Bauwerk

Wohnhaus Alxingergasse
Geiswinkler & Geiswinkler - Wien (A) - 2005

Blechblitz im Kalkputz

Wenn in hundert Jahren von der Kalkputzstadt Wien nur Reste übrig sind, werden Wohnbau-Projekte wie die von Artec und Geiswinkler & Geiswinkler als Kristallisationskerne eines neuen städtischen Gewebes gewirkt haben.

27. August 2005 - Christian Kühn
Das Gebiet zwischen Triester Straße und Laxenburger Straße in Favoriten, dem zehnten Wiener Gemeindebezirk, ist eines der typischen Stadterweiterungsgebiete, wie sie im späten 19. Jahrhundert außerhalb des Gürtels entstanden. Während die Fassaden mit dicken Schichten aus Putz und Ornament ein gutbürgerliches Gesicht zeigten, verriet der Stadtgrundriss seine Bestimmung als Paradies für Spekulanten: Ein rechtwinkliger Blockraster mit dichtester Bebauung, in dem nur ab und zu ein „Beserlpark“ - wie die Wiener diese Aussparungen im Raster nennen - für etwas Grün sorgt.

Die Haltung der Stadtplanung zu solchen Gebieten hat sich in Wien seit den 1960er-Jahren radikal geändert. Anstelle von Flächensanierungen, also dem Abriss und Neubau von möglichst großen, zusammenhängenden Arealen, wurde die „Sanfte Stadterneuerung“ durch Sanierung des Bestands in den 1970er-Jahren zur dominierenden Doktrin. Sie bezog sich ursprünglich auf den Umgang mit historisch „wertvollen“ Gebieten, wie er im Wiener Schutzzonengesetz aus dem Jahr 1972 geregelt wurde. 1978 räumte Bürgermeister Leopold Gratz in seiner Regierungserklärung dieser Art der Stadtentwicklung grundsätzlich Priorität vor Stadterweiterung und Flächensanierung ein. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich mit dem „Planquadrat“ im vierten Bezirk bereits ein Pilotprojekt der „Sanften Stadterneuerung“ etabliert, und der Wiener ÖVP-Chef Erhard Busek hatte gezeigt, dass man mit dem Thema politisch gegen die Bagger-Fraktion punkten konnte.

„Sanfte Stadterneuerung“ beschränkt sich aber nicht auf eine Sanierung des Bestands. Gerade in Gebieten mit schlechter Bausubstanz und längst aller gründerzeitlicher Verzierungen beraubten Fassaden müssen Impulse von Neubauten ausgehen, die versuchen, das Wohnen in der Stadt zeitgemäß zu definieren. Urbanität, also „städtisches Lebensgefühl“, braucht neben einer hohen Dichte auch Faktoren wie Theatralik und Hybridität: Die Stadt lebt von der Koexistenz unterschiedlicher Lebensentwürfe, die sich im Stadtraum ausdrücken und in ihrer gegenseitigen Überlagerung den spezifischen Rhythmus einer Stadt bilden. Die hoch spekulativen gründerzeitlichen Erweiterungsgebiete außerhalb des Gürtels konnten über ihre differenzierten Fassaden nur einen Anschein davon vermitteln. Für eine zeitgemäße Urbanität braucht es hier gezielte Irritationen, die jenseits der Reparatur des Bestehenden ein neues städtisches Gewebe knüpfen.

Eine erstaunliche Häufung von in dieser Hinsicht ambitionierten Wohnbauten findet sich in Favoriten in den Baublöcken um den Paltramplatz, einen typischen „Beserlpark“ zwischen der Siccardsburg- und der Van-der-Nüll-Gasse. Die guten Geister der beiden in den Straßennamen verewigten Architekten der Wiener Oper haben offensichtlich gewirkt: Zu den viel publizierten Wohnbauten von Delugan-Meissl direkt am Paltramplatz und von Patrizia Zacek in der Siccardsburggasse aus den Jahren 2002 und 2003 sind heuer in der Alxingergasse zwei neue Nachbarn hinzugekommen. An der Ecke zur Hardtmuthgasse haben die Architekten Geiswinkler und Geiswinkler für den Bauträger „Neues Leben“ geplant, schräg gegenüber findet sich eine Baulückenverbauung von Artec für die Wohnbauvereinigung für Privatangestellte, GPA.

Geiswinkler und Geiswinkler beweisen, dass sich das Prinzip der „gestapelten Einfamilienhäuser“ auch in diesem Umfeld erfolgreich realisieren lässt. Die Wohnungen sind zweigeschoßig angelegt und verfügen jeweils über einen raffiniert angelegten Freibereich, der aus einer kleinen Terrasse, einem Stück Wiese und einem „Vertikalgarten“ besteht und einen Puffer zwischen der Wohnung und dem Straßenraum bildet. Einblick in diesen Freibereich ist immer nur von Räumen der eigenen Wohnung aus möglich. Das Konzept ergibt für die Wohnräume eine erstaunliche Balance aus Öffnung und Intimität, die sich noch steigern wird, wenn die fünf Meter hohen Rankgerüste der seitlichen Loggienwände bewachsen sind. Die oft von Bauträgern geäußerte Behauptung, dass Bewohner in der dicht verbauten Stadt keine Loggien und Balkone wünschen, weil man diese nicht nutzen könne, wird hier eindrucksvoll widerlegt.

Voraussetzung ist die Bereitschaft des Bauträgers, aus seinem Grundstück nicht das Maximum an Nutzfläche herauszupressen, sondern Raum für eine begrünte Zwischenzone zu lassen. Dass sich auf dem Dach zusätzlich ein gemeinsam zu nutzender Dachgarten mit schönem Blick über Wien findet, ist ein geradezu luxuriöses Extra. Ähnlich großzügig ist der Bauherr mit dem Erdgeschoß verfahren. Statt hier noch ein - in diesem Viertel sowieso kaum vermietbares - Geschäftslokal oder eine schlecht belichtete Wohnung vorsehen zu müssen, durften die Architekten beim Eingang viel Straßenraum ins Haus ziehen und im Erdgeschoß einen großen Gemeinschaftsraum anlegen, der sich zu einem Hofgarten öffnet.

Auch im Wohnbau von Artec wird das Verhältnis zwischen Straßenraum und Gebäude neu ausgelotet. Die Baulücke liegt im Gefälle an der Schnittstelle zwischen zwei Bauklassen mit unterschiedlicher Bauhöhe. Der Entwurf löst den kompakten Block in eine rhythmisch gegliederte Anordnung von vor- und zurückspringenden Kuben auf. Durch diese Staffelung erhält einerseits der Straßenraum mehr Licht, andererseits entstehen bereits ab dem vierten Obergeschoß großzügige Dachterrassen. Die Wohnungen im ersten und zweiten Geschoß teilen sich einen vorspringenden Baukörper mit Fenstern, die einen Blick in die Tiefe des Straßenraums erlauben. Die Erdgeschoßwohnungen haben entsprechend dem Gefälle bis zu vier Meter Raumhöhe und hofseitige Gärten.

Die Gebäudehülle wird von einer hinterlüfteten Leichtwand gebildet, die aus Stahlkassetten mit Wärmedämmung besteht und zur Straße hin mit Platten aus Titanzink und raumseitig mit Sperrholz verkleidet ist. Die Fenster sind spezielle Holz-Aluminium-Konstruktionen. In der Material- und Farbwahl - besonders hervorzuheben: das glänzend rot gestrichene Treppenhaus, das im Straßenraum hervorblitzt - ist das Projekt typisch für die räumliche Choreografie von Artec: plötzliche Materialwechsel, unvermitteltes Aneinanderstoßen von Raumschichten und im Inneren eine Kombination aus kräftigen Farben und Texturen.

Beide Projekte sind beispielhaft für das exzellente Niveau, das der geförderte Wohnbau in Wien in konzeptioneller, formaler und technischer Hinsicht erreichen kann. Dass man im frei finanzierten Bereich (zu höheren Kosten) kaum Vergleichbares findet, ist ein Indiz dafür, dass die Regulierungssysteme der öffentlichen Hand im Interesse der Nutzer, aber auch im Sinne der Stadtentwicklung funktionieren: Wenn von der Kalkputzstadt Wien in 100 Jahren nur noch Reste übrig sind, werden Projekte wie diese als Kristallisationskerne des neuen städtischen Gewebes gewirkt haben.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft

Tragwerksplanung

Fotografie