Bauwerk

SOWI Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät - Neubau
Henke Schreieck Architekten - Innsbruck (A) - 1999

Die Aussicht heisst Durchblick

Das neue Innsbrucker Uni-Gebäude wird seinen Studenten neben Sozial- und Wirtschaftswissenschaft auch die Vorzüge transparenter, gescheiter Architektur beibringen

18. Dezember 1998 - Ute Woltron
Was der Architekt seiner Architektur beigebracht hat, das gibt sie an ihre Benutzer weiter. Gescheite Häuser zeigen deshalb stets allerlei sinnvolle Dinge an. Von außen etwa, wo sie am besten betreten werden wollen und wie man am einfachsten auf die andere Seite gelangt; von innen, wo es sich in ihnen am gemütlichsten tratschen und Kaffee trinken oder arbeiten läßt, wie man sich drinnen optimal orientiert und manches andere mehr. In dummen Häusern verirrt man sich, und sie stehen wie Fremdlinge in der Landschaft.

In Tirol wird demnächst ein in vieler Hinsicht kluges Haus eröffnet: Im kommenden März besiedeln rund fünftausend Studenten mit ihren Professoren und Assistenten die neue „Sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Fakultät Innsbruck“ - ein Gebäude, das als Universitätsbau einer neuen Generation konzipiert und ausgeführt wurde. Es ist das erste dieser offenen, kommunikativen, unverschachtelten Art in Österreich.

Die Architekten und Lehrmeister des Hauses sind die nach Wien ausgewanderten Tiroler Dieter Henke und Marta Schreieck. Die beiden haben sich in den vergangenen fünfzehn Jahren vor allem als Wohnbauer einen Namen gemacht, ihr vielseitiges, strenges Talent aber zum Beispiel auch mit einer sauberen Baumarkthalle in Schwechat und einer Schule in Wien unter Beweis gestellt. Den Wettbewerb für die „SOWI Innsbruck“ hatten sie bereits vor zehn Jahren als absolute Newcomer gewonnen, zu einer Zeit, da sie selbst noch fast die Studienbank an der Akademie der bildenden Künste bei Roland Rainer drückten.

Die beiden wichtigsten Lehrsätze des gerade fertiggestellten 23.300-Quadratmeter-Hauses am Rande der Innsbrucker Altstadt lauten folgendermaßen. Erstens: Das Innere des Gebäudes ist so gestaltet, daß offen, in Seminaren und in kleinen Gruppen, und nicht nur in Riesenhörsälen gelernt werden kann, und daß ein optimaler Austausch zwischen den verschiedenen Instituten stattfindet.

Zweitens: Die Gebäudekuben stehen nicht wie ein Pflock in der Landschaft, sondern gliedern und definieren diese mitsamt ihren Verkehrsflüssen und Platzstrukturen zu einem gelungenen Ensemble. Und der übergeordnete Slogan für die gesamte Architektur des Hauses, vom Gesamtkonzept bis zum kleinsten Fensterband, lautet: Transparenz.

Diese macht sich in vielen Wahrnehmungsdetails bemerkbar: Das Gebäude erstreckt sich zwar als hoher, zum Teil auskragender Riegel entlang der Flanke des prachtvollen Innsbrucker Hofgartens, im Bereich der Universitätsstraße und der Kaiserjägerstraße. Dank vieler Durchblicke und Durchgänge, die zu benutzen übrigens auch die nicht-studierende Bevölkerung herzlich eingeladen ist, bildet der Bau aber keinen unüberwindlichen Fußgängerstaudammklotz, sondern saugt die Passanten entweder an seinem Leib vorbei, oder durch sein Inneres selbst in den Park dahinter.

Transparenz durchzieht auch Körper und Bauch der auffällig fein und sorgfältig ausgeführten Beton-Stahl-Glas-Konstruktion: Dort drinnen ist der alte Baumbestand des Parks fast überall präsent, er blitzt durch großzügige Verglasungen, über Fensterbänder und Durchblicke kreuz und quer in Gänge und in Hörsäle. In manchem obergeschoßig gelegenen und ums Eck verglasten Institutsraum fühlt man sich wie im Hause Tarzans, hoch oben in den Baumwipfeln. Und über allem, ebenfalls immer präsent, steht die Nordkette.

Transparenz herrscht auch in Seminarräumen und Hörsälen: In viele der Lehrräume hat der Gangpassant Einblick. Wenn das Haus einmal bezogen ist, wird es immer klar darüber Auskunft geben, was in ihm gerade wo los ist. Da Transparenz auch eine tugendhafte zwischenmenschliche Umgangsform ist, liegen die Seminarräume stets zwischen zwei Instituten und können sozusagen von beiden Seiten bespielt werden.

Auch die Lektion, daß ein Gebäude, das ständig von vielen Menschen durchwimmelt wird, übersichtlich sein sollte, hat der neue Uniableger gekonnt beherzigt. Dank einer großzügigen, abgetreppten und völlig überglasten Halle, dem Kernstück der gesamten Anlage, weiß der Student oder Besucher stets genau, wo er sich befindet, und wie er sich orientieren kann. Das stellt ebenfalls eine Art hilfreicher Transparenz dar.

In dieser Kernzone, die als Erschließungs-und Kommunikationsbereich für die Studierenden dient, befindet man sich sofort, wenn man das Gebäude betreten hat. Links und rechts von den Treppen und Plateaus führen Eingänge zu den insgesamt 16 Instituten. Je nach Lust und Laune können sich die Insassen mittels Holzjalousien zu dieser Zentralhalle hin öffnen oder schließen, also mit dem öffentlichen Verkehrsraum und seinen Passanten kommunizieren oder nicht.

Auch die Konzeption und die Anordnung der einzelnen Institute erfolgten nach den Gesetzen der Transparenz und des gemeinsamen Lernens: Die Architekten erarbeiteten die Lage der Institute mit allen Professoren, die Raumeinteilung der einzelnen Einheiten mit den dort Verantwortlichen und schließlich sogar die Möblierung jedes Zimmers mit seinem Benutzer. Das Ergebnis dieser Studien ist eine maßgeschneiderte, aber trotzdem sehr flexible Hülle für einen lebendigen, wachstumsfähigen Universitätsorganismus.

Im direkten Umfeld der Uni entsteht ein ebenfalls von Henke und Schreieck geplantes Managementzentrum, von dem man sich universitären und wirtschaftlichen Austausch erwartet. Ebenfalls benachbart liegt ein Wohngebäude, das demnächst fertiggestellt wird.

Nach einer Bauzeit von zwei Jahren und Nettogesamtbaukosten von 546 Millionen Schilling steht also die neue Universität nun für Lernende und Lehrende bereit, dort, wo sich früher eine Akademie mit ganz anderen Lehrmethoden befunden hat, nämlich die Fennerkaserne. Dereinst wurde hier exerziert, jetzt wird gebüffelt. Und damit das zwischenmenschliche Lernen dabei nicht vernachlässigt wird, erfolgt zur Zeit bereits eine Besiedelung der erdgeschoßig im Uni-Wohnhaus-Büro-Ensemble bereitstehenden Geschäfte und Beiseln. So richtig gescheit wird ein Haus doch erst durch seine Benutzer.


Strenge Senkrechtstarter

Die Architekten Henke-Schreieck

Seit 1983 arbeiten die Tiroler Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck in einer Bürogemeinschaft. Zuvor studierten sie bei Roland Rainer an der Wiener Akademie der bildenden Künste.

Nach diversen Einfamilienhäusern, Um- und Ausbauten stellten sie ihr erstes wichtiges und vielbesprochenes Gebäude 1993 in Form eines völlig unkonventionellen Wohnbaus in die Frauenfelderstraße im 17. Wiener Gemeindebezirk. Auftraggeber ÖBV heimste für das geschickt erschlossene Gebäude mit den großzügigen Fensterflächen und dem intelligenten Innenausbau prompt den Bauherrenpreis ein.

Für den Umbau des Hackinger Stegs in Wien Hietzing (gemeinsam mit Wolfdietrich Ziesel) bekamen die Architekten selbst zwei Jahre später den Adolf Loos Preis zugesprochen. Und Schömer-Chef Karlheinz Essl war von einem bauMax-Wettbewerbsbeitrag der beiden so angetan, daß er bei ihnen einen Mega-bauMax-Markt in Schwechat in Auftrag gab.

Apropos Wettbewerb: Bisher haben die Tiroler, die ihr Büro in Wien aufgeschlagen haben, jedes einzelne Projekt über Wettbewerbe zugesprochen bekommen. Zuletzt gewannen sie vor zwei Wochen das Rennen um die Errichtung einer AHS im 22. Bezirk Wiens. Im Frühling wird eine Wohnsiedlung im 23. Bezirk fertig, und die Neugestaltung des Badener Bahnhofs - ein geladener Wettbewerb - soll in den kommenden Jahren Wirklichkeit werden.

Dieter Henke und Marta Schreieck sind gestrenge Detail- und Ausführungsfetischisten. Wer, wie sie, gerne in Stahlbeton baut, muß mit Präzision und Disziplin arbeiten, jeden Stecker, jeden Anschluß vorplanen. Mit der SOWI haben sie ihr bisher größtes Projekt vollendet. Schreieck: „Das gelang allerdings nur, weil wir mit der BIG den perfekten Auftraggeber hatten.“

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