Bauwerk

Wirtschaftskammer Niederösterreich
RLP Rüdiger Lainer + Partner - St. Pölten (A) - 2006

Gute-Laune-Mehrwert

Wirtschaftskammer? Das klingt nach gestärktem Hemd und ernster Miene. Doch mit dem eben fertig gestellten Neubau in St. Pölten entlockt uns Rüdiger Lainer ein breites Lächeln.

13. August 2005 - Wojciech Czaja
Zugegeben, beim Wort Wirtschaftskammer verfällt man nicht sofort in lustvolle Schwärmerei. Die zur institutionellen Macht gehörigen physischen Hüllen, der üppige Bürokraten-Barock, die hässlichen Waschbetonfassaden und die absurden, achteckig labyrinthischen Grundrissen motivieren keine positiveren Gedanken. .
Nun, was geschehen ist, ist geschehen - ein Grund mehr, es heute besser zu machen. Im unbeirrbaren Kanon prächtiger Stahl-Glas-Architektur wird daher investiert, entwickelt und gemanagt, was das Zeug hält. Kräftig werkelt man an der - heutigen - Vorstellung von Zukunft und verstreut in der Landschaft ein Büromonster nach dem anderen. Immergleich stolze Exponate einer Gegenwartsarchitektur, die ihre jeweilige Existenz besser rechtfertigen wollen als die inzwischen viel propagierten Bausünden der 70er-Jahre. Ein weit gestecktes Ziel.
Man kann aber auch einen Schritt weiter denken. Man kann beispielsweise so weit denken, dass man mit dem Enthusiasmus von heute nicht nur das Grauen von morgen vorproduziert - das ist eine gewisse Weitsicht, deren Lorbeeren - wohlgemerkt - erst nach reifer Zeit geerntet werden können. So ein zukunftsträchtiges Ding in der Landschaft, das kurz vor der Fertigstellung steht, ist die neue Niederösterreichische Wirtschaftskammer in St. Pölten, Resultat eines zweistufigen Wettbewerbs von 2002, Architekten sind Rüdiger Lainer + Partner.

In einem Monat startet der Umzug in die neuen Räumlichkeiten, Ende des Jahres wird der Standortwechsel vollzogen sein. Dann wird die Wiener Herrengasse nur noch leer stehender Zeitzeuge einer viel zu lang gehegten Nabelschnur zur Wiener Mutterbrust sein.

Wie auch immer, gut Ding braucht eben ein wenig Weile. Wenn alles gut geht, könnte der voreilig holprige Stadtslogan „St. Pölten - mitten in Europa“ eines Tages auch mehr einbeziehen als einzig und allein ein vermeintlich geografisches Faktum.
„Keine weitere Tintenburg“, so Rüdiger Lainer, und es bewahrheitet sich sehr bald. Direkt im Anschluss an das bestehende WIFI im Süden St. Pöltens, mittels Glassteg an die Bauteile von Karl Schwanzer und Günther Domenig angedockt, ist die neue Wirtschaftskammer der extrovertierte Abschluss eines großen Wirtschaftskomplexes.

Selten verspürt man so viel gute Laune, wenn man vor einem Büroneubau steht. Doch dieses Bauwerk lächelt einen nahezu an, als hätte es eine Geschichte mitzuteilen. Und irgendwann grinst man dann zurück: Nach einem Farbkonzept von Oskar Putz steht die WKNÖ ziemlich rot da, es ist ein Zeichen kühnen Humors, eine finanztechnisch so behaftete Farbe an die Fassade zu pinseln.

Irgendwo Fenster, in jedem Geschoß anders, in jedem Geschoß versetzt. Leicht erhaben treten sie aus der grob verputzten Fassade heraus und schweben davor wie eine eingeglaste Fotografie vor einer Ausstellungswand. „Eigentlich sind spiegelnde Fassaden ja entsetzlich“, gesteht sich Lainer ein, „doch vor diesem Hintergrund musste es ganz einfach bildhaft werden.“ Emaillierte Quadrate, jedes davon drei Quadratmeter groß.

Gerhard Richter hat einmal für das Deutsche Guggenheim Museum die Auftragsarbeit „Acht Grau“ angefertigt, grau emaillierte Glastafeln, die nichts anderes wiedergeben als das Spiegelbild im Auge des Betrachters. Die Architektur antwortet: „Nein, die Fenster sind kein direktes Zitat an Richters Arbeiten, denn das wäre vermessen. Aber es stimmt, wir haben uns von ihm durchaus inspirieren lassen.“
Irgendwo zwischen diesen Glastafeln tummeln sich in der Fassade große Loggien, die als orangene Löcher aus dem zackigen Ding ausgestanzt sind. Eckig, unregelmäßig, gelungenermaßen tatsächlich sehr zufällig, so als träumte der Architekt von der Quadratur des Emmentalers. Konsequenterweise haben Rüdiger Lainer und sein Partner Oliver Sterl - kraft geplanten Zufalls - dabei nicht einmal den unwahrscheinlichen Fall ausgeschlossen, in dem zwei orthogonale Käselöcher durch Berührung schließlich zusammenwachsen. Blob.
Doch rein in den Käselaib, denn schließlich besteht ein Büroalltag aus mehr als nur Fassaden-Sightseeing. „Man wohnt auch im Büro“, so die Architekten, „wie ist es denn in Wirklichkeit? Wir verbringen mehr Zeit im Büro als zu Hause.“ Diese überstündliche Unsitte ist in diesem Falle aber kein Graus. Haben die rund 250 Mitarbeiter das inszenierte Nadelöhr namens Eingang erst einmal hinter sich, eröffnet sich nach wenigen Schritten eine Weite, die dem Gebäude von außen gar nicht anzusehen war.

Ein überschwängliches Atrium bis unters Glasdach, von oben dringt Tageslicht in den Schlund der unteren Geschoße. Alles in strahlendes Weiß getaucht, die massiv geschwungenen Brüstungen tanzen unregelmäßig von Stockwerk zu Stockwerk. Irgendwie erweckt es den Anschein, dass man sich den Innenraum des New Yorker Guggenheim Museums für hiesige Zwecke ein wenig eigen gemacht hat, es ist sozusagen ein lang, lang gedehnter Frank Lloyd Wright auf der Streckbank der Architekturgeschichte.
Keine drückenden Raumhöhen, kein verächtliches Warten in den zu engen Gängen einer thrombosegeplagten Behörde. Stattdessen Licht und Luft, gelegentlich sogar ein schluchtenübergreifendes Hallo zum Kollegen aus der anderen Etage. Oder auch Mahlzeit - schließlich ist man unter Beamten. Hauptsache, man sieht sich also.

Und was noch erfreulicher ist: Man sieht auch Wasser, Sträucher und immer wieder das eine oder andere kleine Bäumchen. Denn der Luftraum, der alle Ebenen miteinander verbindet, tut nicht nur dem Überblick und der Kommunikation gut, er ist vor allem auch ein mikroklimatischer Clou. Eine Wasserebene am Boden des Atriums und großzügige vereinzelte Pflanzentröge schaffen den Spagat zwischen psychologischem und klimatischem Wohlbefinden, ohne großes Zutun kann sich die Luft 24 Stunden lang regenerieren. Fehlen eigentlich nur noch die Tiere. Das ist - ausgehend von Architekt und Auftraggeber - ein Tribut ans menschliche Wohlbefinden, der einem so reinrassig selten über den Weg läuft. Meist sind es nämlich genau diese Spompanadeln, die unterm abgedrehten Geldhahn jämmerlich verdursten müssen.
Doch Grünzeug gibt es nicht nur im Innenraum - nun endlich kommen die Emmentaler-Löcher ins Spiel. Immer wieder tauchen an unerwarteter Stelle die Loggien auf, einmal eingeschoßig, einmal zweigeschoßig, einmal flächig, einmal übers Eck. Im Sonnenlicht strahlt das knallige Orange der Fassadenlöcher bis ins weiße Atrium hinein, bald werden auch die grün wuchernden Sträucher die Freiräume (und Raucherbalkone) unverkennbar kennzeichnen. Im Sommer wird sich hier der Qualm der gerauchten Zigaretten niederlassen, im Winter der Schnee. Es ist der Austritt ins Freie, es ist der Respekt einer arbeitenden Person gegenüber.

Die rationale Frage nach dem Bedarf wird gar nicht erst ins Spiel gebracht, denn sie ist längst schon beantwortet. Aus tiefster Überzeugung ein Büro mit Mehrwert - und nicht die Bausünde von morgen. Ein Plus an Qualität? Ein so oft postuliertes und so selten eingelöstes Sprücherl in der großen Architektenwelt, dabei würd's so einfach gehen.

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