Bauwerk

Stadthalle Wien Halle F
Dietrich | Untertrifaller - Wien (A) - 2006

Wie singt der Schwan für Roland Rainer?

Kommenden Freitag eröffnet auf dem Areal der Wiener Stadthalle die neue Halle F. 2000 Sitzplätze fasst der Saal, adrett hingelegt scheint das Gebäude. Doch gibt es auch Platz für respektvolle Zitate inmitten der Eventkultur? Ein erster Spaziergang mit den Architekten Helmut Dietrich und Much Untertrifaller.

14. Januar 2006 - Wojciech Czaja
Höhepunkt des sozialen Städtebaues in Wien, eine der größten Schöpfungen dieses Jahrhunderts, nicht nur für ganz Österreich, sondern darüber hinaus für Europa." Wir schreiben das Jahr 1958, es ist dies die feierlich geschwungene Rede von Stadtrat Leopold Thaller angesichts der eben eröffneten Wiener Stadthalle. Ein Riesenbauwerk aus Stahlbeton und Glas, eines der kompliziertesten Bauvorhaben der Nachkriegszeit. Fünf Jahre Bauzeit, mit rund 250 Millionen Schilling sind die Baukosten fast doppelt so hoch ausgefallen wie ursprünglich angenommen.

Architekt Roland Rainer hebt in seiner Ansprache hervor, den Menschen als das Maß aller Dinge herangezogen zu haben, und bezeichnet das Veranstaltungsbauwerk als „eine Symphonie der Bautechnik“ und als „Huldigung für das Leben.“

Knapp 48 Jahre später feiert Wien ein weiteres Mal, wenngleich der 2004 verstorbene, ehemalige Stadtplaner Roland Rainer heuer leider nicht anwesend sein wird können. Wieder handelt es sich um einen baulichen Beitrag zum großen Komplex des Stadthallen-Areals, wieder entspringt dieses Resultat einem gewonnenen Wettbewerb. Helmut Dietrich und Much Untertrifaller, die mit dem Wettbewerbsprojekt Nr. 11 vor drei Jahren den Sieg für sich beanspruchen konnten, haben dem Rainer-Bau eine kleine Halle dazugesellt, die nun auf den Namen F hören wird.

Manche kleinformatige Werbebroschüren und diverse Stadtmagazinchen haben nicht einmal davor zurückgeschreckt, die notwendig gewordene Erweiterung des riesigen Event-Komplexes als putziges „Stadthallenbaby“ zu bezeichnen. Doch dagegen kann sich nun einmal kein Architekturbüro wappnen, genauso wenig wie gegen den Zustand, dass sich der Vorhang der Halle F justament für das ABBA huldigende Jenseitsmusical Mamma mia! erstmals öffnen wird. Bitter. Glitzernde Premiere ist am 20. Jänner 2006.

Doch wollen wir hier keine musikalischen Krokodilstränen vergießen, wissen wir doch alle, dass die Disziplin der Architektur an einem bestimmten Punkt immer eine Grenze erreichen muss. Und dann gilt es, jedes noch so anspruchsvolle Werk dem breiten Publikum zu übergeben. Widmen wir uns also jenem Bereich, in dem tatsächlich Dietrich und Untertrifaller das Sagen hatten. „Natürlich haben wir versucht, bestimmte gestalterische Konzepte von Roland Rainer zu übernehmen“, erklären die Architekten gegenüber dem STANDARD, „so konnten wir ein kohärentes Ensemble schaffen, ohne zwangsweise auf den 50er-Jahre-Zug aufgesprungen zu sein.“

Konkret heißt das - und das ist für einen zeitgenössischen Bau innerhalb der kurzlebigen Eventkultur eine ziemliche Seltenheit: Die kleine Halle von Dietrich Untertrifaller bauscht sich nicht zu einem lauten Hallo auf, sondern überlässt den Vorrang nach wie vor dem Roland-Rainer-Bau. Ein feines Zitat der Moderne, ohne dass ihnen in den bösen Wogen der Retromanie das Steuer entglitten wäre. Kein unnötiger Wulst, kein aufgeblasener Blob - solcher Zierrat aus der Feder eines Vorarlberger Architekturbüros hätte auch verwundert.

Das einzige tatsächliche Rufzeichen ist ein rotes F, das als freistehende, serifenlose Skulptur dem Neubau aufgesetzt wurde und nun den Namen der neuen Halle nach außen trägt. Der Bau selbst prahlt nicht nach allen Regeln der Entwurfskunst, mit irgendwelchem 3-D-Programm generiert worden zu sein, sondern hat - ganz nach Tradition der CAD-losen Zeit etwas Geknicktes, etwas Geschnitztes. Auch das kann als gewisser Tribut Roland Rainer gegenüber gedeutet werden, der für die große, morphologisch auch nicht unspannende Stadthalle einst an die tausend Pläne hatte fertigen müssen.

Die Stadthallenerweiterung ist sicherlich mehr als viele andere Realisierungen ein städtebauliches Projekt gewesen, das den bestehenden Komplex von Roland Rainer als Impuls aufgenommen hat", erläutern Dietrich Untertrifaller ihre Absichten. Doch wie ist es um die Halle bestellt, wenn man das Terrain der urbanen Großmaßstäblichkeit nun endlich hinter sich lässt und sich an das Herz des Gebäudes heranpirscht? Während die Architekten im Außenbereich stadthallengrau geblieben sind, haben sie in den Innenräumen zu einer wärmeren Farbskala gegriffen. Sämtliche Vorbereiche und die rundumlaufenden Foyers sind an den Wänden und an Boden und Decke in gedämpfter Akazie gehalten. Um sich den Farbton etwas zu veranschaulichen: Man fühlt sich geborgen wie in einem luxuriösen Zigarren-Humidor, so als wäre das Deckelchen über einem geschlossen worden. Genau dieser Luxus ist es auch, der den Leuten vermittelt wird, wenn sich der eigentliche Zuschauerraum ins Foyer stülpt und dort seine volumetrischen Spuren hinterlässt. Tiefes Rot an den Außenwänden des Saals, da spürt man, was der Begriff „Baukörper“ alles bedeuten kann. Und man kann es gar nicht missverstehen, Helmut Dietrich und Much Untertrifaller haben sichtlich Freude gehabt, den Zuschauerraum als Herzstück der neuen Halle F zu zelebrieren und hier die Formensprache der Außergewöhnlichkeit walten zu lassen.

Man betritt die Halle mit gestrecktem Rücken und einer derartig erhabenen Eleganz, die man am eigenen, schreibtischgeräderten Körper gar nicht für möglich gehalten hätte. Man betritt die Halle, als würde man hinter dem Vorhang schon einen sterbenden Ballett-Schwan erahnen, als würde man hinter dem Bühnenvorhang das von Hermann Nitsch gegossene Kulissenbild zur bibeldramatischen Hérodiade vermuten.

Wahrlich blutrot, als monochrom eingefärbte Schatulle entpuppt sich der Saal. Roter Teppich, rote Wände, rote Sitze. An die zweitausend Stück davon. Auffällig ist die Tatsache, dass der Raum mit einer sehr geringen Neigung auskommt und dass von allen Sitzplätzen perfekte Sicht auf die Bühne herrscht. Als besonderen Clou zur Umgehung der meist unerträglichen Hitze und Stickigkeit während der Theateraufführungen haben sich Dietrich und Untertrifaller eine ausgefuchste Belüftung des Saals einfallen lassen: Anstatt durch gewöhnliche Gitter im Randbereich des Saals strömt die frische Zuluft direkt aus den Stuhlbeinen und sorgt beim Zuschauer auf diese Weise für eine permanente kühle Brise während des Kunstgenusses.

Am Komplex der Wiener Stadthalle wurde bis weit in die Siebzigerjahre hinein gebaut. Es zeugt von einem gewissen Weitblick, dass es Rainer trotz aller Plastizität gelungen ist, eine dicht bebaute Stadthallen-Zukunft nicht auszuschließen. Die bisher letzte Ausbauphase ist nun abgeschlossen. Und man fragt sich, warum es die Halle F nicht immer schon gegeben hat.

Roland Rainers Schwanengesang - als solchen könnte man es jedenfalls bezeichnen - war sein letztes Buch unter dem Titel Das Werk des Architekten - Geplant Errichtet Verändert Vernichtet. Den Vorarlberger Architekten Dietrich Untertrifaller ist es mit diesem Projekt jedoch gelungen, den fahlen Nachgeschmack des Buchtitels zumindest eingedenk Roland Rainers zum Positiven zu wenden und das Postulat aufzustellen: „Geplant Errichtet Ergänzt Verdichtet“.

Mit dieser Geste ist die so schwer fassbare Disziplin des Städtebaus um neue Aspekte der Rücksichtnahme und des Wertschätzens bereichert worden. Auch wenn Roland Rainer selbst sich gegen den öffentlichen Wettbewerb um die Erweiterung „seiner“ Stadthalle gesperrt hat, da so manche Skizze zu diesem Thema schon in seiner Lade gelegen hatte, so gibt es doch einen schönen Ausklang auf der Bühne der nunmehr realisierten Halle F. Und der klingt besser als das sich an den Kopf fassende Mamma mia!. Denn die kleine, neue Stadthalle hat den leeren Ort im Märzpark mit souveräner Selbstverständlichkeit aufgefüllt. Ein Projekt, das als stiller, wenngleich hypothetischer Schwanengesang unter Umständen auch aus Rainers Brust zu hören gewesen wäre.

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