Bauwerk

EYE Film Instituut Nederland
DMAA - Amsterdam (NL) - 2011
EYE Film Instituut Nederland, Pressebild: Iwan Baan
EYE Film Instituut Nederland, Pressebild: Iwan Baan

Mehr als Popcorn und Cola

Amsterdam: Im Filminstitut Eye ist Kino endlich wieder ein kommunikatives und gesellschaftliches Erlebnis. Kosenamen erhält das neue Gebäude am Ufer des Flusses IJ von der Bevölkerung bereits jetzt.

31. März 2012 - Liesbeth Waechter-Böhm
Die Amsterdamer lieben es schon jetzt, das neue Filminstitut Eye, das am Nordufer des Flusses IJ – man könnte von einer Doppelcodierung reden, denn auf Holländisch spricht sich der Fluss genauso aus wie das englische Auge – als neue Landmark die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das zeigen schon die liebevollen Kosenamen – Auster, Perle, Auster mit Perle und weißer Schwan –, mit denen das Haus wechselweise bedacht wird. Und es setzt ja auch wirklich einen Akzent, den dieses erst noch zu entwickelnde Stadtgebiet Amsterdams durchaus braucht. Früher war dort auf einem sehr weitläufigen Areal ein rigoros abgeschottetes Forschungszentrum des Shell-Konzerns, wovon heute noch ein Hochhaus, der sogenannte Overhoeks Tower, zeugt. Es steht ziemlich nah neben dem neuen Filmhaus, eingepackt in eine Werbefläche für Letzteres, und das ist gar nicht ungut. Irgendwie betont dieses vermeintlich brutalistische, in Wahrheit nichts als kommerzielle bauliche Rufzeichen die Qualitäten des Hauses von DMAA – Delugan Meissl Associated Architects – erst so richtig.

Wir befinden uns gegenüber des riesigen Zentralbahnhofs von Amsterdam (hier verkehren täglich 100.000 Menschen). Ununterbrochen transportieren Fähren – übrigens kostenlos – Passagiere über den Fluss, der Weg zum Gebäude ist ein Katzensprung. Zuvor hat man das Bild dieses weißen, flachen, kühn auskragenden Objekts schon einmal in sich aufgenommen. Und die Spitznamen der Amsterdamer haben sich ein erstes Mal bewahrheitet.

Die Architekten haben sich einen recht langen Weg ausgedacht, der ins Gebäude hineinführt. Man betritt es genau genommen in der ersten Etage, im Basement sind die Büros, auch Restaurierungswerkstätten etc. Aber wenn man diese lange Freitreppe erst einmal überwunden hat, dann kommt man schon einmal auf eine großartige Terrasse. Großartig und sehr groß, ein fantastischer Blick auf den Fluss und das Gegenüber bietet sich einem. Und groß geht es auch drinnen weiter. Eine solche räumliche „Verschwendung“ sieht man selten. Man kommt in eine Art riesiges Atrium mit sehr viel dunkel geöltem Eichenholz, das künftig Café, Bar, Restaurant enthalten wird, das Aufenthaltsraum ist – und auch geeignet für jedes und alles an temporären Events. Natürlich sind die Decken höhenmäßig verschnitten, das steigert sich von niedrig bis ganz hoch, da wächst auch einmal organisch aus einer ansteigenden Arenatreppe eine Bar heraus; man könnte sagen: Es wuchert, aber nach Regeln. Und das Ganze wird dann durch die wunderbaren Leuchtkörper von Olafur Eliasson – einem Serienprodukt von Zumtobel – atmosphärisch sehr effektvoll gesteigert.

Der Gedanke war, darüber hat Roman Delugan bei der Pressekonferenz ausführlich geredet, einen Raum zu schaffen, der so einladend ist, dass wir unsere schlechten Kinogewohnheiten wieder ablegen. Nicht einfach hineingehen mit Popcorn und Cola, herausgehen, und das war es. Nein, diese Räume schaffen den Rahmen für Kino als kommunikatives Erlebnis, auch als gesellschaftliches Event. Wieder anders mit Film umgehen, nicht wie Fernsehen in der Menge, das steckt hinter dem räumlichen Konzept. Es gibt vier Kinosäle, von denen einer relativ groß und auch als Premierenkino geeignet ist – 315 Plätze –, die anderen fassen 130 und der kleinste 67 Besucher. Da ist eine Sache, die mich nicht sonderlich überzeugt. Im alten Filminstitut, das in einer Villa im Vondelpark untergebracht war, gab es einen historisch dekorierten Vorführraum. Und den wollte man ins neue Gebäude übertragen. Das ging nicht, der Zustand der Substanz hat es nicht erlaubt. Herausgekommen ist eine zeitgenössische Interpretation, auf die man durchaus hätte verzichten können.

Im Übrigen sind die Kinos ganz normale Boxen. Gott sei Dank. Denn da geht es immer noch um die Filme, die gezeigt werden. Würde sich die Architektur zu viel Eigenwert anmaßen, es wäre definitiv falsch. Kubelka hat schon gewusst, wovon er redet, als er seine Blackbox propagierte. Und das haben die Architekten bei allen möglichen Ambitionen, die ihnen wichtig gewesen sein mögen, auch begriffen.

Das Haus fließt. Delugan will es nicht als Skulptur eingestuft wissen. Es ist ein Organismus, sagt er. Das ist natürlich Koketterie, es hat aber auch seine Richtigkeit. Man schlendert so durch, man wechselt die Ebenen, immer auch begleitet durch wechselnde Raumhöhen, die unheimlich schnittig zu sehr diversen Raumerlebnissen führen. Und in zwei Fällen, seitlich vom großen Saal, steht man sogar vor sehr schmalen, steilen Treppen, die scheinbar ins Nichts führen – aber nein, sie sind kein Gag für räumliche Zwickelrestflächen, dort geht es zur Vorführkabine. Das Bild eines Organismus hat jedenfalls eher seiner Richtigkeit als das einer – statischen – Skulptur.

Man sollte vielleicht noch erwähnen, was Eye, das absolut führende Filminstitut der Niederlande, leistet – und jetzt leisten kann. Sie haben immerhin 1.200 Quadratmeter Ausstellungsfläche, die sie anlässlich der Eröffnung am 5. April auch entsprechend nutzen werden. Sie haben ein sehr intelligentes Konzept der Vermittlung. „Panorama“ nennt sich ein Bereich, wo man unter acht Themen anklicken kann, was einen interessiert, kurz hineinschauen, aber auch in einem weiteren Raum und eigens entwickelten, sehr nett designten gelben Boxen den Film auf Abruf ansehen kann. Es gibt sogar die entsprechende akustische Installation, um Stummfilme adäquat zu begleiten. Und natürlich ist alles da, um auch Kindern das Medium Film nahezubringen.

DMAA mussten sehr lange durchhalten, um ihr siegreiches Wettbewerbsprojekt realisieren zu können; nahezu acht Jahre, den Planungsauftrag haben sie 2005 erhalten. In dieser Zeit gab es einen Direktorenwechsel, was eine solche Projektentwicklung nie vereinfacht. Aber gut Ding braucht eben manchmal Weile. Und er ist wirklich gut geworden, dieser fast prototypische zeitgenössische Filmpalast – aus Amsterdamer Sicht vielleicht sogar eine späte Wiedergutmachung für die viel weniger glückliche, ebenfalls österreichische „Stopera“ des Wilhelm Holzbauer.

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