Bauwerk

Justizzentrum Leoben
Hohensinn Architektur - Leoben (A) - 2004

Freiheit und so weiter

Taghelle, von zwei Seiten belichtete Gänge, ein Aufenthaltsraum, warmtönig in den Materialien. Helles Holz, Birke, ein Farbtupfen Dunkelrot. Licht. Eine Perspektive. Die Justizanstalt Leoben.

25. Dezember 2004 - Karin Tschavgova
Bild eins: schlauchartige, niedrige Gänge ohne natürliche Belichtung. Beklemmende Enge. Ein Gemeinschaftsraum am Lichthof, der zu gering dimensioniert ist, um an einem grauen Wintertag das Tageslicht noch in die unteren Geschoße dringen zu lassen. Raumzellen als Betonfertigbau aus den späten 90er-Jahren, möbliert mit Stahlrohrbetten, gestapelt neben- oder übereinander. Fenster, nicht groß genug, um einen Zipfel Himmelsblau erhaschen zu können. Trostlos.

Bild zwei: Taghelle, von zwei Seiten belichtete Gänge, die sich zu einem Foyer erweitern. Von dort einsehbar, nur durch Glas getrennt, ein Aufenthaltsraum und eine Teeküche, sonnenbeschienen, warmtönig in den Materialien. Wohnraumatmosphäre. Daneben kleine, funktionell möblierte Räume. Nur helles Holz, Birke, ein Farbtupfen Dunkelrot, kräftige Farben für die beweglichen Teile des Mobiliars. Am Fenster, das bis zum Boden reicht, ein einfacher Tisch. Licht. Eine Perspektive.

Zwei Häuser, eine Welt - die des Gefängnisses. Beide sind an Gerichtshöfe angeschlossen, Ersteres an das Landesgericht in Graz-Jakomini, das andere steht im steirischen Leoben und wird in den nächsten Wochen belegt. In beiden sitzen Untersuchungshäftlinge und Straffällige mit einem Strafrahmen bis zu 18 Monaten ein. Die dem Vollzug zu Grunde liegenden Gesetze, auf der Brodaschen Justizreform von 1975 basierend, werden hier wie dort angewandt. Erst damals wurden Strafen am Leib wie Fasttag und Dunkelhaft abgeschafft, und es gilt: Der Freiheitsentzug ist die Strafe, nicht mehr, und erreicht werden soll, dass ein Sträfling nicht rückfällig wird.

Die Justizanstalt Leoben ist, gemeinsam mit dem Bezirks- und Landesgericht und der Staatsanwaltschaft, Teil eines neuen Justizzentrums, das der Grazer Architekt Sepp Hohensinn als Gewinner eines internationalen Wettbewerbs (2000) nun realisieren konnte. Zum Gelingen haben drei engagierte Menschen beigetragen: der zuständige Sektionschef im Justizministerium, der die Ideen mittragende damalige Leiter der Justizanstalt Leoben und der Architekt. Die Basis erfolgreicher Resozialisierung wird einerseits im Umgang mit den Insassen gesehen, der die Würde und Intimsphäre jedes Menschen respektieren muss, andererseits in der Gestaltung der Haft, die dem Leben draußen ähneln soll.

In Leoben wurde diese Erkenntnis zur Grundlage der Planung. Der Architekt nahm sie ernst und setzte sie lückenlos um - von der Aufnahme bis zum Freigängerhaus, von der Fassade des Haftgebäudes bis in die Zelle. Schon äußerlich wird die Assoziation mit dem „Grauen Haus“ vermieden; Profilitglas als Außenhaut ist nicht nur dauerhaft, es lässt die Wärmedämmung dahinter sichtbar und erzeugt ein changierendes Schimmern von Gelb zu Grün. Der erste Weg ins Gefängnis über die Aufnahmestraße in den Zellentrakt ist logistisch optimiert und zeigt dennoch räumliche Qualität vom Warteraum bis zum taghellen Vorführgang in Glas. Sorgfältig überlegte Gestaltung ersetzt kostenaufwendige Maßnahmen - von der Kombination durchaus günstiger Materialien bis zur Farbwahl und der Auswahl der Möbel. Besonderes Augenmerk wurde auf die Situierung von Räumen gelegt. Hier muss niemand auf ein fensterloses Gegenüber schauen, hier sind die Aufenthaltsräume der Wohngruppen durchwegs nachmittags besonnt, hier gibt es - vermutlich europaweit ein Novum - eine Loggia. Nicht nur die strenge doppelte Außensicherung rund um das Areal machte sie, wie überhaupt mehr Bewegungsfreiheit im Inneren, möglich. So werden die Vollzugshäftlinge in Leoben, je nach Führung, sogar alleine die mehrgeschoßige Halle, die Bibliothek, den Andachtsraum oder vielleicht die Höfe aufsuchen können. Und überall dort auf Kunst am Bau stoßen. Kunst im Gefängnis? Ja, erklärt Sektionschef Neider vom Justizministerium geduldig jedem Fragenden. Kunst zu installieren ist Ausdruck des Auftrags zur Resozialisierung, denn auch sie vermag emotioneller Abstumpfung und Verrohung entgegenzuwirken.

Wie zutreffend diese Erklärung ist, sieht man in den Spazierhöfen, die der Künstler Lois Weinberger mit seiner Frau gestaltet hat. Wo sonst kahle, betonierte Höfe geradezu der Inbegriff inhumanen Strafvollzugs sind, entstehen hier Gärten mit grasbepflanzten Sitzskulpturen, deren weiche Umrisslinien wie die organische Wegeführung den Gängen der Borkenkäfer nachempfunden wurden. Johann Feilacher wiederum bedient sich eines Elements, das mit Behagen und Erinnerungen an Heimat assoziiert werden kann - er verwendet Holz, roh und bearbeitet, auf vielfältige Weise. Der Grazer Künstler Eugen Hein gestaltet derzeit einen Andachtsraum mit wandgroßen Bildern in abgestuften Weißtönen. In seiner Spiritualität und der Mehrdeutbarkeit des Wasserbeckens im Vorraum wird er für alle Konfessionen annehmbar sein. Außen auf der Haftmauer hat der Künstler einen Schriftzug in Sandstrahltechnik auftragen lassen, der den Artikel eins der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wiedergibt und wie folgt beginnt: „Alle Menschen sind frei und gleich an Rechten und Würde geboren . . .“ Es mag als programmatische Antwort auf alle Kritiker „solchen Luxus“ gelesen werden. Sie sollten bedenken, dass dadurch keine außerordentlichen Mehrkosten verursacht werden, weil jener Passus angewandt wird, der vorsieht, dass in öffentlichen Bauten generell ein Prozent der Baukosten für Kunst am Bau aufgebracht wird.

Von jenen baulichen Vorkehrungen für einen humanen Strafvollzug, die in Leoben umgesetzt wurden, erwartet man neben einer geringeren Rückfallrate konkrete Einsparungen im Betrieb: die Senkung der Kosten für ärztliche Betreuung der Häftlinge, geringere Medikation, ein besseres Betriebsklima für das Personal und die Entspannung der Personalfrage. Den anderen Teil des Justizzentrums, die beiden Gerichte und die Staatsanwaltschaft, hat der Architekt mit ebensolchem Können geplant. Auch hier ist gelungen, jeden machtvollen Ausdruck zu vermeiden, mit Licht und Materialien wie Holz und Stein Stimmung zu erzeugen und den Servicecharakter zu betonen. Doch das ist eine eigene Geschichte.

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