Bauwerk

Erste Campus
Henke Schreieck Architekten - Wien (A) - 2015

Herr Treichl sitzt im Groß­raum­bü­ro

Heu­te, Sams­tag, über­sie­deln die letz­ten Mit­ar­bei­ter auf den neu­en Er­ste-Cam­pus in Wien. Das Pro­jekt zeigt, was da­bei her­aus­kommt, wenn Auf­trag­ge­ber und Ar­chi­tek­tin ge­mein­sam über den Be­griff Ar­beit nach­den­ken.

27. Februar 2016 - Wojciech Czaja
Da hängt ein nack­ter Mann im zwölf­ten Stock. To­mis­lav Go­to­vac, ei­ner der be­kann­tes­ten Per­for­mer und Kon­zept­künst­ler Kroa­tiens, hat sich hier selbst por­trä­tiert, kom­plett ent­blößt, auf dem Dach ste­hend und auf Zag­reb hin­un­ter­bli­ckend. Die Vor­stän­de der Er­ste Bank, der Spar­kas­se und der Im­mo­rent, die hier oben auf der Exe­cut­ive-Eta­ge ta­gen, müs­sen re­gel­mä­ßig an die­ser evi­den­ten, ja ge­ra­de­zu pla­ka­ti­ven fi­nanz­po­li­ti­schen Sym­bol­kri­tik vor­bei­mar­schie­ren.

Die über­le­bens­gro­ße In­stal­la­ti­on des nack­ten, al­ten, sich nicht son­der­lich über­äs­the­tisch prä­sen­tie­ren­den Man­nes ist nicht zu­letzt Sinn­bild da­für, wie selbst­kri­tisch, wie un­be­quem, wie ernst die Er­ste Group das Pro­jekt des neu­en Er­ste-Cam­pus auf dem Ge­län­de des ehe­ma­li­gen Süd­bahn­hofs ge­nom­men hat – vom Wett­be­werb im Jah­re 2007 bis zur al­ler­letz­ten Mi­nu­te. Mit dem heu­ti­gen Tag, Sams­tag, über­sie­delt mit 1200 An­ge­stell­ten die letz­te Tran­che der ins­ge­samt 5000 Mit­ar­bei­ter ins neue He­ad­quar­ter mit Blick auf Haupt­bahn­hof, Schwei­zer­gar­ten und Obe­res Bel­ve­de­re.

„Bis­lang wa­ren wir auf mehr als 20 Wie­ner Stand­or­te ver­teilt“, sagt Mi­cha­el Ha­mann, Pro­jekt­lei­ter der Er­ste Group Im­mo­rent AG, bei der Füh­rung durch den neu­en Cam­pus. „Jetzt wird das ge­sam­te Un­ter­neh­men erst­mals an ei­nem ein­zi­gen Stand­ort ge­bün­delt, was vor al­lem die Kom­mu­ni­ka­ti­on und die in­ter­nen Pro­zes­se ver­ein­fa­chen soll.“ Man weiß schon, was das in der Re­gel zu be­deu­ten hat, wenn sol­che Wor­te fal­len: Flä­chen­ef­fi­zienz, Geld­er­spar­nis, Re­chen­stift. Da muss man schon die Na­se rümp­fen.

Und tat­säch­lich, in den Na­sen­haa­ren kit­zelt es. Das schwar­ze Lehmk­asein, mit dem die Wän­de hier oben ver­spach­telt sind, ist noch nicht ganz aus­ge­dampft, hat noch ei­ne leich­te, aber deut­lich wahr­nehm­ba­re No­te von Milch und Top­fen. „Wir ha­ben uns sehr da­rum be­müht, mit mög­lichst vie­len na­tür­li­chen Ma­te­ria­li­en zu bau­en“, sagt Mar­ta Schrei­eck, die mit ih­rem Part­ner Die­ter Hen­ke am EU-wei­ten Wett­be­werb teil­nahm und den Sieg un­ter mehr als 200 Bü­ros für sich be­an­spru­chen konn­te.

„Und wenn wir von na­tür­li­chen Ma­te­ria­li­en spre­chen, dann mei­nen wir Lehm, Kalk­putz, ge­öl­tes Ei­chen­holz, Be­ton mit na­tür­li­chen Farb- und Zu­schlags­tof­fen so­wie lo­ka­len Schot­ter, der aus­schließ­lich aus der Do­nau kommt. Denn exo­ti­sche, wie auch im­mer ge­ar­te­te bun­te Stei­ne aus ganz Eu­ro­pa hier­her­zu­kar­ren, das hät­te zu die­sem Pro­jekt ein­fach nicht ge­passt.“

Ja so­gar die Fass­ade spricht ei­ne bo­den­stän­di­ge Spra­che, die man im In­ves­to­ren­jar­gon sonst nur sel­ten zu hö­ren be­kommt: Lär­chen­holz-Kons­truk­ti­on mit raum­ho­hen Fens­ter­flü­geln, die man in­di­vi­du­ell nach Lust und Lau­ne öff­nen kann, oh­ne dass da­bei gleich das ge­sam­te Haus­tech­nik­sys­tem kol­la­biert. In man­chen Bü­ros wird trotz win­ter­li­cher Tem­pe­ra­tu­ren kurz Frisch­luft in den Raum ge­las­sen.

Al­les an­de­re als Bü­ro­wü­ste

„Bü­ro­kon­zep­te und Trends im Of­fi­ce-Be­reich än­dern sich so oft und so rasch, dass es am be­sten ist, wenn die Ar­chi­tek­tur so fle­xi­bel bleibt, dass sie all die kurz­fri­sti­gen Mo­deer­schei­nun­gen mit­ma­chen kann“, sagt Schrei­eck. „Und das be­zieht sich nicht nur auf die sich stän­dig än­dern­de All­tags­kul­tur in den Ar­beits­zim­mern, son­dern auch auf die Art und Wei­se, wie das Bü­ro ein­ge­rich­tet, wie das Haus ge­nutzt wird, ob ich es nun mit Raum­zel­len voll­pfer­che oder als Groß­raum­bü­ro be­las­se.“

Ak­tu­ell sind wir im Zeit­al­ter des so­ge­nann­ten Open Spa­ce, des gro­ßen Bü­ros oh­ne Trenn­wän­de und oh­ne ver­schließ­ba­re Zel­len­tü­ren. Die Mö­blie­rung im Er­ste-Cam­pus hilft da­bei, den Raum nicht als graue Bü­ro­wü­ste wahr­zu­neh­men, son­dern als bun­te, sym­pa­thi­sche, ab­wech­slungs­rei­che Land­schaft mit tex­til be­spann­ten La­ter­nen und bunt mö­blier­ten Pflan­zen­in­seln im In­ne­ren. Das Grün­kon­zept, das an man­chen Ecken wie ei­ne ve­ge­ta­ti­ve Oa­se aus der Ge­bäu­de­mit­te sprießt, stammt vom Wie­ner Land­schafts­pla­nungs­bü­ro Au­böck+Ká­rász.

„Die meis­ten Mit­ar­bei­ter ha­ben bei uns kei­nen fi­xen Ar­beits­platz mehr, son­dern kön­nen je­den Tag frei wäh­len, wo sie sich für wel­che Art der Ar­beit am liebs­ten hin­set­zen möch­ten“, sagt Im­mo­rent-Pro­jekt­lei­ter Mi­cha­el Ha­mann. Da ist sie al­so, die be­reits be­fürch­te­te Ein­spa­rungs­maß­nah­me. Die schö­nen, er­go­no­misch ein­wand­frei­en Mö­bel und die ver­schließ­ba­ren Käst­chen mit Fil­zop­tik sol­len den Ver­lust des ei­ge­nen Ar­beits­plat­zes et­was ver­kraft­ba­rer ma­chen. Doch im­mer­hin: „Das Open-Spa­ce-Kon­zept zieht sich bei uns bis zur Vor­stands­ebe­ne hoch“, sagt Ha­mann. „Und ja, auch Herr Treichl sitzt mit sei­nen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen im Groß­raum­bü­ro.“

Dach­gar­ten mit WLAN

Herz­stück des sich so lo­cker da­hin­schlän­geln­den Cam­pus ist das 4000 Qua­drat­me­ter gro­ße Atri­um im Erd­ge­schoß. Pi­az­za sagt man heu­te da­zu, doch die öf­fent­lich zu­gäng­li­che Hal­le zwi­schen den nie­ren­för­mi­gen Ge­bäu­de­trak­ten er­in­nert in der Tat an ei­nen quir­li­gen Stadt­platz ir­gend­wo in Ita­li­en. Und so­gar Sitz­ge­le­gen­hei­ten nach ei­nem Ent­wurf von Hen­ke und Schrei­eck Ar­chi­tek­ten, 40 Stück an der Zahl, sind quer über den ge­deck­ten Platz ver­teilt. Die glit­zernd be­spann­ten Ele­men­te, die in ih­rer Form den Kon­tu­ren der Cam­pus­ge­bäu­de nach­emp­fun­den sind, wer­den von den Mit­ar­bei­tern schon längst „Schrei­xis“ ge­nannt. Auf dem Dach des Atri­ums ist üb­ri­gens ein 10.000 Qua­drat­me­ter gro­ßer Gar­ten an­ge­legt – mit Ahorn, Föh­ren, Kirsch­bäu­men, Bän­ken und flä­chen­de­cken­dem WLAN.

Ei­ne schö­ne­re Bü­ro­si­tua­ti­on, die nach of­fi­ziel­len An­ga­ben der Er­ste Bank Group „mit ma­xi­mal 300 Mil­lio­nen Eu­ro“ zu Bu­che schlug, wird man so schnell in ganz Wien nicht fin­den. Statt Macht­de­mon­stra­ti­on und Ein­schüch­te­rungs­ge­ha­be, wie man dies aus dem Bank- und Fi­nanz­we­sen kennt, orien­tiert sich der Er­ste-Cam­pus dank ei­ner mit höch­ster Se­rio­si­tät wahr­ge­nom­me­nen Rol­le von Auf­trag­ge­ber und Ar­chi­tek­ten­schaft am Maß­stab Mensch. Der Preis da­für bleibt letzt­lich hoch. Fragt man sich doch, wa­rum Bau­kul­tur auf die­sem Ni­veau den Ban­ken vor­be­hal­ten bleibt.

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