Bauwerk

Steinhaus
Günther Domenig - Steindorf am Ossiacher See (A) - 2008
Steinhaus, Foto: Margherita Spiluttini

Der Monolith

Persönliche Spurensuche und private Obsession: das Steinhaus von Günther Domenig. Ein Werk, das sich einfachen Deutungen widersetzt. Zur Fertigstellung einer singulären künstlerischen Leistung.

11. Oktober 2008 - Karin Tschavgova
Ein Rastloser war der eine, der täglich viele Kilometer weit zu Fuß unterwegs war, um die Post auszutragen. Aus den Motiven der Ansichtskarten, die er verteilte, imaginierte sich der französische Briefträger Ferdinand Cheval im Gehen ein Bild der Welt, das er in einem fantastischen Bauwerk verwirklichen wollte. Beharrlich und unbeirrbar realisierte er gegen viele Widerstände ab 1879 in seinem kleinen Obstgarten den Traum vom „Palais Ideal“. Aus Steinen, die er auf seinem täglichen Weg einsammelte, formte er mehr als 30 Jahre lang ein bizarres Monument privater Obsession – 26 Meter lang, zwölf Meter breit, bis zu zehn Meter hoch. Nach einer ersten Würdigung durch die Surrealisten verfiel es in einen Dornröschenschlaf, bis es 1969 der Schriftsteller und damalige Kulturminister André Malraux als eines der großen historischen Monumente Frankreichs unter Denkmalschutz stellen ließ. Heute ist es eine Touristenattraktion.

Ein Ruheloser, Suchender auch der andere, der sich bald nach Beginn seiner Berufslaufbahn gegen den Zeitgeist und für den Weg eines sehr persönlichen, emotionalen Ausdrucks in der Architektur entschieden hat.

Alle wesentlichen Arbeiten des Architekten Günther Domenig lassen sich als Absicht interpretieren, individuellen Gefühlen in gebauter Form Gestalt zu verleihen. Es sind expressive Gesten wie die Zentralsparkasse in Wien-Favoriten (1974–1979), mit der die internationale Fachwelt erstmals auf Domenig aufmerksam wurde. Doch im Wien der 1970er-Jahre, in dem die Postmoderne den Ton angab, wurde dem Architekten, der für sich reklamierte, Künstler zu sein, mit Skepsis und offener Ablehnung begegnet.

Daraus entstand der unbändige Wunsch, uneingeschränkt, ohne äußere Widerstände und Fremdbestimmung auf eigenem Grund und Boden seine Architektur entstehen zu lassen. Günther Domenig setzte alles daran, diese Vision umzusetzen. Es brauchte beinahe 30 Jahre, bis das Steinhaus in Steindorf am Ossiacher See realisiert werden konnte. Vergangenen Sonntag wurde nun das intimste, enigmatischste Gebäude Domenigs in einem Festakt mit viel Prominenz und zahlreichen Huldigungen von Architektenkollegen eröffnet. Schweigend, müde, erstaunt sah der Architekt dem Treiben zu. Bis ein Bauwerk fertig ist, meinte Raimund Abraham, ist es das Eigentum des Architekten, danach gehört es sich selbst. An diesem strahlenden Herbsttag des Jahres 2008 schienen sich andere des Hauses, das nur mit finanzieller Unterstützung des Landes Kärnten und des Bundes fertiggestellt werden konnte, bemächtigt zu haben. Das Steinhaus wurde in eine Stiftung eingebracht, die es verwalten wird und als Seminarraum für Architekturworkshops und als Tagungsort nützen will.

Der Architekt selbst hat immer betont, dass das Steinhaus eine Skulptur aus Beton, Glas und Stahl ist, deren Nutzen zweitrangig ist. Das ist legitim, weil der Architekt als Bauherr niemandem als sich selbst verpflichtet war. In der Architektur- und Kunstgeschichte findet man einige dieser gebauten Universen. Ob Gaudís „Sagrada Familia“ in Barcelona, Paolo Soleris „Arcosanti“ oder James Turells „Roden Crater“ (beide in Arizona) – sie alle entziehen sich gängigen Kriterien der Bewertung von Architektur. Fragen nach der Einfügung in die Landschaft oder das Ortsbild, nach Funktionalität oder der Ökonomie des Bauens greifen für solche künstlerischen Einzelleistungen zu kurz.

Domenigs Steinhaus ist ein vielschichtiges Gebilde, das mehrere Lesarten zulässt. Die Bedeutungsinhalte, die sein Ersinner dem Ganzen und jedem seiner Teile gegeben hat, offenbaren sich dem Betrachter dennoch nicht leicht. Nicht nur seine Entstehungsgeschichte, auch das Bauwerk selbst ist ein intimer Ausdruck der Persönlichkeit des Architekten, und so wäre wohl eher eine psychoanalytische Betrachtung des Werks denkbar. Andererseits: Trotz expressionistischem Habitus bewahrt das Haus eine gewisse Hermetik, so, als wolle sich Domenig gegen platte Interpretationen seiner in die Sprache der Architektur gebrachten Gefühle verwahren. Domenig selbst erklärt seinen Entwurf aus dem Studium der Berge, Felsformationen und Steine seiner Mölltaler Heimat und aus der Tradition alpiner landwirtschaftlicher Nutzbauten aus Holz und einem Sockel aus Bruchsteinen. In zahlreichen Zeichnungen, die 1980 auf der Alm entstanden sind, behandelt Domenig diese Motive, entwickelt sie weiter zu ersten Skizzen eines Bauwerks auf dem Seegrund, den die Großmutter ihm und seinem Zwillingsbruder vererbt hat. In einer noch wenig abstrahierten Form kann man darin Hügel entdecken, aus denen Felsen brechen, Steine in exponierter Lage, Schluchten und Wege, die sich durch schroffe Wände bahnen.

Zeichnungen haben Titel wie Zerbrechungen, Aufbruch, Kampfgrenze. In den Jahren danach verfeinert Domenig das Projekt, komponiert die drei Schwebesteine um die geknickte zentrale Längsachse mit den Haupträumen und entwickelt Konstruktionsansätze. Nach einer entscheidenden Phase der Geometrisierung, die dem Bauwerk die vom Architekten intendierte notwendige Schärfe gibt (mit Hilfe von Geometern in Ermangelung von Computerprogrammen, die zu dieser Zeit noch nicht verfügbar waren), steht die endgültige Fassung 1986 fest. Domenig, der seit 1980 an der TU Graz lehrte, hat die finanzielle Absicherung, um mit den Betonbauarbeiten beginnen zu können. Stufenweise, in mehreren Planungs- und Bauphasen, wird weiter experimentiert, werden Konstruktionen für die Schwebesteine in Stahl ersonnen, wird detailliert und baubar gemacht.

Betrachtet man das Steinhaus im Kontext zu anderen Bauten, die als Schlüsselwerke des Œuvres von Domenig und als Basis seines internationalen Stellenwerts gesehen werden können, so treten die Analogien zur heimatlichen Landschaft als formgebende Inspiration in den Hintergrund. An ihre Stelle treten „Signifikate“, wie sie Raffaele Raja in einem Essay über Günther Domenig benennt – gebaute Charakteristika, die in immer von Neuem entwickelter Form vor allem Domenigs im Alleingang entwickelte Bauten kennzeichnen.
Verstärkt werden diese Elemente, die wir aus der Strömung der Dekonstruktion kennen, durch ihre Benennung: Spannungen, Brechungen, Durchdringungen, Zerklüftungen, Knickungen, Risse implizieren Zerstörung, etwa von Monumentalität und Axialität, aber auch von Traditionen und starrer Hierarchie. Im Dokumentationszentrum in Nürnberg hat Domenig mit dem Pfahl, den er durch das monumentale Bauwerk des Reichsparteitags gebohrt hat, bildhaft die Ideologie der Nazis zerbrochen und dabei auch seine eigene Jugend im Geiste einer nationalsozialistischen Erziehung verarbeitet. Einige der immer wieder von ihm verwendeten Begriffe lassen sich mehrfach deuten. Nicht nur martialische Zerstörung, auch lebenserhaltende Dynamik spricht aus ihnen und – was jene erstaunen wird, die Domenig als einen nie um eine Beleidigung verlegenen Polterer kennengelernt haben – Fragilität, Unsicherheit, labiles Gleichgewicht.

Dass auch ein scheinbar Unzähmbarer wie Domenig nach Harmonie strebt, sprach Carl Pruscha an. Er wies darauf hin, dass dieser in seiner Arbeit lange Zeit nur das Dreieck und Quadrat verwendete und den Kreis vermied, um letztlich im zylindrischen Grundwasserspeicher am tiefsten Punkt seines Hauses doch dieses Symbol des Ausgleichs einzubauen.

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