Bauwerk

Büro- und Geschäftshaus k47
Henke Schreieck Architekten - Wien (A) - 2003

Raffiniertes Understatement

Gute Architektur entsteht erst, wenn der Bauherr sie zulässt. Seit kurzem füllt das „k47“ von Henke/Schreieck die Lücke des alten Kai- palais. Ein rarer Glücksfall für die Wiener Innenstadt.

1. November 2003 - Isabella Marboe
Bauen im gewachsenen Gefüge ist immer schwierig, besonders prekär ist die Lage in der Schutzzone Innere Stadt, wo die Auflagen strenger und Baulücken rar sind. Seit kurzem ist sie um einen präzisen, modernen Stadtbaustein reicher. Dieter Henke und Marta Schreieck planten das exquisit-elegante Büro-und Geschäftshaus „k47“ am Franz-Josefs-Kai, das kürzlich eröffnet wurde.

Seit der Realisierung von Hans Holleins heftig debattiertem Haas-Haus ist es der erste Neubau in der Schutzzone. So prominent wie der Stephansplatz ist die Adresse am Kai nicht, dafür legte der historische Vorgänger die Latte sehr hoch. Der Architekt Ignaz Nathan Reiser (er plante unter anderem den Stadttempel in der Pazmanitengasse, die Mödlinger Synagoge, die Zeremonienhalle am Tor IV des Zentralfriedhofs) hatte das „Kaipalais“ entworfen: ein späthistoristisches, repräsentatives Haus mit prägnantem Eckaufbau an der Schwelle zur frühen Moderne, 1912 hochinnovativ als einer der ersten Stahlbetonbauten Wiens konstruiert.

1930 erwarb die Zürich Kosmos Versicherungs-AG die Immobilie, 1997 begann man mit der Sanierung, ein Jahr später traten eklatante Schäden zutage. Ein Brand im Jahr 1945 hatte die scheinbar intakten Stahlbetonteile der Primärstruktur stark in Mitleidenschaft gezogen, ein Gutachten attestierte bis zu 50 Prozent verminderte Tragfähigkeit. Das Haus musste evakuiert werden, eine Initiative aus Wissenschaftern, Denkmalschützern und Prominenten (u.a. Herbert Fux, Josef Mikl, Walter Berry, Otto Schenk) formierte sich vergeblich zum Erhalt des Kaipalastes. 1999 hob das Bundesdenkmalamt die Unterschutzstellung auf, im Februar 2001 wurde die Abbruchbewilligung erteilt.

Bauherr Zürich-Kosmos veranstaltete einen geladenen Wettbewerb, wobei auf einengende Vorgaben, Raum- und Funktionsprogramme verzichtet wurde. Gefordert war einzig die Bereitstellung wirtschaftlich vermietbarer Flächen. Das Siegerprojekt von Henke/Schreieck besticht durch die auf den spezifischen Ort und die Bauaufgabe zugeschnittene Umsetzung einer Grundhaltung, die all ihre Arbeiten auszeichnet. Nicht vordergründige Flächeneffizienz, sondern ein Maximum an räumlicher Qualität und Großzügigkeit zählen. Diesem Prinzip blieben die beiden auch am äußerst kostspieligen Innenstadtpflaster treu; Zürich-Kosmos gewährte der Qualität Preis und Raum. Gute Architektur braucht gute Bauherren, das „k47“ ist ein Glücksfall für die Schutzzone. Es steigert nicht nur das Lebensgefühl derer, die zukünftig hier arbeiten, es putzt auch das Textilviertel auf, ohne die alten Bauten protzig-penetrant an die Wand zu spielen.

Vor Planungsbeginn sahen sich Henke/ Schreieck mit ihren Statikern den alten Kaipalast noch einmal an, um zu prüfen, ob er nicht doch zu retten wäre. Dann konzipierten sie einen Neubau, der auf höchstem konstruktivem, formalem und konzeptionellem Niveau würdig sein Erbe antritt. Vornehm schließt er das Eckgrundstück Franz-Josefs-Kai und Heinrichstraße, selbst die Garageneinfahrt tritt hier nur dezent in Erscheinung, Platz sparend schraubt sich die Zufahrtsrampe mit geneigten 51 Parkplätzen in die Kellertiefen, ohne die klare Grundrisskonzeption zu stören. Wie sein Vorgänger ist das „k47“ ein innovativer Stahlbetonbau. Bis auf wenige Stützen an den Randzonen kamen die Statiker Gmeiner und Haferl stützenlos aus, weit ragt ein Erker in der Feuermauerschlucht. Innen bieten die frei überspannten Räume größte Flexibilität der Nutzung, eine Anforderung, die auch das Klimasystem im Doppelboden erfüllt.

Außen zeigt sich das Haus fast als monolithischer Block mit einer ausgetüftelten Fassade aus satinierten Mattglaselementen. Keine aalglatt spiegelnde Haut, sondern raffiniertes Understatement. Die nicht reflektierende Hülle aus geschoßhohen, transluzenten Lamellen nimmt den Dialog mit der Plastizität der umgebenden Gründerzeitfassaden auf, jedes dritte Element lässt sich individuell steuern.

Noch schläft das „k47“. Wenn es bezogen ist, werden die Nutzer der Fassade eine lebendig gefaltete, körperhafte Struktur geben. Die Lamellen wurden als 1:1-Modelle gebaut und in ihrer Lichtwirkung genau geprüft, bevor sie aufs Gebäude durften. Mit 21 m Höhe passt sich das Gebäude den Nachbarn an, die von der Bauordnung gegebene Möglichkeit, das Dachgeschoß im Bereich der 45°-Neigung aufzustocken, wurde nicht genutzt. Stattdessen artikuliert eine transparent und leicht über dem Gebäude schwebende, rundum verglaste Skybox das markante Eck. Ein Signal, das Prägnanz verleiht, Anrainern mit Dachgärten kein Licht raubt, nach außen wie nach innen wirkt. Von hier aus genießt man einen einzigartigen Panorama-Rundblick über die neue Skyline am Kai und die reiche, kleinteilige Dachlandschaft der Schutzzone aus Kirchtürmen, Kuppeln, Aufbauten, Gärten und Terrassen. Innen wirkt die Skybox wie eine Verlängerung des skulptural ausgeschnittenen Hofraums, der sich mit auskragenden Erkern, tiefen Einschnitten, überbrückten großzügigen Lufträumen zu Stadt und Himmel weitet.

Diszipliniert mit einer idealen Schaufenstersockelzone fasst das „k47“ das Eck, eindeutig markiert ein Einschnitt den Eingang im Erdgeschoß. Auch kleine Details, die den ersten Eindruck prägen, wurden bedacht. Das Firmenpräsentationsschild mit runden Gläsern am Entree und das grafische Leitsystem gestaltete Ingeborg Kumpfmüller, ein Lichtbild von Hans Weigand setzt einen Blickpunkt ans Ende des schmalen Foyers. Vor hellem Grund ist schemenhaft ein Mensch in Bewegung hinter horizontalen Linien zu sehen - mit der Betrachterdistanz verändert sich die gerasterte Arbeit. Zentral liegt der Erschließungs- und Sanitärkern gegenüber der Portierloge aus hellem Birkenholz, ein Blick genügt zur Orientierung. Das erste Geschoß ist ganz vermietet, im Bereich der Feuermauern sind Oberlichten, durch die man bis zur Skybox sieht. Neonröhren an blauen Untersichten im Stiegenhaus ziehen hinauf, zum Hof hin ist es verglast, bietet reiche Perspektiven ins Atrium.

Der fulminante, glasgedeckte Hofraum beginnt im zweiten Stock und ist die wahre Attraktion des „k47“. Viel Augenmerk legten Henke/Schreieck auf die skulpturale Ausformung des Baukörpers; der Monolith entpuppt sich als durchlässig. Präzise wurde ein mehrgeschoßiger, komplex nach Himmelsrichtung, Lichteinfall und Perspektiven ausgerichteter „Leerraum“ aus dem Volumen modelliert. Außen zeichnet er sich in einem fast zehn Meter hohen Einschnitt an der Kaifassade und einem zweigeschoßigen Schlitz zum Nebenhaus in der Heinrichstraße ab. Innen öffnet er sich fünf Geschoße hoch bis zur Verglasung, die immer für Wintergartenklima sorgt. Der „Leerraum“ verweigert sich banaler Regelgeschoßlogik, löst die Hierarchie zwischen attraktiven Straßenfronten und benachteiligten Hinterhofzonen komplett auf. Aus vorspringenden Erkern lässt sich über die ganze Trakttiefe das Treiben am Kai beobachten, und man kann in den Hof und die Glasfronten der anderen vor- und rückspringenden Büros blicken. Bald werden sich auch auf Luftbrücken, Balkonen und hinter den Innenhoffassaden Menschen tummeln.

Mit dem „k47“ haben Henke/Schreieck die gewachsene Schönheit der Altstadt um ein zeitgenössisches Juwel bereichert. Seit die Innenstadt zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, gelten auch jenseits der Schutzzone strengere Maßstäbe. Beim Ortner-&-Ortner-Projekt Wien-Mitte führten lange mediale Debatten zum Baustopp und zum städtebaulichen Wettbewerb der Bahnhofsüberbauung. Auch an diesem neuralgischen Punkt in der Stadt fanden Henke/Schreieck die überzeugendste Lösung. Ihr Siegesprojekt lässt Hoffnung in verzwickter Lage keimen. Dezent fügt sich eine 30 m hohe, U-förmige Randbebauung mit zweigeschoßig durchlässiger Sockelzone in die Struktur der Landstraßer Hauptstraße. Sie umschließt ein gedecktes Atrium, aus dem präzis gesetzte, leicht geschwungene Baukörper ragen. Sie nutzen das mit dem Weltkulturerbe kompatible 60-m-Limit nicht ganz, orientieren sich am Hilton-Hotel und leiten elegant zum bestehenden City-Tower-Rumpf über. Man kann nur hoffen, dass der Bauherr das zulässt.

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