Bauwerk

Rotkreuzzentrale Vorarlberg
Cukrowicz Nachbaur Architekten - Feldkirch (A) - 2002
Rotkreuzzentrale Vorarlberg, Foto: Rupert Steiner

Kreuzrot schneidet Tarngrau

Der Bauherr: ein allzeit bereiter Rettungsdienst mit hohem öffentlichem Ansehen. Der Bauplatz: ein unverwechselbares Gewerbegebiet. Cukrowicz & Nachbaur-Sturm haben den Widerspruch zwischen Signalbedürfnis und Ortlosigkeit aufgelöst.

20. Juli 2002 - Walter Chramosta
Das „Rote Kreuz“ ist einfach da, wenn man es braucht. Ansonsten ist der in öffentlichem Auftrag flächendeckend tätige Rettungsdienst unsichtbar. Die meiste Präsenz entwickeln nach wie vor die Einsatzfahrzeuge. Die gebaute Infrastruktur des „Roten Kreuzes“ übte sich in Österreich bisher in architektonischer Bescheidenheit. Die soeben in Betrieb genommene Zentrale Vorarlberg des „Roten Kreuzes“ in Feldkirch gibt der gesamten Organisation ein zeitgemäßes Profil. Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm aus Bregenz, für ihre zu Ende gedachten Projekte nicht nur in der Vorarlberger Architekturszene gut bekannt, haben sich in einer Ideenkonkurrenz durchgesetzt.

Der Bauherr wünschte sich ein Kompetenzzentrum für die Schulung der Mitarbeiter und eine Zentralverwaltung für das Bundesland Vorarlberg. Etwa in der Mitte zwischen Bludenz und Bregenz und nahe der Rheintalautobahn sollte das Grundstück liegen, um aus allen Landesteilen etwa gleich schnell erreichbar zu sein. Die Landesorganisation verfügt über etwa 1000 freiwillige und 90 hauptberufliche Mitarbeiter, deren Leistungsfähigkeit nicht zuletzt auf solider Ausbildung beruht. Die Zentrale beinhaltet auch eine Rettungsabteilung mit drei Fahrzeugen, die das sogenannte Vorderland, nördlich von Feldkirch, bedient. Die nächste Außenstelle befindet sich im Landeskrankenhaus am Südrand, was, bei eingestautem Stadtzentrum, ein Eintreffen am Nordrand der Stadt binnen 15 Minuten sehr erschwert.

Der Bauplatz liegt im Gewerbegebiet Runa in der Fraktion Altenstadt, in einer flachen, von Siedlungsteilen locker durchsetzten, großteils von landwirtschaftlichen Flächen geprägten Tallandschaft: für die Beschäftigten attraktiv, aber dem Auge der wenigen Passanten und vielen Autofahrer weitgehend entzogen. An drei Seiten ist die Rotkreuz-Zentrale von Gewerbebauten umgeben, an einer Seite grenzt sie an ein Maisfeld, über das der Blick in die Berge oberhalb von Rankweil gleitet. Eigentlich ist das Gewerbegebiet Runa Teil eines verwechselbaren Niemandslandes, das am Rand jeder Rheintalgemeinde zu finden ist und in seiner Wiederholung ein raumordnungspolitisches Problem darstellt. Keine Gemeinde will auf ihren Gewerbepark verzichten, den wirtschaftlichen Aufschwung an- dernorts gedeihen lassen. Gewerbezonen sind städtebaulich Unorte, solange auch die öffentlichen Flächen von privaten Unternehmungen überstrahlt sind.

Die Rotkreuz-Zentrale ist vergleichsweise gut bedient: Die um- gebenden Bauten sind schlicht, stehen in Reih und Glied, die Zufahrt ist übersichtlich. Cukrowicz & Nachbaur-Sturm beurteilten die Situation als städtebaulich diffus, nicht mit den räumlichen Qualitäten der Stadt Feldkirch assoziierbar, nicht ein- mal besonders mit Vorarlberger Großraumspezifika verbunden. Als typisch und maßgebend für den Entwurf erachteten sie vielmehr die Beliebigkeit der Situation, die Unklarheit über die Schwerlinien der Stadtentwicklung, die Neutralität des Grundstücks im Hinblick auf die
Bebauung. Schlußfolgernd entschieden sie sich für eine orientierungsfreie Grundform von Ge- bäude, ironisch „Ildefonso“ genannt: einen zweiachsig symmetrischen, nach allen vier Schauseiten gleichwertig ausgelegten, rigid geschichteten, im Grundriß quadratischen Baukörper. Aus diesem Volumen schnitten sie, mit dem Hintergedanken der Kreuzform, geschoßweise dienende Mittelzonen aus, sodaß jeweils an den Fassaden zwei parallele bediente Zonen entstanden. Durch die rechtwinkelige Verdrehung der drei Geschoße ergab sich in vertikaler Sicht eine Kreuzraumstruktur mit zentralem Atrium, die das Auswahlgremium trotz ihres scheinbar kurzschlüssigen Bezugs zum Rotkreuz-Logo überzeugte.

Die Architekten haben wenig gestalterisches Risiko auf sich genommen, indem sie einen richtungsneutralen, graugrünen Sichtbetonkörper anpeilten; sie haben hoch gepokert, indem sie die Logofarbe Rot in das Bauwerk einführten und das Kreuz zum räumlichen Ordnungsmuster erhoben. In all diesen Aspekten ist ihr Kalkül aufgegangen. Die Rotkreuz-Zentrale stellt sich außen fast als „militärische Anlage“ dar: das tarnfarbige Graugrün der geschoß-hohen, mächtigen und trotzdem an den Gebäudeecken präzis auf Gehrung gearbeiteten Betonfertigteile, die dunkel gerahmten, auf wenige Standardformate beschränkten Fenster, die tief eingezogenen Eingänge. Die unmittelbar zu lesenden äußerlichen Anzeichen der Robustheit, Solidität und Wertbeständigkeit korrespondieren gut mit dem Image des „Roten Kreuzes“, ein verläßlicher Helfer bei Unfällen und Katastrophen zu sein. Die Assoziation zu Bauten der Landesverteidigung ist nicht unerwünscht und soll die Rotkreuz-Zentrale deutlich von den mit kurzen Halbwertszeiten behafteten Handels- und Gewerbeschachteln abheben.

Überzeugend ist der Kontrast, den die an Boden, Wand und Decke geröteten Erschließungs-, Aufenthalts- und Besprechungsbereiche zum Betongrau abgeben. Die Härte des Betonmantels wird gebrochen, ein heiterer Ton wird angeschlagen.

Kreuzweise angelegt, ist das Raumgeflecht mit dem verbindenden Lichthof als Kontinuum über die
drei Geschoße wahrnehmbar und bildet deutliche Schwellen zu den Schulungszonen und vor allem zu den durch geschoß-hohe Glaswände abgetrennten Büros. Die betonbelegten Stahltreppen, der Aufzugsschacht und alle Möblierungen sind in Schwarz oder Dunkelgrau gehalten, was eine beeindruckend kompakte Gesamterscheinung gewährleistet. Konstituierend für das Innere ist das Rot, das durch seine Omnipräsenz nie in Gefahr kommt, als simples Element einer Unternehmensidentitätskampagne des „Roten Kreuzes“ zu wirken.

Es fungiert vielmehr als ein den Sehsinn besänftigendes Nahwirkungselement einer zu Ende gedachten und ohne Detailschwächen realisierten Architektur.

Die Signifikanz der Rotkreuz-Zentrale liegt in ihrer geschlossenen, harten Großform, in der zurücknehmenden Fernwirkung des tarnfarbigen, scharfkantigen Fassadensichtbetons und in der Differenz, die sie damit auch zu guten Gewerbebauten der Umgebung erzeugt. Die Beliebigkeit des Orts verarbeitet der Bau in seinen Symmetrien, mit seinen Ein- und Ausblickachsen, seiner Geschoßrotation um die zentrale Raumvertikale, jedenfalls mit inneren Ordnungsprinzipien unter der Kreuzprämisse, die allerorts, aber nicht bei jedem Thema zündend wäre. Glücklich aufgelöst ist das Architekturdilemma zwischen Signalbedürfnis des Bauherrn und lagebedingter Betrachterabsenz respektive -distanz in der Orientierung des roten Superzeichens in das Innere. Ausgesetzte Kreuzesröte begehrt Sicherheit durch Tarnung.

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