Bauwerk

Elbphilharmonie Hamburg
Herzog & de Meuron - Hamburg (D) - 2016
Elbphilharmonie Hamburg, Foto: Markus Kaiser
Elbphilharmonie Hamburg, Foto: Markus Kaiser

Viele Farben weiß

Die Elbphilharmonie in Hamburg

Viel, fast zu viel ist bereits über die Elbphilharmonie geschrieben worden. Nun, da der immense Strom von Metaphern, Hymnen und Superlative langsam abebbt, ist die Zeit gekommen, sich eingehender und differenzierter mit diesem »Jahrhundertbauwerk« zu beschäftigen. Natürlich: Dieser für Hamburg so bedeutende Bau lädt mit seinem Reichtum an Formen und Materialien, seinen Rauminszenierungen und seiner Melange aus Alt und Neu zu Interpretationen und Assoziationen ein wie kaum ein anderes Gebäude unserer Zeit. Doch spannender als die Klärung der Frage, ob die Elbphilharmonie nun ein Wellenmeer, ein Segelschiff oder ein Eisberg sei, ist es, zu ergründen, mit welchen Mitteln die ­Architekten die besondere Wirkung des Bauwerks erzeugten.

1. März 2017 - Claas Gefroi
Die enorme Kraft und suggestive Wirkung, die die Elbphilharmonie erzeugt, steht in einem interessanten Kontrast zu einem sich stetig verändernden Äußeren: Je nach Standpunkt, Tageszeit und Wetter erscheint der gläserne Körper über den alten Backsteinwänden des einstigen Kaispeichers A weiß, grau oder blau und schließlich, wenn die Abendsonne ihn bescheint, goldglänzend. Mal wirken die enormen Glaswände stumpf und matt, dann wieder spiegelnd und glitzernd. Und schließlich sind die großen Flächen auch noch differenziert in hell erscheinende Flächen, in denen, wie Fettaugen in einer Brühe, rundliche dunkle Flecken schwimmen. Diese Wirkung ist der speziellen Herstellung der Scheiben zu verdanken: Jedes der insgesamt 1 089 einschaligen, jeweils fünf Zentimeter dicken Fassadenelemente besitzt eine individuelle Bedruckung aus grauen Punkten für den Sonnenschutz und silbernen Chrompunkten für einen Spiegeleffekt an der Außenseite. Und schließlich sind da noch die Wölbungen der Gläser. Für seitlich angebrachte Lüftungsöffnungen sowie für Balkonbrüstungen stülpen sich zahlreiche Gläser nach außen wie die Kiemen eines Fischs. Diese gebogenen Bereiche reflektieren den Himmel und setzen so weiß strahlende Akzente.

Jeder Besucher der Elbphilharmonie, ob Konzertbesucher, Tourist oder ­Hotelgast, fährt auf einer 82 m langen Rolltreppe zunächst auf eine kleine Zwischenebene und von dort mit einer weiteren, kürzeren Rolltreppe schließlich auf die Plaza, der ehemaligen Dachebene des Speichers, die heute als Aussichtsplattform und Verteiler in die einzelnen Gebäudebereiche dient. Die rund zweieinhalb Minuten lange Fahrt ist ein Ereignis: Die Rolltreppe steigt nicht gleichmäßig an, sondern beschreibt einen Bogen, dessen Neigungsgrad von 26,5 ° an der Basis zu 8 ° am Ende abnimmt. Durch diesen Kunstgriff wird die Spannung gesteigert, denn der Besucher kann am Anfang der Fahrt noch nicht sehen, wohin ihn die Rolltreppe bringt. Der »Tube« genannte Tunnel ist matt weiß verputzt. In den Putz sind 8 000 runde glänzende, weißliche, zart irisierende Glasfliesen eingelassen. Die Verteilung dieser »Pailletten« erscheint zunächst unregelmäßig, dann doch strukturiert, wie Noten auf einem Blatt Papier. Die Atmosphäre in diesem Raum ist so eigen wie einzigartig. Die indirekte Beleuchtung von unten taucht alles in ein mystisches, diffuses Licht. Es ist ein seltsames Bild, wie das aufwendig in edle Abendgarderobe gekleidete Publikum in diesem kargen, nüchternen, hellen Raum emporfährt – so surreal wie der Anblick von Astronaut Bowman im weißen Zimmer am Ende von Kubricks »2001«.

Dieser Auftakt ist ein Zeichen. Die Elbphilharmonie ist kein repräsentativer Musentempel für die bürgerliche Elite, sondern ein Haus für Jedermann, gebaut, um Musik zu hören, zu erleben, zu verstehen. Die enormen Raumskulpturen im Innern, schon zu erahnen auf der Plaza, wirklich zu erleben aber erst in den vielen Aufgängen, Foyers und natürlich im Großen Saal selbst, zeugen von dem Willen, die Musik zu ihrem Recht kommen zu lassen – losgelöst von Konvention, Repräsentation, Elitarismus. Hier gibt es keine samtroten Vorhänge, keine holzvertäfelten Wände (außer im Kleinen Saal, wo das Eichenholz jedoch entgegen allen Traditionen für die Akustik lebhaft auf und ab schwingt) und keine goldenen Türknaufe. Der wunderbar glatte weiße Putz zeigt die mannigfaltig geknickten und gerundeten Wände und Decken als pure Formen, eine wunderbare Reduktion von Architektur auf Körper im Spiel von Licht und Schatten. Jedes Fleckchen Farbe, jedes Stückchen Verkleidung wäre hier fehl am Platze. Entsprechend zurückgenommen ist auch das Mobiliar der Foyers, aber auch in den dem Publikum verborgenen Aufenthaltsräumen für Dirigenten und Musiker: Die vom jungen Hamburger Büro Besau Marguerre zusammen mit Architekt Daniel Schöning entworfenen Stehtische und Sitzbänke sind wundervoll zarte, minimalistische Objekte mit leichten Anleihen ans Art Déco und Bauhaus, ebenfalls in Weiß gehalten. Die Designer sprechen vom Weiß nicht als Farbe, sondern davon, die Möbel »entfärbt« zu haben für einen gleichsam umgekehrten »White Cube«, in dem sich die Möbel zugunsten der Musik und der Architektur zurücknehmen. Das gelingt. Die Möbel sind präsent und ordnen sich doch jederzeit dem Raum unter. Dabei ist weiß nicht gleich weiß: Es gibt zahlreiche Nuancen von reinem Weiß bis zu Beigetönen, so wie die Stoffbezüge von grob bis fein reichen. Wie die Architekten Herzog & de Meuron mit ihren Räumen, wollen die Designer mit ihren Gebrauchsobjekten den Seh- und Tastsinn stimulieren und die Wahrnehmung schärfen – als Einstimmung auf das große akustische Erlebnis in den Konzertsälen.

Der Große Saal atmet diesen Geist: Trotz seiner enormen Höhe und der kühn geschwungenen Formen spielt er sich nirgendwo in den Vordergrund, sondern bleibt immer Diener seines Herrn: der Musik. Die berühmte weiße Haut ist dafür ein Symbol: Wände und Brüstungen sind hier weit mehr als Raumbegrenzungen – sie werden zu Trägern, ja, Erzeugern des Klangs. Die 10 000 weißen, massiven, immer unterschiedlich gefrästen Gipsfaserplatten zeugen einerseits von Individualität und Einzigartigkeit und ordnen sich doch einem großen Ganzen unter – so wie die Waben in einem Bienenstock. Auch im Saal wird auf markante Farben verzichtet: Neben dem Braun der Eichenböden und dem Grau der Sitzbezüge gibt es nur noch abgetöntes Weiß. Die zurückhaltende Farbigkeit in Verbindung mit dem warmen, sorgsam gesetzten Licht (Konzept: Ulrike Brandi) geben dem dynamischen, spannungsreichen Saal Ruhe und Konzentration, der Fokus liegt auf der Mitte mit dem Orchesterpodium und damit letztlich auf der Musik.

Wer das Glück hat, eine der nicht öffentlichen Dachterrassen zu betreten, wird schließlich auch noch die fünfte Fassade aus der Nähe betrachten können. Das Dach besteht aus insgesamt acht ineinander geschnittenen Beton-Kugelteilflächen, die von 1 000 unterschiedlich gekrümmten stählernen Dachträgern gehalten werden. Sie sind bekleidet mit über 8 000 eloxierten, weiß pulverbeschichteten, gelochten Aluminiumtellern, die das Paillettenmotiv der Tube fortführen – hier allerdings eng und gleichmäßig gesetzt wie auf einem Kleid. Wie die Glasfliesen besitzen auch diese Elemente keine Funktion außer der, dem Dach ein besonderes Gepräge zu verleihen. Das ist wichtig, denn Teile der Dachfläche sind infolge der starken Krümmungen auch von der Straßenebene aus zu sehen. Dieser Gebäudeabschluss zeigt eindrucksvoll eine weitere Nuance der Farbe: Dieses Weiß ist nicht mehr die neutrale, nüchterne Oberfläche von Körpern, sondern in seiner gleißenden Helligkeit ganz eigenständig, entmaterialisiert, dem Himmel auf eine fast metaphysische Weise nahe. So wie Musik in ihrer berückendsten Form.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de