Bauwerk

Volksschulerweiterung Amras
riccione architekten - Innsbruck (A) - 2007

Beton? Beton!

Ein Volksschulanbau im Tiroler Amras. In Form eines Würfels, mit einer Fassade aus Beton. Sichtbarem Beton! Moderne Architektur halt. Honoratioren protestieren, Lehrer und Schüler sind begeistert.

23. Dezember 2007 - Liesbeth Waechter-Böhm
Mitte der Sechzigerjahre, als Thomas Bernhards Text „Amras“ erschien, dürfte es dort noch anders ausgesehen haben. Denn Amras war einmal ein Dorf. Heute ist es „eingemeindet“ und gehört zur Peripherie von Innsbruck, die Autobahn liegt in Sicht- und Hörweite – es heißt, sie soll eingehaust werden. Trotzdem, Rudimente einer dörflichen Struktur sind noch vorhanden. Mit einem schönen Kirchlein, aber komischerweise ohne Dorfplatz. Der Schock tritt ein, wenn man die Restbestände dieser einstigen ländlichen Idylle auf der Hauptstraße umrundet: Ein monströses Einkaufszentrum reiht sich an das andere. Das ist schlimmste großstädtische Peripherie in Reinkultur.

Angeblich wurden die Amraser dadurch reich. Sie haben ihre Gründe um teures Geld verkauft oder verpachtet. Der Gewinn sei ihnen gegönnt, die Folgen sind fürchterlich. Es ist aber nicht erst heute illusorisch, sich gegen solche Entwicklungen querzulegen. Sie bilden nur ab, was auch in größeren Zusammenhängen Tatsache ist.

Nun ging es abseits davon, eigentlich im Dorfkern, um eine Volksschulerweiterung. Daran ist zunächst einmal interessant, dass es eine „integrierte Volksschule“ ist, in der sowohl geistig als auch körperlich Behinderte zusammen mit Gesunden unterrichtet werden. Das geschah bisher in einer Schule aus den Sechzigerjahren. Aber im Gegensatz zu anderen Volksschulen, die eher zurückgebaut werden, benötigte man für diese hier eine Erweiterung. Dabei ging es nicht ohne Diskussionen zu. In der Wettbewerbsphase wurden verschiedene Lösungen angedacht, wobei die sogenannte „Amtsplanung“ – im engen Sinn hat es so etwas natürlich nie gegeben, es wurde nur ein Vorschlag formuliert – einen Bau auf dem leeren Platz neben dem Bestand vorsah, während die Mehrzahl der Architekten beim Hearing eher in Richtung Aufstockung des Bestandes tendierte.

Riccione Architekten, das sind Mario Ramoni, Clemens Bortolotti und Tilwin Cede, die sich auch schon bei der Musikschule in Kufstein profiliert haben, konnten das Verfahren schließlich klar für sich entscheiden. Sie waren die Einzigen, die nach wie vor für einen Anbau eingetreten sind. Wenn man sich die Situation jetzt anschaut, fällt es schwer nachvollziehen, wie eine Aufstockung überhaupt ernsthaft in Erwägung gezogen werden konnte. Das unmittelbare Umfeld hat nach wie vor einen etwas dörflichen Charakter, aus der Schule wäre also ein völlig unmaßstäblich hohes Haus geworden, das noch dazu die nahe Kirche konkurrenziert hätte. Vom städtebaulichen Maßstab her erscheint die gewählte Lösung als die einzig angemessene.

Riccione Architekten haben im Grund einen kleinen Würfel gebaut. Er steht neben dem Bestand, deckt die Rückseite der angrenzenden Bebauung ab (es sind wirklich nur Rückseiten), und er definiert eine Platzsituation, also genau das, was in Amras fehlte. Dieser Platz ist einfach eine leere Fläche, die man auf dem Weg zum alten, durch Riccione Architekten etwas modifizierten Schuleingang überquert. Einen etwas edleren Belag hätte er zwar durchaus vertragen. Das wollte man sich aber offenbar nicht leisten. Immerhin: Ihren Weihnachtsmarkt oder Ähnliches können die Amraser hier auf jeden Fall abhalten.

Das Problem war: Der Würfel ist halt zeitgenössische Architektur, er besteht weitgehend aus Beton. Und der hatte im Rohbau noch dazu riesige Löcher, die erst später mit Holz und Glas gefüllt wurden. Als dann auch noch das Gerücht umging, dieser Beton würde womöglich sichtbar bleiben, kam es zu Gegenreaktionen. Es wurde verlangt, den Beton zumindest anzustreichen; der Pfarrer predigte von der Kanzel dagegen. Inzwischen scheinen sich die Wogen wieder zu glätten, in erster Linie, weil die Nutzer, die dort täglich arbeiten, ausgesprochen glücklich mit der architektonischen Lösung sind. Der Schuldirektor bekundet es mit Überzeugung, die Lehrerinnen – es ist übrigens eine Montessori-Schule – sind begeistert, die Kinder haben ihr Haus geradezu überschwänglich in Besitz genommen.

Ein Würfel. Er ist aus Sichtbeton, hat eine Schaufassade mit viel Lärchenholz, großzügige Fixverglasungen und Türen, die man öffnen kann, zur Lüftung. Diese Hauptfassade ist zum Platz und nach Norden orientiert, also von der Autobahn abgewandt, und besteht im Wesentlichen aus einer Pfosten-Riegel-Konstruktion, die mit Lärchenpaneelen beziehungsweise Glas geschlossen ist. Hierher sind die Klassen orientiert – sie haben also ständig das aufregende Panorama der Nordkette vor sich. Und wer den Weg von der Kirche her kommt, sieht schon von Weitem, was drinnen in der Schule passiert.

Die Gruppenräume sind nach Osten, zur kleinen Holzfassade orientiert, also auf den Weg von der Kirche her. Da tritt der Sichtbeton schon viel massiver in Erscheinung.

Die Südfassade ist ganz anders gelöst. Der Sichtbeton dominiert hier das Bild, aber unterbrochen durch großflächige Verglasungen aus Sonnenschutzglas im Aluminiumrahmen. Von außen kann man hinunterschauen, in einen zweigeschoßigen Raum im Untergeschoß, der offenbar intensiv genutzt wird. Er ist für jede Art Spiel bestens geeignet, für Veranstaltungen, aber auch – wie bei meinem Besuch – für kleine Feste.

Das Raumprogramm war relativ bescheiden: Drei Klassenräume, drei Gruppenräume, drei Garderoben, jeweils auf einer Ebene organisiert – also Erdgeschoß und zwei Obergeschoße –, unten der abgesenkte Mehrzwecksaal und eine gläsern abgetrennte Bibliothek. Die innere Organisation ist also sehr einfach, der Innenausbau hat aber seine edlen Komponenten. Denn dadurch dass bei einem Sichtbetonbau die Wärmedämmung logischerweise innen liegen muss, konnte man innen „verkleiden“ – mit Lärchenholz, das hier in einer überraschend guten Qualität verarbeitet wurde.

Kleinigkeiten fallen auf: etwa raumhoch verglaste, erkerartige Elemente in den Gruppenräumen, die nach Osten schauen. Da hat es geheißen, die Kinder würden sich fürchten. Jetzt liegen Kissen dort, und sie scheinen gerne genutzt. Die Wände zur inneren Erschließung haben ein Glasband – so gehen die wunderschönen Holzdecken ohne Unterbrechung durch. Insgesamt erscheint die räumliche Lösung sehr großzügig.

Das Haus ist im Westen durch eine verglaste Schleuse an den Altbau angekoppelt. Der alte Schuleingang wurde beibehalten. Auf dem Weg zum Neubau wird einem dann bewusst, wie sehr der Zahn der Zeit inzwischen am Bestand genagt hat. Privilegiert sind eindeutig die, die im Neubau untergebracht sind. Daran wird man in nächster Zukunft wohl auch etwas ändern müssen.

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