Bauwerk

Lehmhaus Rauch
Boltshauser Architekten, Martin Rauch - Schlins (A) - 2008

Aus der Erde geformt

Der Vorarlberger Lehmbauer Martin Rauch und der Schweizer Architekt Roger Boltshauser realisierten in Schlins ein ökologisches Musterhaus. Das Stampflehmhaus lotet die Grenzen des Machbaren aus.

28. März 2009 - Martina Pfeifer Steiner
Sonnenhang in Schlins, Vorarlberg. Idylle pur. Da, wo alle acht Rauch-Geschwister ein Fleckchen Erde zum Bauen erbten, wollte sich Martin Rauch ein Musterhaus zu seinem Werken und Wirken schaffen. Schon zu Studienzeiten an der Angewandten in Wien irritierte Rauch mit seiner Diplomarbeit der anderen Art. Statt des geforderten Kaffee- oder Teeservices aus Ton hatte er damals eine zehn Quadratmeter große Lehmwand präsentiert.

Auch die Studienkollegin und spätere Frau Marta Debevec widersetzte sich den Vorgaben der Professoren und stellte ein begehbares Labyrinth aus Keramik auf. Da hatten sich zwei exotische Keramikkünstler gefunden. Der Protest war Startschuss für ihr Lebensprojekt, das nicht nur zwei Kinder hervorbrachte, sondern auch das selbst geplante und gebaute Stampflehmhaus, in dem sie heute wohnen.

„Die Bauzeit war am schönsten“, sagen die beiden, „der Prozess, wie das Haus einzig und allein mit Handarbeit förmlich aus der Erde herausgedrückt wurde, war faszinierend.“ Dass mit Lehm gebaut werden sollte, war von Anfang an klar. „Es ist ein Material, dessen Energieausstrahlung positiv besetzt ist. Lehm tut dem Menschen und der Umwelt gut, er hat eine klare Biografie.“

Verwendet wurde, was das Grundstück zu bieten hatte. Mit unterschiedlichen Verarbeitungsmethoden wurde alles Mögliche getan, um die nötige Tragfähigkeit und Beständigkeit zu erreichen. Die Erde wurde gesiebt, das Feine zu Boden und Wänden, das Grobe zu Decken verarbeitet, gestampft, gepresst.

Die Materialwahrheit ist durch und durch gegeben: als Stampflehm bei Wänden und Fußböden, als Innenputz sowie als Spachtelung und optischer Abschluss. Die größte Tugend des Lehms ist die Wasserlöslichkeit. Durch die hundertprozentige Recyclebarkeit mittels Wasser ist Lehm zwar lückenlos demontierbar, das heißt aber nicht, dass sich das Haus beim ersten Regenguss auflöst. Überstände aus gebrannten Lehmziegelreihen sorgen dafür, dass sich die Fassade nicht auswäscht.

Gleichzeitig hat Lehm vorbildliche Eigenschaften, was die Feuchtigkeitsregulation betrifft. Im Gegensatz zu seinem vorauseilenden, missverständlichen Ruf, saugt sich das Baumaterial nämlich nicht voll, sondern quillt auf und verhindert damit, dass die Feuchtigkeit in die Tiefe gelangt.

Sakrale Lichtführung

Das Innenleben des Gebäudes erschließt sich in einer Sequenz von individuell nutzbaren Räumen in vollendeter Ausgewogenheit von Proportionen und Öffnungen. Besonders eindrucksvoll ist das Stiegenhaus. Der sakrale dreigeschoßige Raum, in dessen Rundungen die gebrannten Treppenstufen stecken, ist von einer Kuppel gedeckt. Im Lehm eingeschlossene Glaszylinder leiten das Licht bis ganz nach unten.

Ihr eigenes Know-how konnte Marta Rauch bei der Entwicklung der Fliesen einbringen. Die Baufrau war mit den ursprünglichen Glasurtechniken vertraut. In diesem Bauprojekt konnte sie experimentieren und ihre Sache weiterentwickeln. Die grünlich-schwarzen Raku-Bodenfliesen im Eingangsbereich und im Badezimmer sind im Endeffekt die einzige Farbe im ganzen Haus.

Lehm als handwerkliches Element, Ton als gestalterische Komponente und Erde als ökologisch-politisches Thema werden Marta und Martin Rauch auch weiterhin beschäftigen. Ihr Haus zeigt als Statement auf, wie die rohe Kraft und Massivität der Erde mittels ausgereifter Kultivierung zu einem Bauwerk verdichtet wird, das eines Tages vollständig in sein Ursprungsmaterial zurückkehren könnte.

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