Bauwerk

ORF - Landesstudio Niederösterreich
Peichl und Partner - St. Pölten (A) - 1998
ORF - Landesstudio Niederösterreich, Foto: Walter Zschokke
ORF - Landesstudio Niederösterreich, Foto: Walter Zschokke

Theatralik mit Augenzwinkern

Keine spektakulären Formen, keine angestrengte „Einfachheit“, sondern eine glatte, ruhige Oberfläche, die zu moderner Klassizität tendiert: das ORF-Landesstudio Sankt Pölten von Gustav Peichl und Rudolf Weber.

19. September 1998 - Walter Zschokke
Beim städtebaulichen Wettbewerb für das neu zu errichtende Regierungsviertel in St. Pölten hatten viele Architekten für das im Programm genannte ORF-Landesstudio den typischen, auf eine zentrale Halle bezogenen und in Segmente gegliederten Grundriß der aus den siebziger Jahren stammenden Landesstudios von Gustav Peichl eingesetzt. Sie verwendeten den Typ wie eine Signatur und anerkannten damit zugleich die architektonische Leistung als dauerhaft an.

Nun wäre es gewiß interessant gewesen, wie Peichl & Partner nach einem Vierteljahrhundert den damals entwickelten Typ heute interpretiert hätten. Doch der Wandel im Medienalltag und eine niedrige Kostendecke zwangen zu Reduktion. Entsprechend mußte ein neues Konzept entwickelt werden, das mit den anderen Landesstudios allenfalls noch die Farbe, das Silbergrau der Aluminiumfassade, gemein hat.

Der Neubau steht etwas südöstlich vom Kulturbezirk innerhalb der ausholenden Kurve, die von der eingehausten Bundesstraße beschrieben wird. Dahinter schließt der Hammerpark mit seinem prächtigen Baumbestand an. Die Lage auf der grünen Wiese kommt dem objekthaften Charakter des Bauwerks entgegen. Als städtebaulicher Solitär wirkt es hier prominenter, als dies nahe bei den hohen Bürobauten oder den Gebäuden des Kulturbezirks der Fall gewesen wäre, denn die vergleichsweise geringe Kubatur hätte mit der Größenordnung dieser Bauten nicht mithalten können.

Obwohl das Bauwerk fest auf dem Boden ruht und nicht aufgestelzt ist, wie dies die Exponenten der Moderne in den zwanziger Jahren forderten, ist es mit den Werken dieser Zeit insofern verwandt, als der Eindruck entsteht, es sei soeben gelandet, so leicht sitzt es auf dem grünen Rasen. Der Philosoph Ernst Bloch nannte diese Häuser „reisefertig“.

Die Zweckmäßigkeit, die dieser Charakterisierung innewohnt, zeichnet auch das ORF-Studio in St. Pölten aus. Gustav Peichl und sein Partner Rudolf Weber erweisen sich als kontinuierlich moderne Architekten, denen konstruktive und betriebliche Funktionalität wichtig sind. War an den älteren Landesstudios die Bauwirtschaft in mancherlei Hinsicht noch nicht in der Lage, den gewünschten Vorfertigungsgrad und den hohen Anteil zu montierender Teile in konfektionierter Form bereitzustellen, kann heute von Entwerfern auf ein reichhaltiges Angebot von Halbfabrikaten und fertigen Bauteilen zurückgegriffen werden. Die Industrialisierung des Bauwesens erlaubt es den Architekten, mit bereits bewährten Produkten zu arbeiten, die auf andere Komponenten abgestimmt sind. Sie brauchen nicht mehr alles „neu zu erfinden“, und die technischen Risiken sind kleiner geworden, das Bauen relativ günstiger.

Die technisch-konstruktiv perfekte Durchplanung des Neubaus ergibt eine entsprechend glatte und ruhige Oberfläche, die ihre Herstellung nicht geschwätzig referieren muß, um Wirkung zu erzielen. Damit tendiert der Ausdruck zu moderner Klassizität, die durch das Mittel einer vorgesetzten Schicht beschattender Lamellen aktualisiert wird. Diese Lamellen legen gleichsam einen Raumschleier vor die nach konkretem Bedarf differenzierte Kubatur, die im Obergeschoß da und dort zurückgestaffelt ist, weil nicht so viel Nutzfläche erforderlich war.

Der Grundriß für das Erdgeschoß basiert auf einem Quadrat, das in einen Stützenraster von sechsmal sechs Feldern aufgeteilt wurde. Von Norden her führt ein nach rechts und nach links ausschwingender gepflasterter Fußweg zum leicht eingezogenen Eingang, der zusätzlich durch ein die Mittelachse besetzt haltendes, rotes Wandpaneel ausgezeichnet ist, über dem das Bildlogo des ORF prangt. Die Eingangstür liegt links davon, eine gezielte Irritation der Symmetrie, wie wir sie bei Gustav Peichl immer wieder finden.

In den relativ geräumigen Windfang blickt von der linken Seite her das freundlich prüfende Auge der Dame vom Empfang, zur Rechten führt ein Durchgang in eine kleine Wartezone, die sich durch große Glasscheiben nach außen und nach innen öffnet. Seitlich schließt noch ein Raum mit Terminals zum Internetsurfen an. Auf engstem Raum sind hier alle für diesen entscheidenden Kontrollpunkt wesentlichen Funktionen untergebracht. Architektonisch wurden sie in freundlicher Atmosphäre konkretisiert, sodaß der Empfangscharakter deutlich vor dem durchaus notwendigen der Kontrolle rangiert.

Mit vergleichsweise geringen Mitteln - für die Sitzgruppe wurden Fauteuils von Le Corbusier gewählt - wird noble Eleganz erzeugt, die bereits beim Eintreten zu spüren ist. Damit wird die weitere Stimmung in dem von außen neutral zweckmäßig wirkenden Bauwerk tendenziell festgelegt. Hinter dem Eingang weitet sich eine Halle, die wie ein Atrium in den flachen Baukörper eingeschnitten ist und die von einem kleinen begrünten Lichthof abgeschlossen und zugleich nach hinten geöffnet wird.

Die Stimmung in der Halle tendiert mit den verdoppelten Rundstützen im Achsenkreuz, dem Muster der Betonrippen an der Decke und vor allem durch den mittig den Raum überragenden Laternenzylinder aus Glasbausteinen zu weihevoller Überhöhung. Der durch den Zylinderraum nach oben führende, gerade Treppenlauf rückt jedoch das Bild wieder zurecht in profane Wirklichkeit.

Mit kontrolliertem und gezielt eingesetztem Aufwand entstand hier ein repräsentativer Mehrzweckraum, dessen Seitenwände zum Hängen von Kunstwerken genützt werden. Natürlich entbehrt der Auftritt von Persönlichkeiten, die über die zentrale Treppe heruntersteigen, nicht einer gewissen theatralischen Komponente, doch wird dieser Eindruck wieder ironisch gebrochen durch die Erinnerung an zahlreiche Fernsehshows, in denen ein Schlagersternchen mit dem Mikrophon in der Hand, durch Playbacktechnik versichert, ein paar Treppenstufen herabschwebt. Der feinfühlige Intendant wird schon wissen, wann er die Haupttreppe benutzt und wann er, über Lift oder Nebentreppe, durch eine Seitentür die Halle betritt, um Besucher zu begrüßen.

Die Raumfigur mit dem zentralen Stiegenlauf finden wir in mehreren Bauten des Peichl- schen Oeuvres. Sie ist beim EVN-Forum in Maria Enzersdorf ebenso eingesetzt wie bei den Probebühnen der Bundestheater im Arsenal und war in Ansätzen bereits in den Landesstudios vorhanden. Gustav Peichls Gespür und seine Erfahrung für gesellschaftliche Gesten, für das Spiel von Sehen und Gesehenwerden kommen hier augenzwinkernd zum Einsatz. - Mit Eingang und Halle ist der teilöffentliche Bereich des Gebäudes auch schon zu Ende. Die Studio- und Diensträume legen sich U-förmig um diesen architektonisch betonten Raumkern: Bild- und Tonstudios sowie Räume für komplett ausgerüstete Workstations und Arbeitsplätze für redaktionelles Arbeiten liegen an kurzen Gängen. Große Binnenfenster öffnen Blickverbindungen zwischen akustisch getrennten Räumen. Dies ermöglicht eine rasche und unkomplizierte interne Kommunikation, was neben den kurzen Wegen ein rationelles und effizientes Arbeiten erlaubt.

Im Untergeschoß befinden sich Lager- und Archivräume sowie die Standplätze mehrerer Übertragungswagen nebst einigen Parkplätzen für Personenwagen. Dieser in den Rasen eingesenkte Teil wird von einer linear eingeschnittenen Rampe von der Bundesstraße her erschlossen.

Etwa die Hälfte der Mitarbeiter des ORF-Landesstudios ist weiterhin in Wien im Einsatz, weil dort die Infrastruktur vorhanden ist und ausgelastet werden soll. Die Verbindung erfolgt elektronisch. Doch stehen mit dem großen und dem kleinen Saal im Festspielhaus mögliche Aufnahmestätten zur Verfügung. Ohne die Nutzung derartiger Synergien ließe sich in der polyzentralen, wenig dichten Struktur Niederösterreichs nicht ökonomisch arbeiten.

Das Obergeschoß weist ein geringeres Flächenangebot auf: ein paar wenige Büros, ein Sitzungszimmer, ein Café mit vorgelagerter Terrasse sowie einige Serviceräume sitzen als Attika auf dem Erdgeschoßsockel auf. Die freien Terrassenflächen sind begrünt. Spätere Erweiterungen sind unter Ausnützung dieser Reserveflächen bereits heute eingeplant. Überragt wird das Bauwerk von einem Sendemast, dem das aus dem Hof aufsteigende Liftprisma als Basis dient.

Insgesamt zeugt das Bauwerk von vernunftbetonter Haltung. Die architektonisch repräsentativ ausgelegten Teile sind knapp gehalten, in den anderen, den eigentlichen Haupträumen des Funkhauses, bestimmt sparsame Zweckmäßigkeit das Bild, die jedoch nie kalt wirkt. Das Lamellengerüst der Sonnenblenden, das aus Kostengründen nicht beweglich ausgebildet werden konnte, überspielt nun mit seinen klaren Linien den im Obergeschoß zurückgestaffelten Baukörper. Es wirkt von außen distanzierend, sodaß die Radio- und Fernsehleute in den erdgeschoßigen Studioräumen ungestört von Passantenblicken arbeiten können.

Bezogen auf die Bauten des Regierungsviertels, wirkt das von seinen Dimensionen her kleinstädtische Bauwerk vermittelnd zum angrenzenden Vorstadtgebiet. Die Entwerfer suchten nicht die Sensation, etwa mit spektakulären Formen oder mit pathostriefender „Einfachheit“, sondern planten und errichteten ein praktisches Bauwerk, das sowohl dem landstädtischen Charakter St. Pöltens als auch einer bedachtsamen Tradition des Architekturwollens entspricht.

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