Bauwerk

MuseumsQuartier Wien - MQ
O&O Baukunst, Manfred Wehdorn - Wien (A) - 2001

Amnestie für die Realität

Den Originalbeitrag von Matthias Boeckl zur Planungsphilosophie von Ortner & Ortner finden Sie in architektur aktuell.

28. Juni 2001 - Matthias Boeckl
Nach fünfzehn Jahren Konzept-, Planungs- und Bauzeit kann über die architektonischen Aspekte der Idee von Ortner & Ortner für das MuseumsQuartier eine erste Bilanz gezogen werden. Im Mittelpunkt muss dabei ihr Konzept der dichten Monolithen und des darüber gelegten layers an filigranen Nutzungsarten stehen.


Reaktion auf „Kraftfelder“

Der strukturelle Grundansatz aller Projekte von Ortner & Ortner für das MuseumsQuartier ist die Reaktion auf „Kraftfelder“ der Stadt - eine Reaktion, die sich oberflächlich in bestimmten Ausrichtungen der Bauten manifestiert, in der inneren Neuinterpretation etwa des Typus „Museum moderner Kunst“ jedoch weit über diese formale Ebene hinausgeht.

Dahinter steht eine Vorstellung von Stadt, die Ortner & Ortner seit ihren Experimenten der 1960er Jahre (damals noch in der Formation der „Haus-Rucker-Co“) während einer internationalen Karriere als in Österreich lange Zeit unterschätzte Teilnehmer der weltweiten urbanistischen Debatte entwickelt haben. Die „Amnestie für die Realität“ und der Abschied von idealistischen Denkmustern der Stadtplanung ist die Leitlinie dieses Bewusstseins, das in europäischen Regionen fortgeschrittener Urbanisierung und eines hohen gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entwicklungsstandes (vor allem in den Niederlanden) inzwischen selbstverständlich ist und bald auch die anderen urbanen Zentren Europas dominieren wird.

Die urbane Zivilisation - das ist das Prinzip dieser Überzeugung - bildet mit ihren unüberschaubaren, durch demokratische, wirtschaftliche und technologische Entwicklung forcierten heterogenen Kultur- und Lebenspraktiken ein System von Kräften, das sichtbar gemacht und infrastrukturell unterstützt werden muss, um dieser demokratischen Vielfalt neue Räume und damit auch neue gesellschaftlich/wirtschaftliche Produktivität zu geben.


Antimodernistische Tradition

Hier liegt eine traditionelle Schwachstelle im österreichischen Verständnis von Zivilisation. Denn Infrastrukturen sind in der Regel auch sichtbar, sei es die traditionelle „hardware“ der Straßen und öffentlichen Versorgungsstränge - oder die bauliche Vernetzung und Überlagerung mit neuartigen Funktionen, wie es Ortner & Ortner noch radikal im ersten Wettbewerbsprojekt vorschwebte.

Aber sichtbare Modernisierung, das gebietet die lokale Kultur des schönen Scheins, ist in Österreich weniger beliebt als eine getarnte, versteckte. Exakt an diesem Punkt entwickelte sich jene Diskussion, die sich in der nunmehrigen Realisierung des „größten Kulturbaus der Ersten und Zweiten Republik“ abbildet. Es waren weniger die Funktionen, die Kritik hervorriefen, als vielmehr die Formen, in denen sie sich darstellten.


Die Kraft der Beharrung

In der Ausdauer der Ortners, all diese Hoffnungen und auch die Bedingungen in ihrem Projekt abzubilden, liegt die auf den ersten Blick nicht sichtbare Kraft dieser Architektur. Gefordert ist ein immaterielles statt einem bloß mechanischen Wahrnehmungsvermögen. Erwartet wird ein „fluid environment“, das sich aus dem gewerblich dominierten Stadtbezirk Neubau hinter dem MuseumsQuartier über die „dunklen Gassen“ seiner rückseitigen Trakte über Treppen, Terrassen und Freiräume bis in die imperiale Sphäre des Heldenplatzes entwickelt. Und nötig ist die wesentlich entschlossenere Forcierung dieser zeitrichtigen Stadtidee der Ortners durch weitere Durchbrüche, Vernetzungen, unter- und oberirdische Verbindungen sowie das bauliche Signal alles dessen im öffentlichen Raum vor dem Quartier.

Sollte das gelingen, dann sind die anderen europäischen innerstädtischen Kulturkomplexe wie der Pariser Grand Louvre und die Berliner Museumsinsel nicht nur die gegebenen Klassenpartner, sondern könnten in der Durchmischung und im Urbanisierungsgrad vom Wiener Beispiel sogar noch profitieren.

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