Bauwerk

Hotel Loisium
Steven Holl, Franz Sam, Irene Ott-Reinisch - Langenlois (A) - 2005

Fröhliche Fehler in der Matrix

Eben erst gelandet und eingehüllt in eine Architektenwaffel aus Aluminium: das neue Loisium-Hotel von Steven Holl, dem Meister der Irritation.

5. November 2005 - Wojciech Czaja
Eine Landschaft wie in Öl gepinselt. Weingärten säumen die weichen Kanten der Hügel, herbstliche Farben haben sich über die Trauben und Stöcke hergemacht. Noch hängen die letzten Früchte von den Reben herab und harren der ersten Minusgrade, um als künftiger Eiswein gelesen zu werden. Nicht enden wollender Altweibersommer, tiefe Sonne macht langen Schatten. Jetzt aber genug der triefenden Weinviertel-Romantik - noch mehr Stimmung würde nicht einmal Architekt Steven Holl ertragen. Und das will schon etwas heißen.

Dieser eben genannte Architekt aus New York ist ein Meister des Gemütlichen, gleichzeitig ist er ein Meister der Irritation. Und - Steven Holl ist nicht irgendwer, denn als Export-Markenname aus den USA gilt er im niederösterreichischen Kamptal zurzeit als der letzte Baukunst-Schrei. Ziemlich genau vor zwei Jahren öffnete in Langenlois jener wundersame Alu-Würfel seine Pforten, der auf den zungenbrecherischen Namen Loisium hört.

Und nun - lediglich einen Architektursprung von dieser Weinwelt entfernt - gibt es auch ein Platzerl, um sich von der strapaziösen Weindegustation nächtens wieder zu erholen. Eben ist es fertig gestellt, kommenden Freitag wird offiziell eröffnet: Die Rede ist vom Loisium-Hotel (Herstellungskosten netto neun Millionen Euro). Und man möchte sich gar nicht erst ausmalen, was man aus dem Wort - vielleicht Loisium Hoteleum - semantisch noch alles hätte herausholen können.

Holl über den edlen Tropfen aus der Flasche: „Alkohol, vor allem aber Wein, hat eine gewisse Stärke und weckt Phänomene in uns, die intellektuell bzw. rationell nicht so leicht zu ergründen sind.“ Genau auf diese Sinnlichkeit habe er es abgesehen, erklärt er im Gespräch mit dem STANDARD. Kommerzielle Architektur interessiere ihn überhaupt nicht, im Vordergrund stehe vielmehr die Auseinandersetzung auf der Gefühlsebene. Nun, es ist wahrlich kein Leichtes, dieses ambitionierte Unterfangen des Emotionellen in - wohlgemerkt intelligente - Worte zu fassen.

Wenn man das Loisium-Hotel das erste Mal sieht, fühlt man sich mit dem trügerischen Gefühl konfrontiert, noch niemals zuvor mit Architektur zu tun gehabt zu haben. Frohen Gemüts baumelt es schwerelos über den Weingärten; von der Vielschichtigkeit und den vielen kleinen Geschichten, die es zu erzählen vermag, fühlt man sich zu Beginn geradezu überrumpelt. Und während das Besucherzentrum etwas weiter hügelabwärts den Eindruck vermittelt, als sei ein grob behauener Quarzbrocken aus der Schwerelosigkeit herabgedonnert und im Sand stecken geblieben, so erweckt das dazugehörige Hotel den Anschein eines sachte gelandeten Raumschiffs zum Zwecke der Architektur-Aufklärung.

In der Tat, hier läuft einem ein Laienpublikum über den Weg, das - am Zielort seines weit gesteckten Sonntagsausfluges wohl angekommen - allen Ernstes über Architektur fachsimpelt: „Mensch, guck doch, dat Balkönchen hat een Gitter davor, dat andere hat nur Glas.“ Wahre Begebenheit. Steven Holl jedoch dürfte diese Episode nicht weiter verwundern, ist doch genau dieses Szenario sorgfältig vorprogrammiert: „Bei diesem Gebäude handelt es sich um mehr als nur ein Hotel mit 82 Zimmern. Für das kleine Langenlois soll es vielmehr ein öffentlicher Ort der Zusammenkunft und des Dialogs sein.“ Gesprächsstoff gibt es offenbar zur Genüge.

Sind die drei Farben des Hotels verfremdete Zitate von Wein, Laub und Traube? Warum ist es hier grün, hier gelb, dort aber rot? Die Ampel-Koalition wird wahrscheinlich mit der U-Form des Gebäudes zu tun haben und - Hand aufs Herz - einfärbig wäre es ohnehin langweilig geworden.

Das gesamte Hotel ist durchzogen von einer wilden Textur an Fenstern, Schlitzen, sonstigen Öffnungen und Balkonen, die sich auf Anhieb nicht so richtig erschließen möchte. Getoppt wird das Ganze durch eine noch wildere Fassade aus Aluminiumgittern. Die Wiener Architekten Franz Sam und Irene Ott-Reinisch, durch die das Projekt des Übersee-Architekten hier in Österreich überhaupt erst realisiert werden konnte: „Die Platten wickeln sich wie eine Aluminiumfolie um das ganze Gebäude. Einmal sieht man mehr hindurch, einmal weniger.“

Nein, nicht immer decken sich die Öffnungen der Fenster mit den Aussparungen in der Metallhaut, manchmal ist der Rhythmus eben versetzt. Die vielen Unregelmäßigkeiten des zweiten Blicks weisen immer wieder auf kleine Fehler in der Matrix hin. Entweder wurde ein Loch in der Aluwaffel nicht ausgestanzt, oder aber mehrere Löcher wachsen zu größeren Gebilden zusammen. Und zwischen all den charmant oberflächlichen Details meint man, Steven Holl schelmisch herausgrinsen zu sehen.

Fröhlich in die Landschaft zu blicken - das kann man aus den Zimmerfenstern übrigens sehr gut. Einmal im Stehen aus dem großen Panoramafenster, einmal im Sitzen aus jenem etwas weiter unten, und sogar für die bereits liegende Besucherschaft gibt es in den größeren Zimmern ein entsprechend positioniertes Bonusloch in der Wand.

Der Rest der Zimmer ist eine zurückhaltende Mischung aus loftartiger Nacktheit und hotelöser Bequemlichkeit. Einerseits ein dumpfer, dunkler Holzboden, andererseits die rohe Wand, die nichts anderes ist als geweißter Beton. Und zwar inklusive aller Luftblasen und mangelhaft verrüttelter Stellen, an denen nun ab und zu ein schlecht vermengter Kieselstein in der Wand klafft und um die Aufmerksamkeit des Besuchers ringt. Charmant, das alles gehört zum Zufall dazu.

Ganz zufällig - nein, das würde man ihm nicht abnehmen - sind in Holls Hotel nur wenige Dinge genau so, wie man sie kennt. Das Badezimmer ist kein Zimmer, sondern eine Zone, die je nach Position der Drehtür immer wieder anders aussieht. Die Türschnallen sind mit weich glibberigem Gummi überzogen, als müssten sie einem den toten Fisch in die Hand legen.

Die Single-Zimmer sind im Übrigen alle in einem Ende des Hotel zusammengepfercht worden. Warum eigentlich nicht - bestenfalls kann dies zu Synergie-Effekten führen. In den Zimmergängen zeichnet sich eine grobe und unregelmäßige Struktur der Schalungsbretter ab. Kurz muss man nachdenken, ob die Wände aus Holz oder aus Beton sind. Und der Eingangsbereich rund um Lobby und Rezeption sieht aus, als wäre er mit schludrig sämiger Currysauce ausgemalt. Hinter all diesen gestalterischen Exponaten verbergen sich kleine Storys, die den Besucher zum Entdecken animieren.

Architektur muss im Begehen immer mehr aufweisen können als im alleinigen Betrachten von außen", erklärt der New Yorker beim Durchschreiten seines Gebäudes, „wenn das erfüllt ist, dann handelt es sich nicht mehr bloß um Formalismus.“ Und tatsächlich, hier lernt man das Lesen und Verstehen, ohne dass einem die Architektur mit ausgestreckter Zunge und schick designten Details schon von Weitem entgegenschreit. Unter dieser Prämisse kommen die coolen Schachteln der Haute Architecture in der Regel eh nicht weit.

Wenn DER STANDARD eines Tages die beiden Rubriken „Good Mood“ und „Try to Cry“ einführte - aber das tun wir selbstverständlich nicht -, dann würde über das mediale Schicksal des Hotels kein Zweifel mehr bestehen. Im Übrigen geht die Fröhlichkeit dieses Gebäudes recht praktisch mit der Tatsache einher, dass es sich dabei schließlich um einen intimen Wohnort für eine gewisse Klientel und einen gewissen Zeitraum handeln soll. Auf zu den Balkönchen nach Langenlois! Sprecht über die Gitter, zerbrecht euch die Köpfe und kehrt entspannt wieder heim.

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