Bauwerk

Reichstag
Foster and Partners - Berlin (D) - 1999
Reichstag, Foto: Barbara Staubach / ARTUR IMAGES
Reichstag, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES
Reichstag, Foto: Jochen Helle / ARTUR IMAGES

Das Haus der Republik

Norman Fosters Reichstagsgebäude in Berlin

20. April 1999 - Claudia Schwartz
Die Suche nach der korrekten Form gestaltete sich schwierig. Besonders in der Frage nach der richtigen Benennung des neuen Parlamentssitzes im alten Haus zu Berlin. Reichstag? Bundestag? Plenarsaal des Bundestages im Reichstagsgebäude? Der Ältestenrat des Bundestages diktierte aus Bonn schliesslich, ein wenig ängstlich noch, die interne Postanschrift «Plenarbereich Reichstagsgebäude». Während Strassenschilder zum «Sitz des Bundestages» weisen, steigen Besucher, fahren sie mit dem Bus zum Bundestag, an der Haltestelle «Reichstag» aus. – Irren ist menschlich, das wusste schon der Architekt Paul Wallot, als er im letzten Jahrhundert die Kuppel seines Reichstags von der westlichen Eingangshalle über den Plenarsaal verschob. Seither ist die Geschichte des Gebäudes gezeichnet von Ambivalenzen und Widersprüchen: als wilhelminischer Prunkbau vom Volk ungeliebt, von Wilhelm II. als «Gipfel der Geschmacklosigkeit» verspottet, von Hitler verschmäht, von den Nationalsozialisten den Flammen überlassen, bei Kriegsende bevorzugtes Ziel der Rotarmisten, wurde die zerschossene Ruine 1945 zum Symbol der totalen Niederlage Deutschlands.

Angemessene Architektur

Eine an der Ostseite in den Platz eingelassene Spur aus Steinplatten erinnert heute daran, dass hier einst die deutsch-deutsche Grenze verlief. Die feierliche Wiedervereinigung im Jahr 1990 fand vor dem Hauptportal an der Westseite statt. Seit gestern betreten hier wieder Abgeordnete und Besucher das sandgestrahlte Gebäude. Sechs korinthische Säulen stemmen mit dem Giebel den Satz «Dem deutschen Volke», auch wenn Wallots geschleifter Koloss es seit seiner Einweihung im Jahr 1894 bisher nie zum Ort ruhmvoller Parlamentsgeschichte brachte. Die dem Reichstag eigene Symbolkraft ist weniger mit seiner Funktion zu erklären als mit der deutschen Historie, welche die schwerfällige Sandsteinburg aushielt. Dass sie nun doch noch den gesamtdeutschen Parlamentssitz darstellt, hat vielleicht gerade darin seinen Sinn.

Die Diskussionen, die den 600 Millionen Mark teuren Reichstagsumbau prägten, sind symptomatisch für die Fragen, mit denen sich die Politik seit dem Umzugsbeschluss des Bundestages angesichts des historisch belasteten Berlins konfrontiert sah. Die Frage nach der Architektur ist zur Frage nach dem Selbstverständnis der zukünftigen «Berliner Republik» und ihrer Gesinnung geworden. Wo man in Bonn in unbelasteten Bauten regierte, fand man sich in Berlin erst einmal mitten in Geschichtsruinen wieder. In den Diskussionen, wie sich die Macht im neuen politischen Zentrum gestalten sollte, in der Frage um Symbole und ihre angemessene Bedeutung, federte man gleichzeitig den Kulturschock ab. Die Visionen der Architektur freilich blieben dabei auf der Strecke. Die formale Übersetzung später Vergangenheitsbewältigung hiess Kompromiss, und so wurden dem Gebäude die Flügel kräftig gestutzt, noch bevor es sie richtig ausgestreckt hatte.

Man erinnert sich: Norman Fosters Pläne ja, sein teures Glasdach lieber nicht, dafür von Calatrava wenigstens die Kuppel, aber bitte etwas dezenter. So versinkt nun Fosters gläserne Würdeform, die er selber eigentlich nie wollte, etwas verschämt zwischen den stattlichen Ecktürmen. Man muss schon auf Distanz gehen oder die Siegessäule am Grossen Stern besteigen, um die begehbare Schüssel mit 40 Metern Durchmesser in voller Grösse betrachten und überhaupt etwas von den sie erschliessenden, spiralförmigen Stegen erkennen zu können.

Für die luzide Klarheit, die Günter Behnischs Bonner Parlamentsgebäude auszeichnet, fehlte in Berlin ganz offensichtlich der Platz. Den mit 1200 Quadratmetern grössten Plenarsaal des Abendlandes musste Foster an der Eingangshalle einsparen, die – 33 Meter hoch – keine räumliche Tiefe entfaltet. Die Kunst am Bau sucht denn hier vergeblich nach der richtigen Dimension: Gerhard Richters monumentale Farbflächen hinter Glas («Schwarz Rot Gold», 1998) sind nicht einmal aus der Distanz der gegenüberliegenden Wand zu überschauen. Eintretende würden förmlich in den Plenarsaal platzen, wäre da nicht noch eine vorgehängte Glaswand, die den öffentlich zugänglichen Bereich vom inneren trennt. Den Abgeordneten kann man gleichwohl schon vom Entrée aus über die Schulter schauen.

Der Sitzungssaal selbst ist Herzstück und Schwachpunkt zugleich. Die kreisrunde Sitzordnung wurde elliptisch gestaucht, die Zuschauer- und Pressetribünen im Saal hängen wie Terrassen weit in den Raum und über die Köpfe der darunter Sitzenden, die sich hier bei Schlechtwetter fühlen dürften wie unter einem Garagenvordach. Die von den Parlamentariern gewünschte violettstichige Farbe der Stühle untermalt in ihrer bemühten Frische die düstere Atmosphäre eher noch. Die ganze Schwere des Wallotschen Gemäuers lastet auf dem Saal. Der von der Kuppel abgehängte, spiegelverkleidete Konus, der Licht hinunterleitet, hellt nur bedingt auf. Einzig die zwölf schlanken Säulen tragen mit Leichtigkeit die in der Mitte offene Decke wie ein Rad.

Kompromisskuppel, beschwingte Geste

Foster setzt auf den Kontrast zwischen den Relikten von Wallots theatralischer Palastarchitektur und seinem eigenen neusachlichen Chic. Der Brite, der am 6. Juni in Berlin den Pritzker- Preis entgegennehmen darf, schuf hinter der historischen Fassade einen kompletten Neubau in distinguiertem Grau und Beige. 45 000 Kubikmeter Innenleben wurden abgeräumt. Der akademische Formenkanon der sechziger Jahre, dessen spröden Charme Paul Baumgarten dem Gebäude beim Wiederaufbau implantierte, ist derart gründlich entfernt worden, als hätte man die Nachkriegszeit mit austreiben wollen. In den Gängen lässt sich anhand von Bildtafeln immerhin theoretisch nachvollziehen, was man beim Gang durchs Gebäude vermutete: dass es in den 100 Jahren zwischen Wallot und Foster auch noch eine andere architektonische Zeit gab. Mit der Entfernung der von Baumgarten eingezogenen Zwischengeschosse hat Foster in den Gängen und Hallen an Höhe gewonnen. Trotz der Bemühung um Offenheit und Licht – beispielsweise durch Verglasungen in den Ecktürmen, in denen sich die Tagungsräume der Fraktionsspitzen befinden – sperrt sich Wallots behäbiger Bau gegen den Lichteinfall.
Man hat das vernarbte Mauerwerk in den Fluren freigelegt, Fehlstellen und Geschosslöcher belassen. Derart nah führen Fosters stählerne Hängetreppen unter Wallots ornamentalen Gewölben im synthetischen Reichsstil vorbei, dass man sie greifen kann. Dennoch bleibt alles kühl- schwebend und unbeteiligt. Altes und Neues ist so säuberlich eingeteilt, dass Fosters Prinzip der Annäherung ohne Berührung in Bezugslosigkeit kippt. Inmitten von Stahl, Glas und geglättetem Stein erscheint das Überlieferte nicht als schon immer Dagewesenes, sondern ausgestellt, erstarrt in Musealisierung. Selbst der rauhe Kohlestrich kyrillischer Graffiti, mit der sowjetische Soldaten sich 1945 an den Wänden verewigten, mutet an wie Dekoration.

Die einzige beschwingte Geste des Gebäudes ist paradoxerweise die Kuppel geworden, die Fosters ursprüngliches Projekt gar nicht vorsah. Über die bienenkorbartige Stahlkonstruktion legen sich schuppenartig Glasscheiben. Der aus dem Plenarsaal aufsteigende Trichter bildet oben die Aussichtsplattform, unter der sich den Besuchern in einzigartigem Panorama die Stadt ausbreitet. Auf dem Weg dahin kann man bei einem Zwischenhalt durch eine Glasdecke ins Parlament hinunterschauen. Foster war die Ikonographie der Macht von Anfang an suspekt. In leichtem Handstreich hat er sie in ein Volksspektakel verwandelt. Nachts, wenn die Kuppel weit über die Stadt leuchtet, sagen die Berliner, unbeirrt von all der Sprachverwirrung und mit der ihnen eigenen Herzlichkeit: «unser Eierbecher». Wohl wissend, dass die Verpackung allein noch nicht das Ei des Kolumbus ausmacht.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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