Bauwerk

Museum für Naturkunde
Diener & Diener Architekten - Berlin (D) - 2010
Museum für Naturkunde, Pressebild: Christian Richters
Museum für Naturkunde, Pressebild: Christian Richters

Ursuppenküche

Berlin verdankt Diener & Diener einen aufregenden Museumsraum und eine Geisterfassade.

8. November 2010 - Axel Simon
Wissenschaftler und Aussteller sind zwei verschiedene Spezies. Die einen forschen im stillen Kämmerlein, die anderen wollen diese Forschung unter die Leute bringen. An der Berliner Humboldt- Universität kam es 1869 zum Eklat, als ein präpariertes Walross den Studenten den Zugang zur Aula versperrte. Die üppige naturwissenschaftliche Sammlung der Universität drohte das Hauptgebäude Unter den Linden zu sprengen. Als man dieser Sammlung schliesslich ein eigenes Haus zugestand, träumte der Museumsdirektor von einer Einheit des Forschens und Ausstellens. Er liess den Architekten zwei opulente Treppenhäuser planen, die sämtliche Teile der Sammlung zugänglich machen sollten. Doch als die Tore des Hauses 1889 öffneten, war der Direktor tot, und sein Nachfolger hatte einen anderen Traum. Er liess den Zugang zu den oberen Etagen sperren und im Erdgeschoss eine reine Schausammlung einrichten. Das ist in den Naturkundemuseen der Welt üblich und bis heute so: Die Forscher arbeiten in ihrem Elfenbeinturm, die Besucher stehen zu Füssen der Prachtstufen vor roten Kordeln.

Grandezza und Zerstörung

Nicht, dass die Berliner Säle im Erdgeschoss weniger prächtig wären. Die fast sechs Meter hohen Schausäle zeigen feinsinnig und farbig die Bewunderung ihres Architekten August Tiede für Karl Friedrich Schinkel. Besonders der zentrale Lichthof, den man gleich nach dem Eingangsfoyer betritt, bringt einen ins Staunen, auch weil sich hier der Hals des weltweit grössten Dinosaurierskeletts bis zum Glasdach reckt. Der etwas schematische Flügelbau gruppiert sich, neben dem Sauriersaal, um weitere Lichthöfe und erinnert mit gusseisernen Säulen, Geländern und Lüftungsgittern an die vorangegangene Nutzung des Areals durch die Königliche Eisengiesserei. Da die Sammlung rasant wuchs, vor allem durch das «Ausräumen» der deutschen Kolonien, erweiterte der Architekt schon während des Ersten Weltkriegs sein Gebäude pragmatisch auf dem hinteren Restgrundstück. In den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs traf dann eine Bombe den Ostflügel, bis vor wenigen Jahren noch die «letzte Kriegsruine Berlins». Der weiterhin benutzte Rest des Museums litt am mangelnden Unterhalt während der DDR-Zeit. Bei der Neuordnung des Hauses scheinen Wissenschaftler und Aussteller nun endlich an einem Strang zu ziehen. Den Wettbewerb zur Komplettsanierung gewannen Diener & Diener 1995 mit dem Ziel, auch die oberen Etagen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bis 2007 reparierten die Basler Architekten fünf Säle im Erdgeschoss, ergänzten kaputte Fliesen und Farbflächen, ertüchtigten Bauteile, darunter die alten Fenster, die sie an heutige Sicherheitsauflagen anpassten. Die neue Technik blieb dabei beinahe unsichtbar.

Grossvitrine für Präparate

Die Architekten gingen aber noch weiter. Schon im Wettbewerb schlugen sie vor, im wiederaufgebauten Ostflügel einen der grössten Schätze der Sammlung zu präsentieren: die «Nasspräparate», rund 276 000 mit Alkohol gefüllte Gläser, in denen Fische, Reptilien oder Säugetiere unbeschadet die Zeit überstehen, zum Teil vor mehr als 200 Jahren von Humboldt selbst nach Berlin gebracht. Darunter finden sich viele «Typenexemplare», Tiere, die als Erste ihrer Art untersucht wurden und vielen internationalen Forschern noch immer als Vergleichsobjekte dienen. Roger Diener stiess mit seiner Idee einer saalgrossen Vitrine — wie sollte es anders sein — bei den Forschern zu Beginn auf Skepsis. Zu wertvoll der Schatz, zu kompliziert das Miteinander von musealer Einsehbarkeit, gesichertem Forscherzugriff und angemessener Lagerung, denn bei Temperaturen über 15 Grad verdunstet der Alkohol, legt die Präparate frei und droht sich zu entzünden. Schliesslich aber überzeugte die Idee und auch die Vorstellung, mit der Inszenierung der Präparate viel Volk anzulocken und ihm die wissenschaftliche Arbeit näher zu bringen.

Mehr Besucher

Der Neubau des Ostflügels bekam grünes Licht, und seine Eröffnung im September 2010 setzte den Schlussstein auf die erste Umbauetappe. Ein Teil der Nasssammlung ist nun im Erdgeschoss des Ostflügels zu bestaunen. Der Grossteil lagert in den Etagen darüber und ist weiterhin nicht öffentlich zugänglich. In den kommenden Jahren soll der Umbau weiterer Hauptsäle des Museums im Erdgeschoss und in den Obergeschossen folgen. Der neue Flügel wird wohl den Popularitätsschub weiter anfeuern, den die Eröffnung der aufgefrischten Säle vor drei Jahren auslöste. Allen voran die Neupräsentation des knochigen Brachiosaurus machte aus dem Museum den «grössten Kinderspielplatz Berlins», wie der Ausstellungsleiter sein Haus gerne nennt. Auf die neuen Displays hatten die Architekten keinen Einfluss. Die stammen vom spezialisierten Büro Art Com — mit Bertron & Schwarz — und setzen auf interaktive Technik und Einbauten, die sich für die architektonische Fassung nicht weiter interessieren. Auch Diener & Diener bewarben sich — gemeinsam mit dem Filmer Peter Greenaway — um die Ausstattung, scheiterten aber schon in der Präqualifi- kation am Einbezug des Künstlers. Anders beim Ostflügel.

Als Einheit von räumlicher Hülle und inszeniertem Inhalt entworfen fällt er nun spannungsvoll aus dem musealen Rahmen. Offenen Mundes umkreisen die Besucherinnen und Besucher den gläsernen Raum, auf dessen Regalen sich fast sechs Meter hoch die Exponate stapeln. Nach rein wissenschaftlichen Kriterien sortiert glotzen hier Fische auf das Publikum herab, liegen Schlangen in bernsteinfarbenen Flüssigkeiten aufgerollt. Die Säugetiere liess man im Depot, um den Kinderschrecken in Grenzen zu halten.

Leuchtstoffröhren im Inneren machen die Regale zum mystisch-strahlenden Schrein. Unbeschriftet zielen sie allein auf den visuellen Eindruck. Aus Sicherheitsgründen wird man allerdings keine Forscher mit den Schätzen hantieren sehen, der Zutritt ist ihnen nur ausserhalb der Öffnungszeiten gestattet.

Geflicktes Bombenloch

Weil die Exponate lichtempfindlich sind, hat der Raum keine Fenster. Flache Nischen in den mit dem kalten Rotpigment Caput mortuum gefärbten Wänden deuten die Lage der einstigen Fenster an. Zum westlichen Innenhof hin war die Fassade erhalten geblieben, zur anderen Seite hin gab es nur noch Mauerfragmente. Die flickten Diener & Diener nicht einfach, sondern ergänzten sie auf eine Art, die — besonders unter Architekten und Denkmalpflegern — für viel Aufmerksamkeit sorgt. Die erhalten gebliebenen Fensteröffnungen der gelben Ziegelfassade liessen sie zumauern, die Bombenlücke füllten sie mit Betonkopien erhalten gebliebener Fassadenteile. Wer nun durch den seitlichen Hof des Museums zu den hinteren Universitätsgebäuden geht, der erlebt ein irritierendes Schauspiel.

Jeder Ziegel, jede Fenstersprosse, jeder Pilasterkopf der zerstörten Fassade ist wiederauferstanden. Gespenstisch farblos, bleich wie die eingelegten Fische. Es ist, als stehe man vor einem jener Schwarz- Weiss-Fotos, mit denen man sich in Berlin so gern an die «gute alte Zeit» erinnert. Damals, als der Krieg noch nicht war und alle Häuser und auch das Schloss noch standen. Doch die Fassade ist aus kaltem Beton und wenig geeignet, nostalgische Seelen zu wärmen.

«Das Museum ist keine Rekonstruktion, aber es handelt von ihr.»
In München und Berlin stehen die grossen Vorbilder der von Diener & Diener wiederaufgebauten Museumsfassade. Roger Diener über Parallelen und Unterschiede.

Der Wiederaufbau eines kriegszerstörten Gebäudes ist eine aufgabe, die wir in der Schweiz nicht kennen. Sind Sie als aussenstehender unbefangener ans Werk gegangen? Mit unserer vor zehn Jahren fertiggestellten Schweizer Botschaft sind wir ja hier in Berlin mitten in die Diskussion über Rekonstruktion und Erhaltung hineingeraten. Spätestens seit dieser Zeit beschäftigen uns Fragen des Umgangs mit dem Baudenkmal, auch in der Schweiz und anderen Ländern. Als Mitglied des Berliner Landesdenkmalrates verfolgte ich später die grosse Rekonstruktionsdebatte. Die wird hier in Deutschland sehr emotional geführt.

Die ergänzte Fassade des Ostflügels hat etwas Geisterhaftes. Ist das Ihr Beitrag zu dieser Debatte? Die Verwendung von normalem Beton spielt eine wichtige Rolle. Es ist der Versuch eines ungeschönten Umgangs mit der Geschichte. So weit ist es an das grosse Beispiel von Hans Döllgast angelehnt, der Alten Pinakothek in München. Deren Wiederaufbau liesse sich allerdings jederzeit vollenden, die Fassade rekonstruieren. Der Berliner Ostflügel schliesst seine kommende Rekonstruktion aus. Ein weiterer Unterschied: Unsere Fassade ist ein Einzelfall, der nur bei der gegebenen Aufgabe Sinn macht. Döllgasts Vorgehen ist ein allgemeines Prinzip, das sich wiederholen lässt.

Und ist das Geisterhafte der Fassade ein Kommentar, beispielsweise zum geplanten Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses? Die in Beton gegossene Hülle mit dem Abguss der Holzfenster in Kunststein hat eine surrealistische Qualität, und von ihr geht tatsächlich eine besondere Wirkung aus. Es ist eine Fassade, aber es ist nicht die Fassade, die sie abbildet. Es ist keine Rekonstruktion der früheren Fassade, aber es handelt von ihr. Von einem Kommentar würde ich aber nicht sprechen. Mit dem leidigen Wiederaufbau des Stadtschlosses hat die Neufas- sung des Ostflügels nichts zu tun.

Obwohl unsere Hülle eine immer wieder geforderte Rekonstruktion ausschliesst, sind die Reaktionen andere als bei der Schweizer Botschaft. So empört sich ein Vertreter der sehr konservativen Berliner Denkmalfraktion bis heute über unsere Botschaftserweiterung, doch das hier sei ein guter Weg.

Das letztes Jahr wiederaufgebaute Neue Museum ist ein viel gepriesenes Paradebeispiel und hat das Denken beim Umgang mit Baudenkmälern in Berlin verändert. Spielte es beim Museum für Naturkunde eine Rolle? Es spielte insofern keine Rolle, als dass David Chipperfield und wir parallel entworfen haben. Die Projekte sind auch ganz verschieden angelegt. Für das Neue Museum hat Chipperfield alle Spuren sorgfältig gesichert und mit grosser ästhetischer Energie herausgearbeitet. Es ist die subtile Inszenierung eines ruinösen Gebäudebestands. Das ist sehr überzeugend vorgetragen und in einer engen Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege entstanden. Bei uns war das anders. Wir haben einen ganzen Flügel des Museums neu gebaut, und weil wir im diesem Neubau für die Nasssammlung die höchsten Anforderungen an Klima und Sicherheit erfüllt haben, konnten wir in den übrigen Sälen auf aufwendige Eingriffe verzichten. Es kann nicht nur eine Formel geben.

Die Präparatoren des Museums gehen ganz ähnlich vor wie ihr bei der Fassade: Sie ergänzen Fehlstellen, zum Beispiel von Saurierskeletten, sichtbar mit nachgeformten Gipsteilen. (lacht) Anscheinend ist es sogar die gleiche Firma, die die Silikonabgüsse gemacht hat. Ich wusste das nicht. Aber ich finde es schön.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

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