Bauwerk

CGLA Wohnhochhaus
querkraft architekten - Wien (A) - 2015
CGLA Wohnhochhaus, Foto: Markus Kaiser
CGLA Wohnhochhaus, Foto: Markus Kaiser

Lift me up!

Beim Leo­pold­to­wer in Wien-Don­aus­tadt ver­zich­te­te Bau­trä­ger ÖSW auf För­der­mit­tel und schlich­te­te den Woh­nungs­mix nach ei­ge­nem Er­mes­sen zu ei­nem 85 Me­ter ho­hen Turm. Bloß für die nö­ti­ge An­zahl an Lif­ten reich­te das Geld schein­bar nicht mehr aus.

21. Oktober 2015 - Wojciech Czaja
„Der Aus­blick aus un­se­rer Woh­nung ist ein­fach ein Traum“, sagt No­di­ra Aza­no­va. „Wir schau­en nach Sü­den, di­rekt auf die In­nens­tadt, und so­gar den Ste­phans­dom kön­nen wir von un­se­rem Wohn­zim­mer aus se­hen.“

Die 27-Jäh­ri­ge stammt aus Us­be­kis­tan. Ge­mein­sam mit ih­rem Mann, der in der Uno ar­bei­tet, und ih­ren bei­den Klein­kin­dern wohnt sie in ei­ner Ei­gen­tums­woh­nung im zehn­ten Stock. Drei Zim­mer mit Bal­kon für 275.000 Eu­ro, das sei durch­aus okay. „An­de­re Wohn­pro­jek­te wa­ren deut­lich teu­rer“, so Aza­no­va.

Ei­nen Stock un­ter ihr wohnt die Psy­cho­lo­gie-Stu­den­tin Christ­ine Pu­fitsch. Die 23-Jäh­ri­ge hat­te es auf ei­ne Woh­nung mit gu­ter öf­fent­li­cher An­bin­dung zur Uni ab­ge­se­hen. „Die U1 fährt prak­tisch an der Woh­nungs­tür vor­bei, und auch sonst ist mit den Ge­schäf­ten im Ein­kaufs­zen­trum Ci­ty­ga­te al­les da, was man zum täg­li­chen Le­ben braucht.“ 55 Qua­drat­me­ter be­wohnt sie in Mie­te. Da­zu gibt es ei­nen rund zehn Qua­drat­me­ter gro­ßen Bal­kon. Die ein­ma­li­ge Miet­vor­aus­zah­lung in der Hö­he von 30.000 Eu­ro – ja, so heißt der Be­trag im Bau­trä­ger­fach­jar­gon – be­kommt sie bei Aus­zug wie­der zu­rück­er­stat­tet. „Das passt al­les ganz gut. Nur die Ge­gend … na ja, In­dus­trie und Ge­wer­be halt.“

Der Leo­pold­to­wer mit sei­nen 26 Stock­wer­ken und ins­ge­samt 302 Woh­nun­gen wur­de im Som­mer an die Be­wohn­er­in­nen und Be­woh­ner über­ge­ben. Der 85 Me­ter ho­he Turm in der Sey­rin­ger Stra­ße 5, der schon von wei­tem sicht­bar aus der Ebe­ne des be­gin­nen­den March­felds em­por­schießt, ist nicht nur die bau­li­che Ant­wort auf den stei­gen­den Wohn­be­darf in Wien, son­dern auch ei­ne Al­ter­na­ti­ve zu den im­mer schwie­ri­ger zu fi­nan­zie­ren­den Bau­grün­den, die den ge­mein­nüt­zi­gen Bau­trä­gern zur Ver­fü­gung ste­hen. Das kom­plet­te Haus wur­de frei­fi­nan­ziert – oh­ne ei­nen ein­zi­gen Cent För­der­geld.

„Als ge­mein­nüt­zi­ger Bau­trä­ger kommt man heu­te kaum noch an leist­ba­re Grund­stü­cke he­ran“, sagt Mi­cha­el Pech, Vor­stand des Ös­ter­rei­chi­schen Sied­lungs­werks (ÖSW), im Ge­spräch mit dem STAN­DARD . „In Zu­sam­men­spiel mit den ge­stie­ge­nen tech­ni­schen und bau­recht­li­chen An­for­de­run­gen gibt es manch­mal kei­ne an­de­re Mög­lich­keit, als so ein Pro­jekt au­ßer­halb des eng­ge­steck­ten Rah­mens der För­der­bar­keit zu er­rich­ten.“

Un­ter­schied­li­che Ty­po­lo­gien

Leist­bar im her­kömm­li­chen Sin­ne, meint Pech, sei­en die Woh­nun­gen den­noch – zu­min­dest ein gro­ßer Teil da­von. Denn schließ­lich wer­den im Leo­pold­to­wer vie­le un­ter­schied­li­che Wohn­ty­po­lo­gien mit­ein­an­der ver­mischt, wo­durch sich die Mög­lich­keit er­gibt, güns­ti­ge­re Miet­woh­nun­gen, die Mie­ten im durch­aus för­der­ba­ren Be­reich auf­wei­sen, mit hoch­wer­ti­ge­ren Ei­gen­tums­woh­nun­gen und mö­blier­ten Apart­ments auf Zeit quer­zu­fi­nan­zie­ren. Un­term Strich er­gibt sich ein wirt­schaft­li­ches Null­sum­men­spiel für den ei­nen, ein Mix an güns­ti­gen und hoch­wer­ti­gen Wohn­räu­men für den an­de­ren.

„Wir ge­hen schon lan­ge mit der Idee schwan­ger, ein frei­fi­nan­zier­tes Wohn­hoch­haus zu er­rich­ten“, so Pech. „Vor vier Jah­ren schon hat­te ich die­ses Pro­jekt erst­mals auf dem Schreib­tisch, aber da­mals hat­te ich mich noch nicht drü­ber­ge­traut. Mitt­ler­wei­le se­he ich drin­gen­den Hand­lungs­be­darf. Wien wächst ra­sant, die Ge­sell­schaft ver­än­dert sich, und mitt­ler­wei­le sind 45 Pro­zent al­ler Woh­nun­gen in Wien Sing­le­haus­hal­te.“

Ent­spre­chend viel­fäl­tig sieht das Spek­trum der an­ge­bo­te­nen Woh­nun­gen aus: In den un­ter­sten fünf Ge­scho­ßen gibt es 107 voll­mö­blier­te Kurz­zeit­apart­ments, die man für zwei Mo­na­te bis zwei Jah­re mie­ten kann. Be­treib­erin die­ser rund 40 Qua­drat­me­ter gro­ßen Woh­nun­gen, die sich an Ex­pats, Aus­lands­stu­die­ren­de und Men­schen in ver­zwick­ten fa­mi­liä­ren Ver­hält­nis­sen wie et­wa Tren­nung und Schei­dung rich­ten, ist die ÖSW-Toch­ter room4rent.

Fa­ti­ma Afs­har ist ei­ne von ih­nen. Die 40-jäh­ri­ge Stu­den­tin aus dem Iran wohnt mit ih­rem Sohn im fünf­ten Stock. „Es war al­les da, nur das Ge­schirr und den Tep­pich ha­be ich selbst kau­fen müs­sen“, sagt Afs­har, die in Wien Ame­ri­can Stu­dies und Eng­lish Li­te­ra­tu­re stu­diert. „Ich mie­te die Woh­nung für zwei bis drei Mo­na­te. Auf die­se Wei­se ha­be ich ge­nü­gend Zeit, um mich nach ei­ner pas­sen­den Woh­nung um­zu­schau­en, oh­ne Druck und oh­ne Stress.“

In den Stock­wer­ken sechs bis neun gibt es 36 kom­pak­te Smart-Woh­nun­gen auf Miet­ba­sis (ÖSW), vom zehn­ten bis zum 17. Stock­werk 72 frei­fi­nan­zier­te Ei­gen­tums­woh­nun­gen (Bau­trä­ger Woh­nungs­ei­gen­tum), da­rü­ber schließ­lich ex­klu­si­ve Ei­gen­tums­woh­nun­gen und Pent­hou­ses, die die bei­den Bau­trä­ger 360°, eben­falls ei­ne ÖSW-Toch­ter, und 6B47 Re­al Es­ta­te In­ves­tors ver­mark­ten. Die Qua­drat­me­ter­prei­se hier oben in den Wol­ken lie­gen be­reits bei 4300 bis 5500 Eu­ro. Ein Pent­hou­se ist be­reits weg, drei sei­en noch zu ha­ben, so Pech.

„Ma­xi­mal fle­xi­bel“

Nicht von un­ge­fähr er­in­nert die Ar­chi­tek­tur­spra­che ein we­nig an den be­nach­bar­ten 100 Me­ter ho­hen Ci­ty­ga­te-To­wer, den die Stumpf AG er­rich­te­te. Bei­de Hoch­häu­ser wur­den vom Wie­ner Ar­chi­tek­tur­bü­ro quer­kraft ge­plant. „Das Re­zept ist ganz ein­fach“, meint Ar­chi­tekt Gerd Er­hartt. „Es gibt tra­gen­de Au­ßen­wän­de, ei­nen tra­gen­den Stie­gen­haus­kern, al­les an­de­re da­zwi­schen ist in Leicht­bau er­rich­tet – auch die Woh­nungs­trenn­wän­de.“ Auf die­se Wei­se sei das Hoch­haus ma­xi­mal fle­xi­bel. „Vom Loft bis zur Kleinst­woh­nung ist al­les mög­lich“, so Er­hartt. Das zu­ge­ge­be­ner­ma­ßen ge­wöh­nungs­be­dürf­ti­ge Farb­kon­zept in den Gän­gen stammt von Hei­mo Zo­ber­nig. In düs­ter dun­kel­grün und vor­letzt­klas­sig vio­lett aus­ge­pin­sel­ten Kor­ri­do­ren heim­zu­kom­men ist nicht je­der­manns Sa­che.

Ein­zi­ger Knack­punkt des Leo­pold­to­wers ist aus­ge­rech­net je­nes Ding, mit dem das Funk­tio­nie­ren ei­nes Hoch­hau­ses steht und fällt. „Wis­sen Sie, es lebt sich hier wirk­lich gut“, sa­gen Ka­rin und Ibra­him Yil­diz, die im 14. Stock woh­nen. „Aber dass es für die Woh­nun­gen im Hoch­haus nur zwei Lif­te gibt, ist ei­ne Ka­ta­stro­phe. Manch­mal ste­hen wir in der Früh fünf, sechs, sie­ben Mi­nu­ten lang da und war­ten, bis der Auf­zug da ist. Da über­legt man sich drei­mal, ob man in die Woh­nung zu­rück­fährt, wenn man et­was ver­ges­sen hat.“ Sieht so Le­bens­qua­li­tät aus?

Nach Aus­kunft Pechs be­trägt das In­ves­ti­ti­ons­vo­lu­men „et­was über 50 Mil­lio­nen Eu­ro“. Ein paar Pro­mil­le drauf, und der Leo­pold­to­wer wä­re ein hoch­wer­ti­ges, in sich schlüs­si­ges Hoch­haus mit ei­ner ent­spre­chend hoch­wer­ti­gen Er­schlie­ßung ge­wor­den. Die Kür des 85 Me­ter ho­hen Turms, des­sen In­nen­le­ben auf meh­re­re Bau­trä­ger und meh­re­re Wohn­mo­del­le auf­ge­teilt wur­de, ist ge­lun­gen und ein gu­tes Bei­spiel für al­ter­na­ti­ve Fi­nan­zie­rung im teu­er ge­wor­de­nen Wien. Wa­rum aus­ge­rech­net an der Pflicht ge­spart wur­de, bleibt ein Rät­sel. Den rund 600 Be­wohn­ern des Hau­ses ist man ei­ne Er­klä­rung (oder noch bes­ser ein paar Auf­zü­ge) schul­dig.

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