Bauwerk

EYE Film Instituut Nederland
DMAA - Amsterdam (NL) - 2011
EYE Film Instituut Nederland, Pressebild: Iwan Baan
EYE Film Instituut Nederland, Pressebild: Iwan Baan

Cineplex für Cineasten

Was die einen liebevoll als „Auster“ und die anderen noch liebevoller als „weißen Schwan“ bezeichnen, wurde von den Marketingleuten des Museums schlicht und nüchtern EYE genannt.

24. März 2012 - Wojciech Czaja
Szene eins. Hauptbahnhof Amsterdam, typische Feierabendhektik, am Ufer des Ij zischen Radfahrer und Bromfietser durchs Bild. Blick auf die Fähre. Die letzten Passagiere gelangen aufs Deck, die Rampe wird hochgeklappt, mit einem Ruck setzt sich das Schiff in Bewegung. Schwenk auf den leerstehenden Overhoeks Tower, besser bekannt als Shell-Hochhaus, die gesamte Fassade ist mit einem Werbebanner verhangen. Eine Möwe fliegt durchs Bild. Links davon taucht ein kantiges, weißes, hell beleuchtetes Ding auf. Abstrakte Erscheinung, dynamische Form, das Motiv macht neugierig. Und Schnitt.

Vorspann. EYE. Das neue Filmmuseum in Amsterdam. Ein Projekt des Wiener Büros Delugan Meissl Associated Architects (DMAA). „Die Erscheinung dieses Gebäudes fasziniert mich jedes Mal wieder“, sagt Architekt Roman Delugan, blickt genießerisch um sich, kommt aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. „Es ist wie im Film. Es geht um bewegte Bilder. Doch in diesem Fall ist die Kamera nicht statisch, sondern befindet sich mitten in unserem Kopf und ist permanent in Bewegung. Und mit jedem Meter, den man sich bewegt, verändert sich der Bau, wird mal kräftiger und mal schlanker, mal höher und mal geduckter, mal offener und mal geschlossener.“

Vorgestern, Donnerstag, fand die Pressekonferenz für niederländische und deutschsprachige Medienvertreter statt. Während auf der Bühne große, pathetische Worte gesprochen wurden, waren im Hintergrund Bohrmaschine und Hammer zu hören. Noch muss ordentlich Hand angelegt werden. Die Arena aus Eichenparkett wird geschliffen, die letzten Blechpaneele werden montiert, Filmprojektoren und Videobeamer müssen millimetergenau kalibriert werden. Am 4. April wird das Bauwerk (Gesamtinvestitionsvolumen 30 Millionen Euro) in Anwesenheit von Königin Beatrix feierlich eröffnet.

Was die einen liebevoll als „Auster“ und die anderen noch liebevoller als „weißen Schwan“ bezeichnen, wurde von den Marketingleuten des Museums schlicht und nüchtern EYE genannt. Das Auge. Tatsächlich sind mit dem Blick in die Zukunft viele Hoffnungen verbunden. Einerseits soll der nationalen und internationalen Filmgeschichte endlich jener Respekt gezollt werden, der ihr gebührt. Andererseits soll damit ein längst in Vergessenheit geratenes Stadtviertel zu neuem Leben erweckt werden.

Ende der verbotenen Stadt

Jahrzehntelang machte sich hier der Mineralölkonzern Royal Dutch Shell breit, forschte und laborierte auf einem riesigen Areal, das für die Öffentlichkeit nicht zugänglich war. Der charakteristische, 20-stöckige Overhoeks Tower war das einzig sichtbare Signal nach außen. Mit dem Umzug auf ein kleineres Firmengelände im Norden wurde das Shell-Territorium leer und muss nun sukzessive dem organischen Gefüge der Stadt einverleibt werden. Ein großes Unterfangen. Die Errichtung des Filmmuseums - Grundstück und Haus sind Eigentum der ING Real Estate und werden nun für die Dauer von 25 Jahren an das Filmmuseum vermietet - war die Initialzündung. Weitere Projekte, die meisten davon Wohn- und Bürogebäude, befinden sich in Bau.

„Dieses Gebiet war für die Amsterdamer ein richtiges Tabu“, erinnert sich Sandra den Hamer, Direktorin des neuen EYE. „So gesehen bin ich sehr froh, dass wir die Ersten sind, die dafür sorgen werden, dass Menschen hierherkommen und dieses Stück Stadt nun langsam in Besitz nehmen werden.“ Die Ersten sind dieser Einladung bereits gefolgt, sitzen mit Hund und iPod am Kai oder arbeiten am Laptop.

Bis vor kurzem befand sich das Filmmuseum in einer schmucken Villa im Vondel-Park mitten in der Altstadt. Schon früh hatte man begonnen, alte Filme auszugraben, zu restaurieren und dem Publikum zugänglich zu machen. Dieser Pionierarbeit verdankt das Filmmuseum, dessen Sammlung sich mittlerweile auf 40.000 Filme beläuft, seine internationale Bedeutung. Ende 2009 erfolgte die Zusammenlegung mit Holland Film, mit der Filmbank und mit dem Netherlands Institute for Film Education. Zu viel Programm für so eine kleine Villa.

„Die Situation ist heute ganz anders“, sagt den Hamer. "Wir haben vier Kinosäle, darunter einen Premierensaal für 350 Zuschauer, einen großzügigen Ausstellungsraum und diverse interaktive Zuschauerbereiche für Kinder und Erwachsene. Damit haben die Amsterdamer Cineasten ein neues Zuhause. Und wenn bis Ende des Jahres alle holländischen Kinos auf Digitalbetrieb umgestellt werden, wird das EYE das einzige Kino der Niederlande mit klassischen Projektoren für 35- und 70-Millimeter-Filme sein.

Doch der größte Erfolg von DMAA, die 2005 als Sieger aus einem internationalen Bewerbungsverfahren hervorgegangen sind, ist die hölzerne Arena mit Blick auf die Stadt. Café und Bar, hunderte Sitzkissen auf den Stiegen und die dramatischen Deckenlampen des dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson sollen diesen Raum, der entgegen der ursprünglichen Ausschreibung von DMAA quasi als Bonustrack mitgeliefert wurde, schon bald zu einem Hotspot für Stadtflaneure und Cineasten machen. Sogar der nationale TV-Sender VPRO hat bereits Interesse bekundet und will hier Talkshows und Life-Debatten drehen.

Kein Popcorn, kein Cola

„Im klassischen Filmbetrieb kauft man Popcorn und Cola, sitzt dann zwei Stunden in einer Black- Box und wird nach der Projektion an der Rückseite des Gebäudes wieder auf die Straße entlassen“, erzählt Delugan. „Das ist deprimierend. Wir wollten daher bewusst einen Treffpunkt für die Bevölkerung schaffen, wo man sich danach auf ein Gin Tonic zusammensetzen und über den Film reden kann.“ Man hört bereits die Gläser klirren.

Genau das ist die Stärke dieses Hauses. Wäre das eine Filmkritik, würde hier nun stehen: Das Drehbuch ist spannend geschrieben und reagiert auf aktuelle gesellschaftliche und kulturpolitische Umstände, die Charaktere sind präzise ausgearbeitet, das Setting ist perfekt gewählt. Und die ersten Szenen sind vielversprechend. Doch in der zweiten Hälfte des Films geht den Protagonisten die Luft aus.

Kaum hat man die Arena verlassen und begibt sich in die Ausstellungs- und Filmvorführräume, wird es banal. Lange Gänge, rechteckige Kinoschachteln, VIP-Lounge ohne Herz und Charme. Von Film und Kino, von „Lichtmalerei“ und „räumlicher und architektonischer Illusion“, von der Roman Delugan gesprochen hat, von dieser für Delugan Meissl so typischen, geschmeidig geilen Raumflussarchitektur fehlt jede Spur. Räumliche Interaktion von Film und Architektur, die sehr spannend hätte werden können, sucht man vergeblich. Leider.

Es ist kein Zufall, dass der Architekt mehr über das neue Signal am anderen Ufer, mehr über die visuelle Erscheinung des Bauwerks, mehr über die Choreografie der Funktionen als über die Kinosäle und Ausstellungsräume spricht. Das ist schon okay. Um den kulturellen Erfolg des EYE braucht man sich ohnehin keine Sorgen zu machen.

Letzte Szene. „Das Filmmuseum an dieser neuralgischen Stelle gegenüber der Altstadt ist für mich vor allem ein Spiel mit Licht und Reflexion“, sagt Roland Delugan aus dem Off. Und beschreibt damit jene Stimmung, die man in den Innenräumen bisweilen vermisst. „Ich glaube, das hängt mit dieser speziellen Amsterdamer Lichtsituation und der hohen Luftfeuchtigkeit zusammen. Manchmal verschwindet das Gebäude im Dunst, und manchmal taucht es wie aus dem Nichts wieder auf.“ Abspann.

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