Bauwerk

Kulturzentrum „Docks de Paris“
Jakob MacFarlane - Paris (F) - 2007

Schlangenhaut und zuckender Schleim

Die Cité de la Mode et du Design in Paris ist zwar schon längst fertig. Dennoch ist ein Großteil des Gebäudes nach wie vor ungenutzt. Dem sozialen Erfolg tut dies keinen Abbruch.

17. Oktober 2009 - Wojciech Czaja
Le Corbusier würde der Schlag treffen. Liebend gerne soll er damals hierher gekommen sein, um den Schiffen beim Ein- und Ausladen der Handelswaren zuzusehen. Mehr noch als das Konzert der Kräne faszinierte den Pariser Architekten die Betonkonstruktion der alten Docks. Das kann man gut verstehen. Schließlich handelt es sich bei den Magasins Généraux, 1907 von Georges Morin-Goustiaux erbaut, um das erste Stahlbetongebäude Frankreichs.

Und heute? Limonengrüner Schleim, wohin das Auge reicht. Als käme er frisch aus dem Reaktor, rinnt der zähflüssige Rotz langsam nach unten und frisst sich dabei Stück für Stück durchs 170 Meter lange Betonskelett der nunmehr fertiggestellten Cité de la Mode et du Design. Nicht jeden überzeugt die zeitgenössische Genesis. Der französische Staatspräsident etwa zeigt sich ob der organischen Architektur ein wenig angewidert. Seit Beginn der Sanierung vor zwei Jahren spricht Sarkozy mit tief hinuntergezogenen Mundwinkeln nur noch vom „truc vert“, vom grünen Zeug an der Seine.

Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Fall für die Ghostbusters, ist in Wirklichkeit Teil eines umfangreichen und ambitionierten Stadtentwicklungs- und Revitalisierungsprojekts aus der Ära François Mitterrand, als zeitgenössische Architektur von oberster Stelle noch geschätzt, ja geradezu eingefordert wurde.

Auf einer Länge von drei Kilometern und einer Fläche von 130 Hektar wird das linke Seine-Ufer, besser bekannt als „Paris Rive Gauche“, nach einem Masterplan von Christian de Portzamparc peu à peu zu neuem Leben erweckt. Viel hat sich getan. Der Umbau der Docks zu einem Mode- und Designzentrum, Ergebnis eines internationalen Wettbewerbs im Jahr 2004, ist der jüngste Wurf des bis 2015 anberaumten Bauprogramms.

„Es stand uns völlig frei, ob wir den Altbau beibehalten oder nicht“, sagt Brendan MacFarlane vom Pariser Büro Jakob & MacFarlane. „Ein Abbruch kam für uns allerdings nicht infrage.“ Jedem einzelnen Pariser, meint der Architekt, seien die Docks von Rive Gauche ein Begriff. „Die Jungen erinnern sich an den Hawaii-Nachtclub, der hier mal war, die Älteren an die ausrangierten Hallen, in denen sie zwanzig Jahre lang billige, aber ganz passable Ramschteppiche eingekauft haben. Die ganz Alten haben, wenn sie an damals denken, wahrscheinlich noch Kräne und Kisten im Kopf.“

Und so machten sich Jakob & MacFarlane an die Arbeit, enthäuteten das Ding bis auf die betonierten Knochen und besserten aus, was auszubessern war. „Es wäre Irrsinn gewesen, eine großteils intakte Betonkonstruktion abzureißen, nur um an derselben Stelle wieder etwas Neues hinzustellen. Ein Minimum an ökologischem Anstand sollten wir alle haben.“ In die nackte Struktur wurden anschließend Fassadenelemente, Trennwände, Sanitärkerne und Erschließungseinheiten hineingestellt. Unauffällig und unaufregend. Ganz so, als füllte man ein Billy-Regal mit Büchern und Krimskrams aus aller Welt. Mit 20.000 Quadratmetern Nutzfläche ist lediglich die Größenordnung eine andere.

„Von ausgetüftelten Hightech-Details halten wir nicht viel, wir glauben an das Einfache in der Architektur“, sagt Brendan MacFarlane und breitet dabei die Arme aus, als wollte er das Gebäude an seinen beiden Enden umfassen. „Gerade bei einem Bauwerk dieser Größe ist es wichtig, sehr unkompliziert zu denken. Alles andere ist in unseren Augen eine Verschwendung von Ressourcen.“

Plug-over aus Stahl und Glas

Und dann das grüne Zeug, das schleimig aus der Ferne, schlangenhäutig aus der näheren Distanz erscheint. Frech und unverfroren wurde der gelbgrün lackierte Stahlaufbau über die von Le Corbusier heiß geliebten Docks gestülpt. Mit dem alten Unten hat das neue Oben bis auf das konstruktiv bedingte Achsmaß von zweieinhalb Metern wenig zu tun. Die Architekten nennen diese Methode Plug-over. Allem Anschein zum Trotz ist auch hier die Bauweise simpel und konsequent. Stahlrohr hier, Stahlrohr da, dazwischen die stolze Zahl von 644 grün bedruckten Gläsern in unterschiedlichen Formaten. Das war's.

Die Baustelle ist weitestgehend abgeschlossen. Vor einigen Monaten bezog das Institut Français de la Mode (IFM), die renommierte Pariser Modeschule, die neuen Räumlichkeiten mitsamt Klassen, Hörsaal und Mediathek. Die restlichen 17.000 Quadratmeter Nutzfläche - und das ist der Wermutstropfen am ganzen Projekt - sind entweder noch im Ausbau begriffen oder werden gerade verhandelt. Ersteres zögerlich, Letzteres nicht enden wollend.

Obwohl die Regierung die Baukosten von rund 40 Millionen Euro zur Gänze beisteuerte, können sich Grundstückseigentümer Port Autonome de Paris (PAP), Projektentwicklerin und Liegenschaftsverwalterin Icade G3A, Pächterin Caisse des Dépôts et Consignations (CDC) und ein gutes Dutzend von potenziellen Mietern bis zum heutigen Tag auf kein vernünftiges Rechenmodell einigen, das für alle interessant ist. Mit einem Wort: Das Projekt steckt fest.

Bis auf die Modeschule ist die Cité de la Mode et du Design eine Geisterburg, in der nicht nur zeitgenössischer apfelgrüner Rotz vom Himmel tropft, sondern in der es auch mächtig spukt. Gähnende Leere. Nach Auskunft der Caisse des Dépôts soll das Designzentrum mitsamt Ausstellungshalle nächsten Monat, spätestens jedoch im Dezember eröffnet werden. Die Architekten sprechen indes von Frühjahr 2010. Auch vom Apple-Store und vom Restaurant Lina's fehlt noch jede Spur. Ganz zu schweigen von den vielen Shops. Hier verweist Aude Dulac, Pressesprecherin von Icade G3A, auf kommenden April. Frühestens.

Schon jetzt ein sozialer Erfolg

Trotz abgesperrter Zäune wird das vorerst nur partiell genutzte Mode- und Designzentrum bereits als Sehenswürdigkeit wahrgenommen. „Das Gebäude gehört der Stadt, und zwar nicht nur juristisch, sondern auch sozial“, sagt Architekt Brendan MacFarlane. „Noch bevor der wirtschaftliche Erfolg überhaupt garantiert ist, zeichnet sich ab, dass das Bauwerk in den Köpfen der Bevölkerung längst verankert ist. Das ist mehr, als man sich als Architekt wünschen kann.“

Gespannt wartet MacFarlane auf die Eröffnung der restlichen Flächen und der überaus sehenswerten Dachlandschaft. In den grün beleuchteten Bäuchen an der Seite werden öffentliche Stiegen die Flaneure nach oben geleiten. Dort erwarten einen Holzboden und Grasstreifen, schattenspendende Baldachine aus Stahl und Schleim sowie eine atemberaubende Sicht auf die Seine. Spätestens dann werden sich Le Corbusier und die streitenden Parteien von ihren Strapazen erholt haben.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur