Bauwerk

Wolkenturm
tnE Architects - Grafenegg (A) - 2007
Wolkenturm, Foto: Pez Hejduk

Ruhe bitte

Kommende Woche müssen die Vögel ihre Schnäbel halten, wenn im niederösterreichischen Schlosspark von Grafenegg die wohl außergewöhnlichste Freiluftbühne der Nation mit einem Festkonzert eröffnet wird.

16. Juni 2007 - Ute Woltron
Die Nacht des kommenden Freitag wird nur unwesentlich länger sein als die des Vortags, welchselbige auf den 21. Juni fällt und somit die kürzeste des Jahres ist. Mit anderen Worten: Es wird am Freitag, wenn das Festkonzert in Grafenegg beginnt, noch lange genug hell sein, um die neue Freiluftbühne der Architekten-ARGE the next ENTERprise + Land in Sicht in allen Schattierungen des Sonnenuntergangs und der Dämmerung ausgiebig betrachten zu können.

Währenddessen darf gelauscht werden: den Klängen des Tonkünstler-Orchesters Niederösterreich, den Sangeskünsten von Genia Kühmeier, Johan Botha und Bryn Terfel, der Virtuosität der Herren Julian Rachlin an Violine und Viola und Rudolf Buchbinder am Klavier, und sie alle - nicht zu vergessen - werden gelenkt vom Dirigenten Alfred Eschwé. Was für ein prächtiger akustischer Blumenstrauß für die Eröffnung eines Gebäudes!

Das Ambiente selbst ist ebenfalls spektakulär - nicht zuletzt, weil wir uns ausgerechnet in Niederösterreich befinden. Denn dieses schöne Bundesland ist, was qualitätsvolle zeitgenössische Architektur anlangt, vergleichsweise ein wenig im Hintertreffen, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Doch hier soll keineswegs wieder einmal die Rede sein von den unverständlicherweise immer noch allerorten emporwachsenden übelsten Wohnsilos der Nation und anderem zeitgenössischen Grauen, sondern von einem Stück engagierter Kultur, das hiermit vollendet ist.

Die Openair-Bühne trägt den Namen Wolkenturm und befindet sich inmitten des historischen Schlossparks von Grafenegg, nicht allzu weit von Wien. Dieser Park selbst liegt wie eine grüne Wolke in der Glätte weiter Felder, und wenn man sich auf der sympathisch schmalen Landstraße nähert, kann man das neue Gebäude zwischen den hohen alten Bäumen erst nur erahnen. Denn es versteht sich als Teil des Ganzen, es will den Park nicht dominieren, sondern mit dieser kunstvoll seit Jahrhunderten gepflegten Landschaft verschmelzen und darin einen neuen, zeitgenössischen Höhepunkt bilden. Deshalb ist es nicht höher als die höchsten Bäume, es ist sozusagen ein Transformierter der ihren.

Das Projekt ging als Kooperation zwischen „Privat“ und „Öffentlich“ über die Bühne; Public Private Partnership nennt man das dieser Tage. Seine Bauherren sind die Hausherrenfamilie Metternich-Sándor, die Grund und Infrastruktur bereitstellte, und das Land Niederösterreich, das die Investitionsmittel lieferte. Der Standort ist fürstlich, das Schloss ein historistischer Augenschmaus, der Park nicht enden wollend, die Location - um in die Sprache des Kulturmanagements zu schlenkern - mehr als hoffnungsvoll. Ab heurigem Sommer wird es hier ein neues Musikfestival unter der künstlerischen Leitung Rudolf Buchbinders geben, bis 2008 wird ein weiterer Konzertsaal am Parkesrand fertig gestellt sein und das niederösterreichische Tonkünstler-Orchester seine neue Sommerresidenz beziehen.

Der Wolkenturm wird also nicht lange auf Besucher warten, und wer freien Sinnes und frohen Gemütes ist, wird eine große Freude an ihm haben. Und wer sich an dieser Stelle lieber einen laubsägeziselierten Parkpavillon traditioneller Provenienz gewünscht hat, ist in anderen Orten Niederösterreichs ohnehin der Qual der Wahl ausgesetzt.

Man nähert sich dem Konstrukt zu Fuß über sanfte Wege und bemerkt alsbald, dass hier ordentlich in der Erde gewühlt wurde. Die Besuchertribünen sind teils eingegraben, die Ränder laufen in grünen Hängen in die Parklandschaft aus. Den Besucherstrom leiten gewissermaßen breite Kanäle in das Halbrund, dessen Zentrum der Turm und die von ihm umfangene Höhlung des Bühnenraumes bildet.

Ein Großteil des Gebäudes ist aus Beton gegossen, und Fachleute werden interessiert an den scharfen Verkantungen und Ecken zu fummeln beginnen - denn die sind ein Kunststück für sich. So leicht und wolkenflockig das Teil nun im Park steht, so aufwändig und kompliziert ist seine Konstruktion.

Es empfiehlt sich, bereits ein Weilchen vor dem Konzert einzutreffen, um die Bühnenlandschaft zu umrunden, die unterschiedlichen Blickbezüge und -achsen zu studieren und die Freiluftbühne von nah und fern genau zu betrachten. Das ist im Übrigen auch jenen unbenommen, die außerhalb der Konzerttermine hierher kommen, um beispielsweise ein Picknick zu veranstalten oder einfach in die Baumwipfel zu starren. Denn der Wolkenturm ist an den meisten Tagen des Jahres als Element des Parks sich selbst genug. Er wird nicht ständig bespielt, steht aber allen Besuchern offen. Das gilt allerdings nicht für sein Innenleben, in dem sich Künstlerzimmer, Klavierdepots und andere dienende Räumlichkeiten befinden, die man im Hintergrund für konzertante Tätigkeiten benötigt.

Wie die Qualitäten der Akustik beschaffen sind, wird sich erst am Abend der Eröffnung erweisen. Doch gröbere Sorgen sollte man sich ohnehin nicht machen müssen, da das wohl renommierteste europäische Akustik-Unternehmen, Müller-BBM aus Bayern, die Akkorde der architektonischen Komposition begleitet hat. Eine schwierige Aufgabe, denn die Künstler müssen ohne technische Verstärkung zur Geltung kommen, noch dazu im Freien und vor dem nicht geschlossenen Volumen von 1650 Sitzplätzen.

Die ARGE the next ENTERprise + Land in Sicht heißt aufgeschlüsselt mit Namen Marie-Therese Harnoncourt und Ernst Fuchs sowie Thomas Proksch und hatte den Auftrag im Rahmen eines Wettbewerbsverfahrens zugesprochen bekommen. Marie-Therese Harnoncourt erklärt, wie sie an den Entwurf herangingen: „Wir mussten eine ohnehin an dieser Stelle bestehende Mulde nur noch etwas auskratzen und die Topografie mit künstlichen Hügeln, wie sie im Landschaftsgarten Tradition haben, verstärken.“ Die extravagante Form des Turmes ergab sich aus einer Analyse der Blickachsen, etwa zwischen dem Tor und dem Schloss. Harnoncourt: „Wir haben Bezugsfelder aufgebaut und dadurch Liniengeflechte erhalten, die in die dritte Dimension transformiert wurden.“

Bereits im 19. Jahrhundert hatten die englischen Landschaftsgärtner genau damit gearbeitet: mit strukturierenden Baumgruppen und Wiesenfreiräumen, mit Pavillons und anderen Blickbezügen. So betrachtet setzen Grafenegg und Niederösterreich mit einem avantgardistischen Akzent eine jahrhundertealte Tradition fort, die anderswo in gelackter Historie längst abgestorben ist.

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