Bauwerk

MZM Museumszentrum Mistelbach
archipel architektur kommunikation - Mistelbach (A) - 2007
MZM Museumszentrum Mistelbach, Foto: Rupert Steiner
MZM Museumszentrum Mistelbach, Foto: Rupert Steiner

Mausgrau zugeschüttet

Vor zwei Tagen eröffnete das Museumszentrum Mistelbach - nicht unbedingt ein Diamant zeitgenössischer Architektur, aber durchaus ein fesches Dach für die Kunst von Hermann Nitsch.

26. Mai 2007 - Wojciech Czaja
In der Zeitrechnung der Kunst ist es gerade einmal einen Wimpernschlag her, dass Hermann Nitsch noch als Perversling und Skandalist bezeichnet wurde. Was gestern noch eine Schweinerei war, kann man heute schon als kleines Präsent mit rotem Mascherl in den Warenkorb legen. Rechtzeitig zur Eröffnung des Museumszentrum Mistelbach und somit zum frisch eingeweihten Nitsch-Museum brachte die ortsansässige Confiserie Hynek eine eigene Edition so genannter Schütt-Trüffel heraus: zuckersüße Schokokugeln mit blutroten Einsprengseln. Runterspülen kann man das Ganze mit einem kräftigen Schluck aus dem Nitsch-Doppler. Der bärtige Mann ist eine Vermarktungskanone.

Vorgestern, Donnerstag, eröffnete das Museumszentrum Mistelbach, kurz MZM. Bevor sich die Ausstellungsräume im Laufe der Zeit neutralisieren und zum Teil auch anderen Ausstellungen und Themenkreisen zur Verfügung gestellt werden, steht das MZM jedoch ganz im Zeichen des Schüttmeisters Hermann Nitsch, dessen Orgien-Mysterien-Residenz Prinzendorf nur 20 Kilometer entfernt liegt. Aus Rücksicht auf seine Abneigung gegenüber zeitgenössischer Architektur (siehe Interview rechts) war an einen Neubau gar nicht erst zu denken. Wo Rinderblut und breiige Farbkleckse am Leinen haften, da muss die Architektur schon mehr zu bieten haben als nur sich selbst.

Eine Schicksalsfügung: Die Räumlichkeiten des MZM sind geschichtlich durchtränkt. Denn in den altehrwürdigen Hallen hatte man einst Pflüge fürs umliegende Ackerland geschmiedet. Dann kamen Globalisierung, steigende Konkurrenz und schließlich das Aus für die Mistelbacher Pflugfabrik. „Erste Ideen, hier ein Nitsch-Museum anzusiedeln, gehen schon etliche Jahre zurück“, erklärt Christian Resch, Bürgermeister von Mistelbach, „ich habe Nitsch die Hallen gezeigt, er war vom Fleck weg begeistert.“

Die allerersten Konzepte skizzierte gleich der Bürgermeister höchstpersönlich aufs Papier, doch bald war klar, dass ein professionelles Händchen so schlecht nicht sein kann. Gemeinsam mit Wolfgang Denk - vormals Direktor der Kunsthalle Krems, heute Chef des Nitsch-Museums - und Johannes Kraus (Archipel-Architekten, derzeit besser bekannt als die Sängerknaben-Kristallisten) gründete man eine ARGE und machte sich an die Arbeit. Da die Planung des Museums von Anfang an als Gesamtkunstwerk von Kunst und Architektur konzipiert war, hatte man an der Selbstverständlichkeit eines öffentlichen Wettbewerbs vorbeimanövrieren können. Nach Auskunft des Bürgermeisters belaufen sich die Gesamtinvestitionen auf etwa fünf Millionen Euro.

Das Museumszentrum Mistelbach ist weder eine fliegende Untertasse noch eine unverwechselbare architektonische Landmark. Das wäre bei der vorgefundenen Bausubstanz und beim beschränkten Budget auch kaum möglich. Stattdessen ist es ein adrett zurechtgerücktes Ensemble aus alten Häusern, viel Fabriksduft und einigen baulich gar nicht uninteressanten Industriehallen. „Dem gesamten Areal und den Hallen im Speziellen lag ein monumentaler, archaischer, sakraler Ausdruck inne“, sagt Architekt Johannes Kraus, „das traf sich perfekt mit dem Werk und der Person von Hermann Nitsch, denn Religion stellt für ihn bekanntlich einen wichtigen Impuls dar.“ Es habe daher nahe gelegen, im Zuge der architektonischen Konzeption auf eine Klosteranlage zurückzugreifen.

Nun denn. So heißen die unterschiedlichen Gebäudeteile - sie alle stehen heute unter Denkmalschutz - beispielsweise Langhalle, Kathedrale, Seitenschiff, Claustrum oder Krypta. Sogar ein Campanile mit 25 Meter Höhe war geplant, doch die finanzielle Daumenschraube zwang zu Abstrichen. Kraus: „Wir hatten die Wahl zwischen unterirdischer Krypta und oberirdischem Campanile, damit ist der Turm leider gefallen.“ Macht nichts. Denn, so Kraus, nachträgliche Zubauten könne man später immer noch vornehmen.

Um innerhalb der Museumsanlage einem zentralen Freibereich Platz zu schaffen, wurde eine der Hallen einfach abgeschnitten und verkleinert. So wurde Platz geschaffen für eine Sitzarena, ein Wasserbecken und ein bissl Grün. Tagsüber werden Passanten die Anlage durchqueren, um die Wohnviertel beiderseits des Museumszentrums zu erreichen, vor allem aber wird Hermann Nitsch hier Schüttungen, Tierschnetzelungen und Malaktionen vornehmen können. Eine wuchtige Betonscheibe am Ende des Platzes wird so manchem Stiervieh als Hängealtar dienen.

Um das heterogene Ensemble wieder zu einer Einheit zu fassen, griffen Archipel-Architekten zum Farbkübel und schütteten, jawohl, über das gesamte Areal einen grauen Schleier. „Manchmal greifen Architekten zu mausgrau, weil sie nicht weiter wissen oder weil sie sich nichts anderes trauen“, so Kraus, „in unserem Falle war die gewählte Farbe aber Fügung des Schicksals, denn jede andere ist bei Nitsch bereits mit Symbolik behaftet.“

Die letzten Handgriffe sind gemacht, die Eröffnung ist überstanden, ein paar Kleinigkeiten stehen noch aus. Nichts Aufregendes so weit. Sehr viel aufregender indes ist die Tatsache, dass das kleine Mistelbach nun über ein eigenes Museumsquartierchen verfügt. Und damit erklimmt Bürgermeister Christian Resch wieder einmal ein paar Sprossen auf seiner bisher ohnehin schon Aufsehen erregenden Zeitgenössische-KunstLeiter. Resch: „Was soll ich Ihnen sagen? Wir haben hier weder eine Chance auf große Industrie, noch ist das Weinviertel landschaftlich besonders interessant. Wenn wir als Gemeinde daher auffallen wollen, dann sicher nicht mit dem 600. Heimatmuseum.“

Mistelbach ist ein Vorzeigebeispiel kultureller Positionierung, es punktet vor allem das ohnehin imageschwache Niederösterreich. Schon im Angesichte früher Kunstprojekte hatte Bürgermeister Resch einmal gesagt: „Natürlich schimpfen manche Leute am Stammtisch, doch es ist die Aufgabe der Politik, sich mit der Kunst, die genau jetzt passiert, auseinanderzusetzen.“ Mit ein paar besoffenen Schütt-Trüffeln und einem Gläschen Nitsch-Wein wird auch dieses Nörgeln verstummen.


„Ich liebe Stonehenge“

der Standard: Viel Stress vor der Eröffnung?

Hermann Nitsch: Sagen Sie dieses Wort nicht! Ich ertrage diese Modewörter nicht. Es sind Wörter wie Hula-Hoop-Reifen, sie kommen und gehen.

Viel zu tun vor der Eröffnung?

Nitsch: Ja.

Was sind Ihre letzten Handgriffe, bevor das Museum der Öffentlichkeit übergeben wird?

Nitsch: Ich muss noch alle Sachen einrichten, aber nicht einrichten im herkömmlichen Sinn. Alle Räume müssen gestaltet sein und sollen sakrale Wirkung haben. Das Museum soll über eine reine Ausstellung hinausgehen.

Das heißt?

Nitsch: Das Museum soll nicht nur ein Ausstellungsraum sein, sondern soll auch als Ort für Malaktionen und Sommerakademien dienen. Da müssen Stimmung und Komposition passen.

Wann dachten Sie das erste Mal an ein eigenes Nitsch-Museum?

Nitsch: Ich bin mit dem Bürgermeister Christian Resch gut befreundet. Er ist in Sachen Kunst und Kultur sehr engagiert. So viel dazu. 1987 habe ich in der Wiener Secession eine große Malaktion gehabt. Die Resultate davon hat dann ein oberösterreichischer Sammler gekauft. Es stellte sich die Frage nach einem dauerhaften Ort. Dann bin ich zum Resch gegangen und habe gesagt: Schau, das könnten wir bei euch doch ausstellen. Ich wäre niemals so vermessen zu sagen: Baut ein Museum für mich! Aber es gab einen ungenutzten Altbau in Mistelbach - und den haben wir genutzt.

Sind Sie mit dem Resultat zufrieden?

Nitsch: Mit dem Bau bin ich sehr zufrieden. Ob ich mit dem Projekt als Ganzes zufrieden bin, kann ich noch nicht sagen. Das kann man erst beurteilen, wenn alles fertig ist.

Warum ist alles grau?

Nitsch: Ja, es ist alles gräulich. Aber da müssen Sie die Architekten fragen. Und die werden Ihnen dann eine Antwort darauf geben. Ich wurde in viele Entscheidungen mit eingebunden. Aber es tut mir leid, dass man mich bei der Farbe gar nicht gefragt hat. Ich hätte ja alles in einem gebrochenen Weiß gemacht. Das wäre eine Entsprechung zu Prinzendorf gewesen, dort ist auch alles weiß. Aber was soll ich sagen. Der Kunst ihre Freiheit, der Architektur ihre Freiheit.

Wie war die Zusammenarbeit mit den Architekten?

Nitsch: Innen ist ja alles Gott sei Dank weiß, sonst hätte ich ja kein Bild da reingehängt. Aber Spaß beiseite. Die Zusammenarbeit war sehr gut. Ich war sogar angenehm überrascht, als die Architekten von sich aus den Einbau einer unterirdischen Krypta vorgeschlagen haben.

Welchen Stellenwert hat Architektur für Sie?

Nitsch: Ich liebe Stonehenge, und ich liebe die Pyramiden. Otto Wagner und Le Corbusier sind auch noch ganz okay. Und ich mag Land Art, auch das ist eine Art Architektur. Eine Architektur ohne Zweck ist mir ohnehin am liebsten.

Stonehenge und Pyramiden sind ja nicht die jüngsten Beispiele.

Nitsch: Aber die besten. Mit zeitgenössischer Architektur habe ich meine Probleme, das gebe ich zu. Da kann ich leider nicht so viele schöne Sachen entdecken. Aber was sein muss, muss sein. Das ist schon in Ordnung. Doch man möge den Anstand haben, und die zeitgenössische Architektur in der Erde eingraben. Die Welt muss ja nicht noch mehr verschandelt werden. Mit Architekt Johannes Kraus hatte ich ja schon ein Riesenglück. Stellen Sie sich vor, ich wäre auf den Hollein gestoßen.

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