Bauwerk

Biologischer Landwirtschaftsbetrieb ´Vetterhof´
Roland Gnaiger - Lustenau (A) - 1996
Biologischer Landwirtschaftsbetrieb ´Vetterhof´, Foto: SFH Bildkommunikation GmbH
Biologischer Landwirtschaftsbetrieb ´Vetterhof´, Foto: SFH Bildkommunikation GmbH

Der Vetterhof

Der Vetterhof im Ried zwischen Dornbirn und Lustenau stellt einen Versuch dar, ein ganzheitlich orientiertes Bewirtschaftungsmodell mit einer an vielfältigste Bedürfnisse angepaßten Architektur zu verbinden.

30. Juni 1997 - Roland Gnaiger
Ein Bauernhof ist für einen Architekten eine höchst seltene Aufgabe. Bauernhöfe waren seit jeher ein Ergebnis einer gesellschaftlichen Gesamtleistung, Resultat einer Summe von Einflüssen wie Traditionen, den Erbauern und Handwerkern, politischen Interventionen und ganz besonders von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Als solcher war der Bauernhof nachhaltigster Kulturträger, Zentrum einer Kultur, die nicht neben dem Alltag entstand, sondern völlig von ihm durchdrungen war.

Mit der industriellen Revolution versank bäuerliches Bauen in der Bedeutungs- und Kulturlosigkeit, blieb aber weiterhin Ausdruck der inzwischen geän derten wirtschaftlichen Bedeutung und sozialen Stellung der Landwirtschaft.

Aussiedlung

Die Familie Vetter wurde während der letzten Jahre von den Folgen der Suburbanisierung im Ortsgebiet von Lustenau zunehmend eingeschränkt. Dies war um so schlimmer, als sich der Hof – entgegen dem Trend und im Glauben an eine Zukunft der Landwirtschaft - in einer Offensive befand, wenn auch mit anderen Zielen und Mitteln: Biologisch wirtschaftend, selbstbestimmt, verbunden mit den Konsumentlnnen und vernetzt mit bedeutenden Alternativbewegungen der Gegenwart. Somit sollte an einer anderen Stelle neu gebaut, das Wohnen und Arbeiten neu organisiert und dorthin verlegt werden, wo die Anbaufläche ohnehin schon war: in die Riedlandschaft zwischen Dornbirn und Lustenau. Der Neubau sollte einerseits den Erfahrungsschatz der Familie Vetter umsetzen und andererseits auf die gänzlich geänderten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch den EU-Beitritt Österreichs reagieren.

Bauplatz und Bauform

Hart an der Grenze zum Naturschutzgebiet Alberried ist diese Gegend baulich ohne Ansatzpunkte, wenig strukturiert, ausgesetzt und eher unwirtlich. Weder Pflanzen noch Bauten setzen dem Wind und dem Lärm von Autobahn und Schnellstraße entscheidenden Widerstand entgegen. Derartig exponiert entstand das Bedürfnis nach Schutz.

Dies war der erste Grund für die Anlage des Hofs als echten Hof, als Bauform, die an den Seiten schirmartig zwei Höfe umschließt. Introversion und Schutz für Mensch und Tier unter Schaffung eines tauglichen Mikroklimabereichs. Der zweite Grund der Hofform lag in der Bauaufgabe. Das Programm war derart umfangreich, daß es sich nicht linear organisieren ließ. Alles sollte radial um ein Zentrum herum angeordnet werden, so daß die Wege von keinem Punkt aus zu weit sind.

Der dritte Grund für die gewählte Bauform lag in den Beispielen der Gegend und den Gegebenheiten der Landschaft. Betont horizontal, breit gelagert und gleichförmig strukturiert wie die Umgebung selbst sollte auch der Vetterhof sein. So ehrlich wie ein altes Bauernhaus sollte er aber auch die heutigen Betriebsbedingungen zum Ausdruck bringen.

Das Bauprogramm

Der Grundriß wie auch der Gesamtentwurf des Vetterhofes bleibt all jenen unverständlich, die diesen am Beispiel herkömmlicher Bauernhäuser messen. Die Aufgaben und Zielsetzungen sind andere als in der konventionellen Landwirtschaft.

Im Vetterhof vereinigt sind Funktionen wie Wohnen, Viehhaltung, Lagerung, Produktverarbeitung und -veredelung, Verkauf, Gemeinschaftsfunktionen sowie Ausbildung. Ungewöhnlich sind nicht diese Einzelelemente, sondern deren Zusammenfassung zu einem komplexen Ganzen.

Die Ziele und ihre Umsetzung

Wirtschaftliche Vielfalt und Selbstvermarktung: Verarbeitet und vermarktet werden: Milch, Fleisch, Getreide und Nüsse in roher und veredelter Form.
Die Landwirtschaft als Arbeits- und Erlebnisfeld: Konsum, Weiterbildung sowie Schauen und Mitarbeiten am Hof.
Arbeits-, Wohn- und Bildungsgemeinschaft: Gemeinschaftsteil, vier getrennte Wohneinheiten.
Tierfreundliche Haltung: Neueste hygienische und tiermedizinische Erkenntnisse, windgeschützter Stall, Laufhof.
Optimierte Wirtschaftsabläufe: Übersichtlichkeit, klare Funktionsbeziehungen und gezielte Mechanisierung, zwei Hauptachsen-. Längsachse des Futtertisches mit der Kranbahn zur Lagerung und Verteilung des Futters, zweite Arbeitsachse der quergelegten Hofdurchfahrt.
Räume der Muße und des Rückzugs: Nahe der Wohn- und Gemeinschaftsbereiche gibt es Angebote zur Ruhe und Entspannung:
Westorientierter Eingangsbereich gegen die Abendsonne, Innenhof mit Brunnen, ostwärts gerichtete Laube im Obergeschoß und einer dem Eßraum im Süden vorgelagerte Loggia.
Kreislauffunktionen und Bauökologie: Weitestgehend geschlossene Kreisläufe: Biomassenheizung mit solarer Unterstützung, Trennung von Trink und Brauchwasser, Wassererwärmung mittels Sonnenkollektoren, Trennung Schwarz-/Grauwasser, Pflanzenkläranlage, Heutrocknung mittels solarer Lufttrocknung.

Grundriß und Funktionen

Der längsorientierte U-förinige Grundriß wird durch die querlaufende Durchfahrt in zwei Höfe getrennt: den quadratischen Wohnhof und den rechteckigen Viehhof. Unter dem gemeinsamen Dach liegen mehrere eigenständige Baukörper.

An der Nordseite, gleich beim Eingang, liegt das „Lager- und Wirtschaftshaus“ mit Verkaufsraum, Kühlräumen sowie Räumen für die Milch- und Fleischverarbeitung. Im Geschoß darüber liegen Büro und Trockenlager für die Getreidesorten. Im Westen liegt der zweite Bauteil, das „Gemeinschafts- und Wohnhaus“. Ober dem Erdgeschoß liegen zwei Wohnungen mit je ca. 75M2 Nutzfläche und eigener Kleinküche.

Südlich des Wohnhofes liegt das Jechnik- und Gerätehaus". Der vorgelagerte Erschließungsgang verbindet den Wirtschaftshof mit dem Wohnteil. An der Ecke zur Hofdurchfahrt liegen Werkzeugund Geräteraum mit Bezug zu den angrenzenden Gewächshäusern und Anbauflächen. Im Obergeschoß befinden sich Gäste- und PraktikantInnenzimmer.

An seiner vierten Seite wird der Wohnhof von Biomasselager, Heizraum und Leergutlager geschlossen.

Der Viehhof wird von drei Baukörpern begrenzt. An der Nordseite liegt der Futtertisch begleitet vom Gemüserüstraum, einem Boxenstallbereich und einer Futterrüstnische. Dem Futtertisch gegenüber liegt im Süden des Laufhofes der offene Freilaufstall mit dem darüberliegenden Strohlager. Im Osten mündet der Laufhof in den Misthof. Im Westen wird der Viehhof von einer zylindrischen Melkkammer geschlossen.

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Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Annemarie Vetter
Hubert Vetter

Fotografie

KOOPERATIONEN