Bauwerk

PaN-Wohnpark
Werner Neuwirth, von Ballmoos Krucker, Sergison Bates architects - Wien (A) - 2013
PaN-Wohnpark, Foto: Stefan Müller

Und vor der Wohnungstür die halbe Welt

Das Wohnprojekt „Interkulturelles Wohnen“ am ehemaligen Nordbahnhof in Wien wurde konsequent umgesetzt: Die Architekten stammen aus drei, die Bewohner sogar aus zwanzig Ländern.

23. Oktober 2013 - Wojciech Czaja
„Geschmack hat er ja keinen, der Architekt, aber der Wohnungsgrundriss, der ist wirklich gelungen!“ Michael Lenz, 36 Jahre alt, seines Zeichens kaufmännischer Angestellter, wohnhaft auf Stiege 1, ist vor wenigen Tagen eingezogen und wundert sich kopfschüttelnd über die beige-braun verfliesten Badezimmer in seinem Haus. Das Siebzigerjahreschachbrettmuster an der Wand, das in seiner Wohnung standardmäßig vorgesehen war, hat er bis heute nicht verkraftet. „Das ist eine Art Ästhetik, die sich mir nicht ganz erschließt. Aber darum geht es bei dieser Wohnhausanlage ja auch nicht.“

Richtig. Lenz ist Bewohner einer dreiteiligen Wohnhausanlage, die unter dem Motto „Interkulturelles Wohnen“ entstanden ist. Das Thema war Vorgabe des seinerzeit ausgeschriebenen Bauträgerwettbewerbs, aus dem der gemeinnützige Bauträger Neues Leben mit dem Wiener Architekten Werner Neuwirth als Sieger hervorging. Neuwirth, Mastermind des ungewöhnlichen Projekts, holte die beiden Büros Von Ballmoos Krucker (Zürich) und Sergison Bates Architects (London) ins Boot und schuf ein heterogenes Dreierensemble mit insgesamt 90 Wohnungen.

„Interkulturalität ist so eine Sache“, sagt Neuwirth, „denn der Begriff erhebt den Anspruch, dass es Hauptkulturen und Zwischenkulturen gibt, und daran glaube ich nicht. Aber wenn wir schon von einem Wohnbau für unterschiedliche Kulturen sprechen, dann muss man auch Architekten aus unterschiedlichen Kulturen dazu einladen, sich dieses Themas anzunehmen. Man kann nicht von einem einzigen Architekten erwarten, sich in verschiedene Kulturen hineinzudenken. Das bauliche Resultat dieses Unterfangens wäre ein Comic.“

Im Gegensatz zu den meisten anderen geförderten Wohnbauten, die auf dem Gelände des ehemaligen Wiener Nordbahnhofs in den letzten Jahren entstanden sind, handelt es sich beim Projekt in der Ernst-Melchior-Gasse um eine kleinteilige Anlage mit 28 bis 32 Wohnungen pro Haus. Und jedes Haus ist anders. Die nationalen Handschriften aus Austria, Schwyz und United Kingdom sind unverkennbar - sei es die Retroverfliesung auf Stiege 1, der Parkettvorplatz auf Stiege 2 oder die unzähligen Niveausprünge auf Stiege 3. „30 Wohnungen sind die Obergrenze, damit noch so etwas wie aktiv gelebte Nachbarschaft entstehen kann“, so Neuwirth. „Alles, was darüberliegt, ist Quell für Anonymität.“

„Nicht wie in einem Hotel“

Dariusz Malinowski, gebürtiger Pole, Stiege 3, vierter Stock, kann das bestätigen. „Die meisten meiner Freunde und Bekannten wohnen in großen Wohnhausanlagen, in denen viele Wohnungen an einem langen Gang aufgefädelt sind“, sagt er. „Sie leben dort wie in einem Hotel. Niemand kennt niemanden. Ich finde das schrecklich. Hier aber habe ich schon jetzt erste Kontakte knüpfen können, und das, obwohl ich noch mitten im Umsiedeln bin.“

Um die Nachbarschaft, die wie ein zartes Pflänzchen zwischen den Wohnungstüren gedeiht, weiterhin zu stärken, veranstaltet der Soziologe Raimund Gutmann einmal pro Woche einen mehrstündigen Workshop, zu dem alle Bewohner eingeladen sind, und das ein halbes Jahr lang. Ziel ist es, die mentalen Mauern, die in einer neuen Wohnhausanlage üblicherweise aufgezogen werden, einzureißen und die Menschen untereinander bekannt zu machen.

„Adresswechsel und Wohnungsbezug sind eine stressige Angelegenheit“, sagt Gutmann, Geschäftsführer des Mediations- und Beratungsbüros wohnbund consult. „Vor allem in einem Projekt mit einem so hohen Ausländeranteil wie hier ist es wichtig, die Menschen in den ersten Monaten zu begleiten.“ Nicht zuletzt geht es darum, für die noch leeren Gemeinschaftsflächen im Erdgeschoß im Zuge eines Mitbestimmungsprozesses die richtige Nutzung zu erarbeiten. Zur Auswahl stehen Spielraum, Wohnsalon und Bibliothek. Die endgültige Auswahl treffen die Mieter.

„Wie man sieht, habe ich selbst Migrationshintergrund, wie man so schön sagt, und daher finde ich es sehr spannend, dass man eine ganze Wohnhausanlage unter das Motto Interkulturalität stellt“, sagt die in Istanbul geborene Sennur Aslantürk. Gemeinsam mit ihren beiden Söhnen wohnt sie auf Stiege 1, im „Haus der beiden Schweizer“, wie sie meint. „Bislang habe ich mit Interkulturalität nicht nur positive Erfahrungen gemacht, aber das ist hier eindeutig anders. Nächste Woche startet der erste Workshop. Da bin ich fix dabei.“ Und was das Siebzigerjahreschachbrettmuster in ihrem Bad betrifft: „Das sind halt Architekten. Daran gewöhnt man sich.“

90 Wohnungen, 20 Sprachen

Nicht nur sozial, auch ökologisch nachhaltig ist das Wohnprojekt am ehemaligen Nordbahnhof. Beheizt werden die Wohnungen - die Größen variieren zwischen 30 und 115 Quadratmetern - mittels Fußbodenheizung und kontrollierter Wohnraumlüftung. Die Niedertemperaturheizung sorgt für geringen Energieverbrauch und somit auch für eine nachhaltige Schonung des Geldbörsels.

Fehlt nur noch, dass das letzte, noch leerstehende Geschäftslokal vermietet wird. „Wir haben bisher einen Kindergarten und eine bilinguale Kindergruppe im Haus“, sagt Heidi Skomar, Projektleiterin beim Bauträger Neues Leben. „Im dritten Gassenlokal wollten wir das Weltcafé als Mieter gewinnen, aber das hat leider nicht geklappt. Wir hoffen, dass sich noch ein Gastronomiebetrieb findet. Das wäre ein schöner Abschluss dieses auf Kommunikation basierenden Projekts.“

Im Wohnpark „Interkulturelles Wohnen“ sind 20 Nationen vertreten. Nachbarschaft wird hier nicht als Problem wahrgenommen, sondern als Chance. Geht doch.

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