Bauwerk

Kunstmuseum Stuttgart
Hascher Jehle - Stuttgart (D) - 2004
Kunstmuseum Stuttgart, Foto: Brigida Gonzalez
Kunstmuseum Stuttgart, Foto: Brigida Gonzalez
Kunstmuseum Stuttgart, Foto: Brigida Gonzalez
Kunstmuseum Stuttgart, Foto: Brigida Gonzalez

Wo Autos durch den Tunnel rasten, hängen jetzt Bilder

Stuttgart eröffnet ein neues städtisches Kunstmuseum. Prunkstück ist die riesige Otto-Dix-Sammlung.

6. März 2005 - Gerhard Mack
„Man präsentiert hier nicht gerne, was man hat“, sagt Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster. Das gilt auch für das neue Museum, das der Kunstsammlung der Stadt nach Jahrzehnten in Dauerprovisorien für 67 Millionen Euro endlich eine Heimstatt gibt. Die Lage am Schlossplatz ist prominent, doch als Auswärtiger sucht man zunächst vergeblich: Die Glaskiste zwischen dem 1959 wieder aufgebauten Königsbau und dem Betonklotz der Buchhandlung Wittwer ähnelt eher einem weiteren Kommerzbau als einem der Häuser, mit denen Architekten rund um den Globus ihre Duftmarken setzen und die Augen von Tourismusmanagern zum Glänzen bringen.
Die Stuttgarter Rainer Hascher und Sebastian Jehle mit Büro in Berlin, die den vierten (!) Wettbewerb um den Neubau 1999 für sich entschieden, entwarfen einen rundum verglasten Kubus, der in seinen Innern einen zweiten massiven Betonwürfel umschliesst. Dieser ist mit Bruchsteinplatten aus Jurakalk verkleidet und enthält drei Ausstellungsgeschosse. Zwischen beiden liegen Wandelgänge, auf dem Steinklotz lockt ein Restaurant mit Rundblick auf die Stadt. Der hinsichtlich Klimatisierung und Belichtung ausgetüftelte Bau fügt sich so unauffällig in die heterogene Umgebung, dass man seitens der Stadt überlegt hat, noch einen Stock draufzusetzen, wie Wolfgang Schuster freimütig bekennt.

Stadtreparatur

Stuttgart tut Busse, die Architekten, die beauftragt wurden, sprechen unverhohlen von „Stadtreparatur“ und wählen dafür Unscheinbarkeit als Strategie. Was so übersehbar daherkommt, entfaltet auf den zweiten Blick nämlich stadträumliche Qualitäten. Eine riesige Freitreppe umfliesst den Museumsbau, lädt zum Sitzen ein und bindet den zuvor isolierten „Kleinen Schlossplatz“ dahinter ins städtische Wegenetz ein. Das Autobahnkreuz, das 1969 hier für eine „autogerechte Stadt“ brachial ins Stadtgewebe geschlagen und mit einer Betonplatte überdeckelt wurde, hinterliess in der Platzfront eine Lücke, welche die Glaskiste dezent schliesst. Überdies lockt sie, leicht zurückversetzt, Passanten nach innen. Vor allem aber ist es gelungen, den komplexen Untergrund einzubeziehen und vier Fünftel der 5000 Quadratmeter Ausstellungsfläche in längst stillgelegten Strassentunnels unterzubringen. Aus Strassenraum Kunstraum zu machen, wurde zum Kern des Konzeptes.

Diese Ausrichtung macht sich im Innern bemerkbar. Von einem hohen Atrium mit schicker Bar und offener Treppe ins Untergeschoss und zu den Räumen im Glaskubus gelangt man in einen quer angeordneten Raum, der separat für Veranstaltungen genutzt werden kann, und wird auf einen Weg geleitet, der sich über sechzig Meter in die Tiefe erstreckt und mit seiner unregelmässigen Steigung Erinnerungen an eine Strasse weckt. Während nach links Kabinette abzweigen, geben rechts grosse Durchbrüche den Blick ins Untergeschoss frei. Brücken führen in eine Suite von annähernd gleich grossen Räumen. Am Ende der zentralen Achse, die durch ein Glasband zum darüber liegenden Platz Tageslicht erhält, leitet eine zweite Treppe ins Untergeschoss, das mit seinen offenen Räumen für grössere Installationen geeignet ist. Während hinter den Wänden rechter und linker Hand täglich 50 000 Autos in benachbarten Tunnels vorbeirauschen, kann man auf beiden Ebenen abgasfrei und in vollkommener Stille Kunst geniessen.

Zur Eröffnung präsentiert Direktorin Marion Ackermann 450 zentrale Werke aus der 15 000 Arbeiten zählenden Sammlung des Kunstmuseums Stuttgart. Der Bogen beginnt bei Eisenbahnbildern Hermann Pleuers, der den schwäbischen Impressionismus vertritt, und reicht bis zu Ankäufen aus der jüngsten Gegenwartskunst. Dabei setzen Ortsbezug und internationale Ausstrahlung den Takt. Adolf Hölzel, der 1905 an die Stuttgarter Akademie berufen wurde, sind zwei Räume gewidmet. Sein Changieren zwischen Ornament und Figuration gehört genauso zum Kernbestand des Museums wie Werkgruppen seiner Schüler Johannes Itten, Oskar Schlemmer und Willi Baumeister, dessen Archiv ans Haus gebunden wurde. Über ein wunderbares Ensemble von Klee- Miniaturen, denen Geistesverwandte wie Julius Bissier folgen und über Werkgruppen des deutschen Expressionismus aus der Sammlung Stangl schreitet man die Moderne ab, so wie sie in Baden-Württemberg, vor allem in Stuttgart, bei Künstlern und Sammlern ihren Widerhall gefunden hat.

Gediegene Sammlung

Dabei ist ganz erstaunlich, wer im Südwesten Deutschlands gelebt oder gearbeitet hat. Emil Schumacher zählt ebenso dazu wie Markus Lüpertz, Joseph Kosuth und Wolfgang Laib, dessen betörend duftender Wachsraum im Untergeschoss eine Energiezelle der Ausstellung ist. Dieter Roth ist zentral vertreten, die konkrete Kunst aus der Sammlung Teufel ein weiterer Schwerpunkt. Als krönender Abschluss ist das Werk von Otto Dix im dritten Ausstellungsgeschoss des Glaskubus inszeniert, von dem man mit 250 Arbeiten weltweit das grösste Konvolut besitzt.

Wenn in der Saalmitte vier hängende Tierattrappen hinzugefügt sind, die Bruce Nauman zersägt und bizarr zusammengeklebt hat, so werden darin zwei Elemente des neuen Museumskonzepts deutlich: Kunstwerke werden, auch unter Risiko, über Epochen hinweg miteinander ins Gespräch gebracht, und Sammler sollen ans neue Haus gebunden werden. Josef Froehlich, der die Nauman-Arbeit von 1989 auslieh, sitzt im Stiftungsrat und bietet ein Vorrecht bei der Ausleihe an.

Die Voraussetzungen für einen guten Start sind nicht schlecht. 4,6 Millionen Euro stellt die Stadt, zunächst einmal auf fünf Jahre, jährlich zur Verfügung. Einnahmen und Sponsorengelder kommen hinzu. Der alte Personalbestand wurde auf dreissig Stellen verdoppelt, einen Teil der Angestellten bezahlt die Stadt. Sie nimmt Museum und Werke auch in ihre Versicherung, das spart Geld. Die Stiftung als Rechtsform erlaubt es, freier mit den Mitteln umzugehen. Vielleicht gehen die Hoffnungen der Stuttgarter ja in Erfüllung, dass ihre Stadt mit dem neuen Museum endlich aus dem Dornröschenschlaf in Sachen Kunst erwacht.

[ Kunstmuseum Stuttgart, Angekommen - Die Sammlung im eigenen Haus, bis 31. 7. Sammlungskatalog: Verlag Hatje Cantz. Gebäudemonografie: Verlag Walther König. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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