aus dem Kellergeschoß hochhieven, womit man sozusagen den architektonischen Ursprung des Einbruchschutzes entdeckt und erkundet hat.

Eine Ausstellung wird in den ehemaligen Bankräumen im Erdgeschoß Aufschluss über die Geschichte des Palais Epstein geben. In den Stockwerken darüber werden die Parlamentarier hausen, um an Vater Staat weiterzumodellieren. „Das Palais Epstein und das Parlament ergänzen einander in wunderbarer Art und Weise“, so Nationalratspräsident Khol, „das Palais ist ein elegant saniertes Relikt einer glanzvollen Vergangenheit, das Besucherzentrum im Parlament hingegen ist ein impulsiver und vor allem jugendorientierter Ort.“

Und um vom politischen O-Ton wieder auf den Pfad der Architektur zurückzufinden: Parlament und Palais Epstein sind überzeugende Boten einer neuen kulturellen Weitsichtigkeit. Es ist letzten Endes als schöne Geste aufzufassen, dass die Gestaltung von zwei derart bedeutenden Bauwerken in die Hände einer - um in der verzerrten Zeitrechnung der Architekturbranche zu sprechen - so jungen Generation gelegt wurde.

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