Bauwerk

Denkmal für die Terroropfer von Atocha
estudio fam - Madrid (E) - 2007
Denkmal für die Terroropfer von Atocha, Foto: Roland Halbe
Denkmal für die Terroropfer von Atocha, Foto: Roland Halbe

„... to interpenetrate without distraction“

Das Denkmal für die Opfer des Terroranschlags vom 11. März 2004 in Madrid bezieht sich in seiner Form auf eine Idee der Transparenz, die sich an die Ästhetik der Medien und deren Spiel mit Auflösung und Zersetzung anlehnt. Der Konzeption liegt eine fragwürdige These zugrunde. Trotzdem entstand ein überzeugendes Projekt.

20. April 2007 - Kaye Geipel
Colin Rowe hat den zweiten Teil des großen Essays, den er 1956 mit Robert Slutzky über die Transparenz in der Moderne geschrieben hatte, später mit einem Hinweis versehen: Das helle Licht und die Landschaft von Texas seien mitentscheidend für die Ideen gewesen. Der Essay wendet sich gegen die krude Durchsichtigkeit der gläsernen Moderne und plädiert für eine mehrdeutige Definition der Transparenz. Er macht sich stark für geschichtete Gebäudehüllen, die imstande sei­­en „to interpenetrate without optical distraction“. Diese raf­finierten Eigenschaften des Rowe’schen Transparenzbegriffs sind von den Medienbildern längst eingeholt worden. Sie haben heute einen manchmal drohenden Unterton bekommen: In der filmischen Darstellung ist alles was transparent ist, meist auch grell und farbig beleuchtet, und dort wo die Räume durchsichtig werden, ist deren Zerstörung oft nicht weit. In Kinofilmen wie „Matrix“ und „Face/Off“ und in un­zähligen Fernsehserien in deren Manier fliegen Räume reihenweise in die Luft, kurz nachdem sie für den Zuschauer durchsichtig wurden. – In diesem Zusammenhang scheint die Idee eines diffus transparenten Denkmals fragwürdig zu sein.

Das Attentat in den Zügen vor dem Madrider Bahnhof Atocha geschah am 11. März 2004, drei Tage vor der Parlamentswahl, um 7 Uhr 40 früh, und forderte 191 Tote, 1824 Verletzte, davon 81 schwer. Drei Jahre nach dem Terroranschlag wurde jetzt im Beisein des spanischen Königs Juan Carlos das „monumento a las víctimas del 11-M“ in einer kurzen Zeremonie eingeweiht. Nachdem es zuvor Streit um die Instrumentalisierung der Ereignisse durch die großen Parteien gegeben hat, belies man es bei der Eröffnung bei drei Schweigeminuten. Es gab keine Reden, nur Musik. Das Denkmal, entworfen und geplant von der Architektengruppe FAM, basiert auf einem Konzept, das einen Schweigeraum vorsieht und das in seinen ephemeren Bestandteilen der filmischen Ästhetik nahesteht. Der Entwurf setzt sich zusammen aus einer überirdischen Konstruktion, die auf einer Verkehrsinsel neben dem Bahnhof platziert ist, und einem unterirdischen Gedenkraum in der Bahnhofspassage. Die Verbindung zwischen beiden erfolgt über eine von oben belichtete Öffnung. Der überirdische Teile des Denkmals besteht aus einem 11 Meter hohen, gläsernen Zylinder in Form eines Ovals, der mit seiner Höhe auf das Datum 11. März anspielt. Der direkt unter diesem Zylinder platzierte 500 Quadratmeter große Gedenkraum ist kobaltblau gestrichen. Von ihm aus kann man in das gläserne Oval hinaufschauen. Dieses Oval hat eine innere Blase aus bedruckter ETFE Folie, die durch Überdruck in eine amorphe Form gebracht wird. Auf ihr finden sich in vielen Sprachen die Trauerbotschaften, die die Passanten in den Tagen nach dem Attentat teils auf die Mauern des Bahnhofs geschrieben, teils auf Zetteln hinterlassen haben.

Als die jungen Architekten vor zweieinhalb Jahren als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgingen, galt deren Wahl als gewagte Entscheidung. Die fünf Architekten, alle unter 30, hatten noch kein wichtiges Projekt realisiert. Der Büroname FAM, hinter dem sich der rätselhafte Begriff „faszinierender Wohlgeruch des Apfels“ verbirgt, kennzeichnete sie vor al­­lem als Szenemitglieder des Architektenportals „Freshmadrid“. „Unser Wettbewerbsbeitrag zielte auf die Darstellung einer Idee, baubar war er in dieser Form nicht“, sagt einer der Architekten, Pedro Colón, im Rückblick. Der preisgekrönte Entwurf zeigte im Straßenraum einen diffus zersprengten Lichtre­­gen. „Wir wollten ein Denkmal ohne Struktur, ohne tragen­de Stahlkonstruktion. Wir wollten nur die Addition von immaterieller Hülle, Licht und Botschaft.“

Licht aber braucht einen materiellen Träger, wenn es nicht nur nachts mittels Projektoren sichtbar gemacht wird, sondern auch im grellen Licht der Sonne bestehen soll. Als Material kamen schließlich nur Glaswände in Frage. In der zwei­jährigen Realisierungsphase besuchten die Architekten die verbliebenen Glasbläsereien am Rande Madrids. Sie brachten große mundgeblasene Vasen ins Büro, die aufeinandergestapelt aber keiner weiteren Belastung standhielten. In Tschechien fanden sie dann eine Fabrik, die in der Lage war, sehr dicke Glasblöcke herzustellen. Einen plötzlichen Temperatur­abfall, zum Beispiel wenn die Sonne die Blöcke aufgeheizt und sie dann durch plötzlichen Regen abgekühlt worden wären, hätte allerdings auch eine Wand aus solchen Brocken nicht verkraftet. Der Tragwerksplaner Mike Schlaich wurde bei der Suche nach einer „transparenten Konstruktion ohne Struktur“ beteiligt. Die Lösung fand sich schließlich in massiven Glasziegeln der Firma Schott aus Borosilicatglas, 30 Zentimeter lang, 8 Zentimeter dick und mit einer konkaven und einer konvexen Seite ausgestattet, so dass sie sich mit unterschiedlichen Radien ineinander schieben lassen.

Die Umsetzung ist gelungen. Der Glaszylinder, hinter dem die amorphe Folienhülle gerade noch sichtbar ist, macht vor allem bei Nacht jene Nahtstelle zwischen Realität und Simulation deutlich macht, in der sich das Material zugunsten einer semitransparenten Erscheinung ganz wegduckt. Sicher, dieser Glaszylinder lässt Lesarten der Trauer zu, die naive Lesart einer visuellen Beliebigkeit kann die irrisierende Zauberkugel nicht verleugnen. Im Zusammenspiel zwischen unten und oben ist das Monument trotzdem gelungen: Ohne einen Hinweis auf ihre Funktion tauchen die Vitrinen des blauen Raums in der Bahnhofspassage auf, kenntlich nur durch die Schlange der Leute, die vor den gewellten Plexiglasscheiben anstehen. Die Wartenden werden zunächst in eine Vorhalle eingelassen, vor eine Wand mit den Namen der Toten. Eine weitere Tür öffnet das dunkelblaue Souterrain um den beschriebenen Zylinder. Dieser kryptaartige Raum lässt jedem Besucher Zeit für das Lesen der Satzfragmente, er ermöglicht fragendes Schweigen und ein eigens für diesen Ort geschaffenes Ritual, das den irrisierenden Charakter an der Oberfläche konterkarriert.

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