Bauwerk

Swiss Re Tower
Foster and Partners - London (GB) - 2004
Swiss Re Tower, Foto: Hans Ege
Swiss Re Tower, Foto: Hans Ege
Swiss Re Tower, Foto: Hans Ege

Geometrisch gezähmte Naturform

Norman Fosters Swiss Re Tower verändert London

Mit dem 180 Meter hohen, formal zwischen Tannzapfen und Ananas oszillierenden Swiss Re Tower in London ist es Norman Foster gelungen, die modische Blob-Architektur geometrisch zu zähmen. Städtebaulich von Bedeutung ist zudem, dass der perfekt proportionierte Wolkenkratzer harmonisierend auf die Skyline der City einwirkt.

7. Mai 2004 - Roman Hollenstein
Er ist nicht der höchste, aber zweifellos der einprägsamste und schönste Wolkenkratzer Londons. Mit Norman Fosters elegantem Swiss Re Tower, in welchem strenge Geometrie und organische Naturform zusammenfinden, wandelt sich die Skyline der City of London, die bis anhin kaum zu begeistern vermochte, in eine ausgewogene Komposition. Gleichzeitig beweist der 180 Meter hohe Londoner Verwaltungssitz des Schweizer Rückversicherers, dass das Büro Foster, welches mit Ikonen wie dem High-Tech-Turm der Hongkong and Shanghai Bank in der ehemaligen Kronkolonie berühmt wurde, auch noch heute mehr als banale Investorenarchitektur in der Art seines HSBC-Tower in den Docklands zu schaffen weiss. Die noble Adresse 30 St. Mary Axe, an welcher einst der im April 1992 durch ein IRA-Attentat schwer beschädigte Baltic Exchange stand, hatte Foster schon gereizt, bevor die Swiss Re sich um eine Baubewilligung bewarb. Nach seinen Visionen hätte hier der höchste Himmelsstürmer der Themsestadt entstehen sollen: der 386 Meter hohe, durch einen Abschluss in Form eines Kamelhöckers geprägte Millennium Tower. Dieser überdimensionierte, formal wenig überzeugende Bau hätte wohl das Erscheinungsbild der City völlig aus dem Gleichgewicht gebracht.

Erotische Essiggurke

Es war ein Glücksfall, dass dann die Swiss Re 1997 von Foster statt des megalomanen Millennium Tower den Entwurf eines Gebäudes erbat, das auch von den nicht gerade hochhausfreundlichen Londonern akzeptiert werden konnte. Foster liess von seinen Utopien ab und stellte sich den neuen Gegebenheiten. Diese verlangten von ihm die Implantation eines immerhin noch 40- geschossigen und rund 40 000 Quadratmeter Bürofläche bietenden Turms in der beengten City, welcher der Firmenphilosophie des Schweizer Unternehmens zufolge den aktuellsten ökologischen Standards genügen musste. Dabei konnte Foster auf den Erfahrungen aufbauen, die er mit dem von mehreren Sky-Gärten gegliederten Commerzbank-Hochhaus in Frankfurt gemacht hatte.

Aspekte wie breite formale Akzeptanz und Umweltverträglichkeit lenkten Fosters planerische Recherche zunächst auf die Aussenform: Ein die Gesamtfläche des einstigen Baltic Exchange ausfüllender Wolkenkratzer wäre als grober Klotz auf wenig Gegenliebe gestossen; ein runder Turm hätte zwar Freiraum für eine Plaza geschaffen und zudem kleinere Windlasten am Schaft bedeutet, doch wäre er wohl zum einfallslosen Glaszylinder oder aber zur Betonzigarre im Stil von Jean Nouvels Torre Agbar in Barcelona verkommen. Foster suchte deshalb in der Vergangenheit und Gegenwart nach Anregungen, verlangte doch dieser Ort in unmittelbarer Nachbarschaft zu Richard Rogers' 1986 vollendetem High-Tech-Wunder des Lloyds Building und zu Richard Seiferts kantigem Tower 42 (der seit der Eröffnung im Jahre 1980 mit seinen 183 Höhenmetern die City dominiert) nach einem Meisterwerk. - Beim Entscheid für die an einen Tannzapfen oder an eine Ananas erinnernde Gebäudeform, die über rundem Grundriss zur Schaftmitte hin an-, danach in Richtung Kuppe wieder abschwillt und auf der Hälfte des Grundstückes Raum freigibt für einen in der City äusserst raren Platz, orientierte sich Foster wohl an Christopher Wrens nie realisiertem Laternenaufsatz der benachbarten St. Paul's Cathedral. Noch offensichtlicher aber ist die Verwandtschaft mit dem 1996 vom Londoner Trendbüro Future Systems geplanten phallischen «Green Bird», der sich in Chelsea als von einer rautenförmigen Netzfassade mit Spiralaufsätzen umhüllter Wolkenkratzer 450 Meter über die Themse hätte erheben sollen. Fosters Verdienst ist es, die allzu vordergründig organische Form des «Green Bird» in dem bald schon «Erotic Gherkin» genannten Swiss Re Tower geometrisch gezähmt sowie ökologisch, aber auch konstruktiv verbessert zu haben. So ist dieser nun mit einem tragenden Fassadenskelett versehen, für das Foster und die ihm zur Seite stehenden Ingenieure von Ove Arup sich durch die auf Dreiecken und Rauten basierenden räumlichen Tragwerke von Buckminster Fuller inspirieren liessen.

Diese mit Hilfe des Computers leicht zu berechnende stählerne Wabenstruktur erlaubte eine vergleichsweise einfache Realisierung der komplexen, doppelt gekurvten Geometrie des Swiss Re Tower. In der so entstandenen modischen, aber im Windkanal aerodynamisch gestrafften Blob-Form finden das Klassische und das Barocke, das Minimalistische und das Organische zusammen. Auch wenn die Verbindung des Tragwerks mit der Plaza in Form einer umgekehrten Zackenkrone, die eine öffentliche Arkade bildet, nicht wirklich gelöst ist, vermag der Swiss Re Tower als perfekt proportioniertes Hochhaus zu überzeugen. Deshalb kann das von Foster als «technologisch, architektonisch, ökologisch, sozial und räumlich radikal» bezeichnete Gebäude harmonisierend auf die Komplexität der City einwirken und deren Skyline nachhaltig aufwerten.

Städtebauliche Erneuerung

Damit entspricht der Swiss Re Tower ganz den Anforderungen des «London Plan», welcher im Auftrag des für seine Hochhausbegeisterung bekannten Bürgermeisters Ken Livingstone erstellt wurde. Der Plan hält fest, dass die für die Konkurrenzfähigkeit einer globalen Metropole an gewissen Orten nötige städtebauliche Verdichtung unweigerlich zu sehr hohen Häusern führen wird. Deshalb verlangt er für neu zu bewilligende Hochhäuser neben architektonischer Spitzenqualität und Umweltverträglichkeit auch eine sorgsame Integration in die Londoner Skyline, damit die über Generationen gewachsene Stadtlandschaft nicht weiter leidet. Auch wenn es beim Swiss Re Tower wie bei allen Wolkenkratzern um «Macht, Prestige, Status und Ästhetik» geht - wie Anfang 2002 eine «Tall Buildings» betreffende Stellungnahme der Regierung ganz allgemein festhielt -, so erfüllt er doch viele Anforderungen eines zukunftsweisenden Hochhauses und trägt mit seiner Verdichtung in einem durch den öffentlichen Verkehr bestens erschlossenen Gebiet und mit der Schaffung öffentlicher Freiflächen zu der im Regierungsmemorandum geforderten «effizienten Entwicklung» bei.

Ökologisches Hochhaus

Beim Gang durch das Strassengewirr der City verliert man den Swiss Re Tower, der - von der Themse aus gesehen - dank seiner ungewohnten Form allgegenwärtig scheint, schnell aus den Augen. Doch plötzlich schiesst er, gerahmt vom expressiven High-Tech des Lloyds Building, wie eine Rakete in den Himmel. Steht man dann auf der Plaza, so ist die Masse des Gebäudes kaum noch fassbar, da aus der Untersicht betrachtet die geblähte Form des Turms den oberen Teil wegblendet. Trotz diesem angenehmen Effekt mag man kaum glauben, dass es sich bei diesem imposanten Himmelsstürmer um ein «grünes Hochhaus» handelt, und zwar um das erste in London. Gleichwohl können Architekt und Bauherrschaft neben der begrünten Plaza und der Tiefgarage, in der ausser einer beschränkten Zahl von Autoparkplätzen Hunderte von Velo-Einstellplätzen samt Umkleide- und Duschanlagen geschaffen wurden, eine Vielzahl ökologischer Errungenschaften auflisten, die der Stadt zugute kommen und gleichzeitig ein angenehmes Arbeitsklima schaffen.

Zwar ist die Lobby, wohl wegen schweizerisch- britischer Zurückhaltung, etwas gar nüchtern geraten. Doch die hellen, weiten Bürogeschosse gewähren freie Ausblicke über die Stadt. Die mehrschichtige Glasfassade, die individuell verschattet werden kann und dank schuppenartigen Klappfenstern eine natürlich Belüftung erlaubt, reduziert den Energiebedarf für Heizung und Kühlung gegenüber herkömmlichen Glashäusern um gut die Hälfte. Die sich ringförmig um den zentralen Erschliessungskern ausbreitenden Bürogeschosse werden ideal belichtet, weil die wabenförmige Tragkonstruktion an der Fassade nicht nur pfeilerfreie Arbeitsflächen möglich machte, sondern auch die Wegnahme von sechs dreieckigen Spickeln auf jeder Etage und dadurch die Schaffung von jeweils sechs angenehm dimensionierten Büroplattformen erlaubte. Die spickelförmigen Einschnitte werden zu Lichtschneisen, die sich durch eine leichte Drehung der Plattformen spiralförmig nach oben bewegen und dem Turm dank dem Wechsel von klaren und blau getönten Glasflächen eine dynamische, fast tänzerische Erscheinung verleihen. Die Kuppel, in der sich das höchstgelegene private Aussichtsrestaurant der Stadt befindet, überstrahlt nachts nach dem Konzept der Londoner Lichtarchitekten Speirs und Major die City wie ein Leuchtturm.

Als weithin sichtbares Zeichen zeugt der Swiss Re Tower gleichermassen von den ökologischen Ambitionen und der noch immer existierenden Innovationslust schweizerischer Unternehmen. Sollte der architektonische Erfolg der Swiss Re, welche sich spätestens seit ihrem von Meili & Peter neu gestalteten Prachtsitz in der Zürcher Seegemeinde Rüschlikon für wegweisende Baukunst einsetzt, nun auch hierzulande Firmen anspornen, ihre Corporate Identity mit qualitätsvollen Neubauten zu festigen, könnte davon die Allgemeinheit nur profitieren. Ungewiss ist jedoch, ob der harmonisierende Einfluss des Swiss Re Tower auf die Londoner Skyline von Dauer sein wird, weil in der City trotz Terrorangst allenthalben neue und vor allem höhere Bauten entstehen: etwa das Heron Building der New Yorker Kommerzarchitekten Kohn Pedersen Fox, das 183 (und mit der Antenne über 200) Meter hoch in den Himmel wachsen wird, und mehr noch die 217 Meter hohe Stele des Minerva Building von Nicholas Grimshaw, die stadträumlich höchst ungünstig den östlichen Rand der City akzentuieren soll. Diese Konfektionsware wird wohl gegenüber der Haute Couture des Swiss Re Tower blass aussehen. Mit ihm wird sich höchstens die «Glasscherbe» von Renzo Pianos unlängst bewilligtem London Bridge Tower messen können. Der unweit der Tate Modern in Southwark geplanten, spitz zulaufenden Pyramide von über 300 Metern Höhe dürfte es aber kaum gelingen, den Swiss Re Tower formal und ökologisch zu übertrumpfen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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