Bauwerk

Kunstmuseum Basel - Erweiterung
Christ & Gantenbein - Basel (CH) - 2016
Kunstmuseum Basel - Erweiterung, Foto: Stefano Graziani
Kunstmuseum Basel - Erweiterung, Foto: Stefano Graziani
Kunstmuseum Basel - Erweiterung, Foto: Stefano Graziani
Kunstmuseum Basel - Erweiterung, Foto: Stefano Graziani

Er­otik in Schwarz-Weiß

Bei Kunst ver­ste­hen die Schwei­zer kei­nen Spaß. Oder et­wa doch? Ein be­weg­ter Spa­zier­gang durch die sinn­li­che Welt des neu­en Bas­ler Kunst­mu­se­ums.

9. April 2016 - Wojciech Czaja
Man fühlt sich wie ein Sta­tist in ei­nem Schwarz-Weiß­fo­to. Das Au­ge kennt sich nicht aus. Das Hirn so­wie­so nicht. Kom­plet­te Über­for­de­rung. „Es ist fast so, als hät­te je­mand im Pho­tos­hop das Bild de­sa­tu­riert, als wä­ren al­le Farb­nu­an­cen ver­schwun­den“, sagt Ema­nu­el Christ, Ar­chi­tekt des Hau­ses, wei­ßes Hemd, dun­kel­grau­er An­zug, hel­ler Teint, per­fekt ins mo­noch­ro­me Bild pas­send. „Ge­nau das war un­se­re Ab­sicht. Die Büh­ne gilt der Far­ben­viel­falt der Kunst der zwei­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts. Wir ha­ben uns ent­schie­den, die­sen Wer­ken räum­li­chen Vor­rang zu ge­ben.“

Ja, wenn es bloß so wä­re. Tat­säch­lich wan­delt man sin­nes­be­rauscht und glück­trun­ken durch die Räu­me, schweift mit der Hand über den grau­en Kratz­putz und er­wischt sich beim Strei­cheln und Lieb­ko­sen der mar­mor­nen Stie­gen­brüs­tung, die mit ei­ner ge­wis­sen Spe­ckig­keit so et­was wie Soft-Por­no-Er­otik in die Ar­chi­tek­tur­welt hin­ein­zau­bert. Viel Ge­dan­ken­spiel­raum für die Mu­se der Kunst, scheint es auf den er­sten Blick, bleibt da nim­mer.

Es ist ei­ne ge­wis­se Be­ru­hi­gung zu wis­sen, dass man of­fen­bar nicht der Ein­zi­ge ist, der hier­orts von text­ur­el­len, ma­te­riel­len Wal­lun­gen heim­ge­sucht wird. Die Da­men und Her­ren, die Jour­na­lis­tin­nen und Re­dak­teu­re, die sich bei die­ser Ex­klu­siv-Pre­view im neu­en Zu­bau zum Kunst­mu­se­um Ba­sel vor we­ni­gen Ta­gen an­ge­schlos­sen ha­ben, steht bei der Be­rüh­rung des Hau­ses der­sel­be Hauch von Glücks­elig­keit ins Ge­sicht ge­schrie­ben. Kom­men­den Don­ners­tag, den 14. April, wird das schon jetzt preis­ver­däch­ti­ge Bau­werk fei­er­lich er­öff­net. Die Öf­fent­lich­keit darf sich freu­en.

„Dass wir das Kunst­mu­se­um Ba­sel er­wei­tern konn­ten, ist zu ei­nem sehr gro­ßen Teil dem En­ga­ge­ment und der Groß­zü­gig­keit der Pri­vat­wirt­schaft zu ver­dan­ken“, sagt Guy Mo­rin, Bürg­er­meis­ter und Re­gie­rungs­prä­si­dent des Kan­tons Ba­sel-Stadt. 50 Pro­zent der ins­ge­samt 100 Mil­lio­nen Schwei­zer Fran­ken (92 Mil­lio­nen Eu­ro) stam­men vom Kan­ton Ba­sel, die rest­li­chen 50 Pro­zent so­wie auch die Kos­ten für das Grund­stück steu­er­te die Ro­che-Er­bin und Mä­ze­nin Ma­ja Oe­ri über die von ihr ins Le­ben ge­ru­fe­ne Lau­renz-Stif­tung bei. „Die­ses Zu­sam­men­spiel von Mä­ze­na­ten­tum und Öf­fent­lich­keit ist für das Kunst­mu­se­um iden­ti­täts­stif­tend.“

100 Mil­lio­nen Fran­ken, die in der Schweiz nur so aus dem Füll­horn flie­ßen, sind kein Klacks. Schon gar nicht für ein 8000 Qua­drat­me­ter klei­nes Haus mit be­schei­de­nen 3300 Qua­drat­me­tern Aus­stel­lungs­flä­che. Das macht, ganz im Geis­te eid­ge­nös­si­scher Re­chen­kul­tur, fast 12.000 Eu­ro Bau­kos­ten auf den Qua­drat­me­ter. „Ja, aber das geht gar nicht an­ders“, meint Ste­fan Char­les, kauf­män­ni­scher Di­rek­tor. „Qua­li­tät kos­tet. Au­ßer­dem bau­en wir ja nicht für uns al­lei­ne, son­dern in er­ster Li­nie für die Ge­sell­schaft und für die Men­schen nach uns.“ Die­ser Weit­blick, die­ses tief in den Kno­chen ste­cken­de kul­tu­rel­le, ge­ne­ra­tio­nen­über­grei­fen­de Ver­ant­wor­tungs­be­wusst­sein lässt den Ös­ter­rei­cher vor Scham er­rö­ten.

Schon heu­te be­sitzt das Kunst­mu­se­um Ba­sel ei­ne der be­deu­tend­sten Ge­mäl­de­samm­lun­gen der Welt. Die Ti­mes lis­tet die In­sti­tu­ti­on so­gar un­ter den fünf be­sten Kunst­mu­se­en der Welt. Der Aus­bau des Hau­ses ist ein Quan­ten­sprung. In den neu­en Räum­lich­kei­ten, die an das denk­mal­ge­schütz­te Stamm­haus von 1936 über ei­ne un­ter­ir­di­sche Un­ter­füh­rung un­ter der Du­fours­tra­ße ver­bun­den sind, sol­len ne­ben lau­fen­den Wech­sel­aus­stel­lun­gen vor al­lem Wer­ke ame­ri­ka­ni­scher Künst­ler seit 1960 aus­ge­stellt wer­den – Roy Liech­tens­tein, An­dy War­hol, Ja­sper Johns, Mark Roth­ko, Frank Stel­la, Do­nald Judd oder Cy Twom­bly. „Aus ku­ra­to­ri­scher Sicht kann ich sa­gen, dass sich das sehr gut ver­trägt und dass sich die Räu­me wun­der­bar zum Ar­bei­ten eig­nen“, meint Ni­na Zim­mer, Ku­ra­to­rin und Vi­ze­di­rekt­orin im Hau­se. „Die Ar­chi­tek­tur ist zwar brand­neu, aber sie hat schon jetzt so et­was wie ei­ne Au­ra, wie ei­ne See­le, und man kann gar nicht er­war­ten, dass sich in die­sen Räum­lich­kei­ten bald ei­ne Pa­ti­na bil­den wird. Dann wird die­ses Ge­bäu­de noch mehr, noch deut­li­cher zu uns spre­chen.“

Pass­iv­haus­qua­li­tä­ten

Tat­säch­lich ist der Dia­log schon jetzt ein reich­hal­ti­ger. Das Stie­gen­haus ist in küh­len, grau­en, hap­tisch an­spre­chen­den Kratz­putz ge­hüllt. Die Me­tho­de ist auf­wen­dig und hand­werk­lich her­aus­for­dernd, weil der Putz zu­nächst ein we­nig an­zieht, be­vor der Trock­nungs­pro­zess un­ter­bro­chen und die Ober­flä­che mit ei­ner Na­gel­bür­ste wie­der auf­ge­kratzt wird. Die Ris­se, die sich da­bei bil­den, ver­lei­hen ihm auf die­se Wei­se ähn­li­che bau­phy­si­ka­li­sche Ei­gen­schaf­ten wie Lehmp­utz. Tau­sen­de Qua­drat­me­ter da­von zie­ren Wand und De­cke. „Die­ser Putz kann so viel Feuch­tig­keit und Wär­me ab­sor­bie­ren, dass die Un­ter­schie­de zwi­schen Tag und Nacht, zwi­schen Som­mer und Win­ter, zwi­schen vie­len und we­ni­gen Be­su­chern gut ka­schiert wer­den“, er­klärt Ema­nu­el Christ, Part­ner im Bas­ler Ar­chi­tek­tur­bü­ro Christ & Gan­ten­bein. Das ent­la­stet die Hei­zung, Küh­lung und Kli­ma­ti­sie­rung der Räu­me so sehr, dass das Ge­bäu­de un­term Strich Pass­iv­haus­qua­li­tät er­reicht. „Die Ku­ra­to­ren dach­ten am An­fang so­gar, dass die Kli­ma- und Luft­mess­ge­rä­te ka­putt sei­en“, so Christ. „Un­ab­hän­gig von Wet­ter, Tem­pe­ra­tur und An­zahl der Men­schen im Raum war die an­ge­zeig­te Luft­qua­li­tät im­mer die glei­che.“

Hoch­wer­tigs­ter Lu­xus­putz al­so. Da­zu ge­schmei­dig grau­er Bar­dig­lio-Mar­mor aus Car­ra­ra. Ge­wachst – und nicht po­liert, wie der Ar­chi­tekt be­tont, denn das hät­te al­les ka­putt­ge­macht. Ver­kleb­tes Ei­chen­par­kett mit hoch be­last­ba­ren Fül­lun­gen aus Holz­ze­ment­mör­tel – be­ste ös­ter­rei­chi­sche Hand­ar­beit. Und dann ei­ne far­blos-graue Fass­ade aus ge­brann­ten Zie­geln, de­nen mit­tels Stick­stoff das Gelb und Rot ent­zo­gen wur­de. Die in­teg­rier­te, in­di­rek­te LED-Be­leuch­tung im um­lau­fen­den Fries hoch oben, die das Kunst­mu­se­um in be­weg­li­che Schrif­ten und Or­na­men­te hüllt, lässt den Be­su­cher zum wie­der­hol­ten Ma­le vor Be­geis­te­rung in die Knie ge­hen. Gro­ße Ar­chi­tek­tur.

Doch plötz­lich grinst Christ in die Run­de. Den eben noch ver­zück­ten, vor Ehr­furcht er­starr­ten Jour­na­lis­ten und Re­dak­teu­rin­nen steht nun der Schock ins Ge­sicht ge­schrie­ben. Tü­ren, Hand­lauf und Lam­pen­ein­fas­sun­gen sind aus han­dels­üb­li­chem, fle­ckig gal­va­ni­sier­tem Stahl­blech zu­sam­men­ge­schweißt, wie man sie in je­dem x-be­lie­bi­gen Bau­markt auf der gan­zen Welt er­hält. Ein Pla­nungs­feh­ler? Ei­ne Fehl­be­stel­lung? Ein Bau­stel­len­pro­vi­so­ri­um gar? „Ein Mu­se­um ist nicht zu­letzt ei­ne La­ger­stät­te“, sagt Christ. „Auch die­sen in­dus­tri­el­len, un­be­schö­nig­ten Touch woll­ten wir herz­ei­gen, sonst wä­re die­ses Haus viel zu pro­per, zu cle­an und zu vor­her­sag­bar schwei­ze­risch ge­wor­den. Es braucht das Nor­ma­le. Das ist schon auch se­xy, oder?“
[ Der Zu­bau zum Kunst­mu­se­um Ba­sel wird kom­men­den Don­ners­tag, den 14. April er­öff­net. Die Rei­se er­folg­te auf Ein­la­dung des Kan­tons Ba­sel-Stadt. ]

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